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Roter Teppich für Datenkraken

Datenschützer verleihen den Big-Brother-Award in Bielefeld

Bielefeld. Die Telekom war da, Microsoft schickte seinen Datenschutzbeauftragten. Ansonsten ist die Verleihung der "Big Brother"-Awards im Ravensberger Park eine der wenigen Galas, bei der das Wegbleiben der Geehrten ein Zeichen für deren Bedeutung ist.

Auch 2012 glänzten die Preisträger mit Abwesenheit. Die Firma Bofrost, die einen Award für das Ausspionieren des Betriebsratscomputers bekam, kämpfte schon im Vorfeld um einzelne Formulierungen in der Jurybegründung. Gamma International, eine Firma mit Sitz in München, stellt Spionagesoftware her und hatte leider keine Zeit.

Aber das ficht Rena Tangens, Vorstand des Vereins FoeBuD nicht an: "Wir arbeiten daran, uns überflüssig zu machen." Seit fast 25 Jahren kämpft der Verein gegen das heimliche Sammeln von Daten durch Regierung, Unternehmen oder zwielichtige Subjekte. "Datenschutz muss zum integralen Bestandteil unserer Gesellschaft werden", sagt Tangens.

Denn nicht Gold oder Geld ist die härteste Währung im Digitalzeitalter, sondern Informationen und Aufmerksamkeit. Ein Umstand, dessen Tragweite noch nicht alle Internet- und Smartphonenutzer erfasst haben: "Viele sagen ’Ich habe nichts zu verbergen’. Damit geben sie aber ein Versprechen ab, für alle Zeiten nichts zu verbergen zu haben", erklärt Rena Tangens, "Menschen glauben einfach gern, sie seien nicht manipulierbar". Perfide Methoden des Datensammelns Dabei gehe die Manipulation schon bei scheinbar harmlosen Dingen wie Onlinespielen los: Der diesjährige Big-Brother-Preisträger in der Kategorie "Verbraucherschutz", die Firma Blizzard Entertainment ist beispielsweise für das Erfolgsspiel "World of Warcraft" verantwortlich.

Während sich dort Internetnutzer als Troll oder Krieger durch eine Fantasiewelt spielen, sammelt Blizzard laut der Recherchen der Big-Brother-Jury heimlich Daten über die Nutzer. "Das ist besonders perfide, denn es werden Charakterstudien dadurch erstellt, wie zum Beispiel ein Mitspieler ein Problem löst", erklärt Tangens.

Die Erkenntnisse werden auf andere Bereiche übertragen, der "gläserne Kunde" wird noch ein Stück transparenter: "Ich bekomme in der Datenwelt nur noch die Wahrheit präsentiert, die für mich konstruiert wurde", fasst Tangens das Dilemma zusammen. "Wenn zwei Leute den selben Begriff bei Google eingeben, bekommen sie völlig unterschiedliche Ergebnisse. Denn Google weiß auch sehr viel über mich."

Ein Preisträger hätte nicht bei der Gala anwesend sein können, selbst wenn er gewollt hätte: Die so genannte "Cloud" als neues Phänomen im Internet wird ausgezeichnet, "um auf die Gefahr dieser Technik aufmerksam zu machen", erläutert Rena Tangens.

"Wer Informationen und Dateien in den undurchsichtigen Nebel der Cloud verlagert, handelt mindestens fahrlässig" heißt es in der Laudatio, die Tangens bei der Gala hält. Das System Cloud ist an sich schon schwierig zu verstehen, weshalb es für die BigBrother-Award-Jury noch weniger nachvollziehbar ist, dass so viele dieses System sorglos nutzen. "Wir brauchen striktere Datenschutzbedingungen." Andere ausgezeichnete Datenkraken sind aus Fleisch und Blut. Der sächsische Staatsminister des Inneren, Markus Ulbig, ließ anlässlich einer Nazi-Demo ungenehmigt Funkzellen überwachen. Der Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wird für sein Cyber-Abwehrzentrum "geehrt", dass von den Datenschützern als erster, verfassungswidriger Schritt zu Vernetzung der Sicherheitsbehörden angesehen wird.

In der Kategorie "Wirtschaft" ging der Award an die Wasserfirma Brita, die in Schulen kostenpflichtige Wasserspender aufstellen ließ, die nur durch eine mit einem Chip versehene Flasche bedient werden können.

Dass die Preise durchaus auch eine Wirkung haben, zeigen einige Beispiele: die Metro AG zog einige Produkte mit Chips aus ihrem Shop zurück, die Telekom hat wenigstens einige ihrer Datenschutzbedingungen geändert. "Es braucht aber den Gesetzgeber, der striktere Rahmenbedingungen setzt. Denn Unternehmen werden immer nur soviel tun, wie nötig ist", sagt Rena Tangens.

Also werden sie und ihre Mitstreiter weiter die Awards verleihen, weiter in Brüssel und Berlin ihre Stimme erheben. Damit die Orwellsche Utopie der totalen Überwachung, auf die der Name des Awards verweist, nicht wahr wird.

WIEBKE EICHLER

Neue Westfälische, Bielefeld, 14. April 2012
Original: http://www.nw-news.de/owl/6587160_Roter_Teppich_fuer_Datenkraken.html

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