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Rassistische Rasterungen

In diesem Jahr ging der bei Datenfrevlern und Datenkraken gefürchtete BigBrotherAward unter anderem an die Bundespolizei – für diskriminierende und rassistische Identitätsfeststellungen und körperliche Durchsuchungen im Zuge verdachtsunabhängiger Personenkontrollen.

Was ist passiert? Auf dem Weg von Kassel nach Frankfurt am Main wird im Dezember 2010 ein 25jähriger Architekturstudent in einem voll besetzten Regionalzug von zwei uniformierten Beamten der Bundespolizei unvermittelt und im Befehlston aufgefordert, sich auszuweisen. Auf seine Frage nach dem Grund erhält er keine Antwort, weshalb er sich der Aufforderung widersetzt. Nun beginnen die Polizisten, seinen Rucksack nach Ausweispapieren zu durch­suchen und finden beim Durchwühlen statt eines Ausweises eine Tafel Schokolade. Sie fragen den Besitzer, den sie ganz selbstverständlich duzen, ob er die geklaut habe. Daraufhin wird er zwangsweise zurück nach Kassel auf die Dienststelle der Bundespolizei befördert, um seine Personalien und Identität festzustellen.

Nach diesem Erlebnis klagt der in Deutschland geborene und aufgewachsene Betroffene vor dem Verwaltungsgericht Koblenz, um die Rechtswidrigkeit des körperlichen und informationellen Übergriffs feststellen zu lassen. Denn er war in zwei Jahren schon zehn Mal von Bundespolizisten herausgefischt und grundlos kontrolliert worden. Vor Gericht schildert einer der beteiligten Beamten freimütig, daß ihm der Kläger unter vielen anderen Reisenden nur wegen seiner dunklen Hautfarbe aufgefallen sei, was bei ihm den »Verdacht« erweckt habe, es könne sich um einen »illegalen Ausländer« handeln. Diese Praxis entspreche den Lageerkenntnissen und einschlägigen grenzpolizeilichen Erfahrungen gemäß Bundespolizeigesetz – zumal auf besagter Bahnstrecke häufig »illegale Ausländer« verkehrten und Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz zu verzeichnen seien.

Das Verwaltungsgericht folgte diesen Ausführungen und hielt mit seinem Urteil vom Februar 2012 das polizeiliche »Racial Profiling« für rechtmäßig – ein gerichtlicher Persilschein für eine rassistische Kontrollpraxis, die die Bundespolizei im Prozeß offen eingestanden und als »effektiv« gerechtfertigt hatte. Dieses Urteil widerspricht dem Votum des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen, der eine solche Praxis unmißverständlich als rassistische Diskriminierung versteht, die nach internationalem Recht verboten ist. Auch Art. 3 Grundgesetz verbietet eine solche Ungleichbehandlung.

Verdachtsunabhängige Kontrollen – auch »Schleierfahndungen« genannt – sind in bundes­deutschen Polizeigesetzen zwar legalisiert, aber verfassungsrechtlich umstritten. Sie gelten hierzulande als Ausgleich für die weggefallenen innereuropäischen Grenzen. Die damit verbundene Verlagerung der Grenzkontrollen ins Landesinnere kritisiert die EU-Kommission schon seit langem als »verdeckte Grenzkontrollen« und damit als Verstoß gegen das Schengener Abkommen. Obendrein hat sich diese Polizeibefugnis in der Vergangenheit als Einfallstor für eine diskriminierende Kontrollpraxis erwiesen, die sich rassistischer Raster- und Selektionsmerkmale bedient und integraler Bestandteil einer restriktiv-repressiven Asyl- und Ausländerpolitik ist.

Tatsächlich häufen sich Beschwerden von Reisenden, die sich von der Bundespolizei rassistisch behandelt fühlen. Laut Spiegel (2/13) und Freitag (7.2.13) beklagen sich Betroffene oder Zeugen in zunehmendem Maße, daß Bundespolizisten Menschen aufgrund ihrer aus­ländischen Herkunft oder ihrer Hautfarbe diskriminierten – in Zügen, auf Bahnhöfen, Flughäfen oder Autobahnen. Aber Konsequenzen haben diese Beschwerden nur in seltenen Fällen. Auch eine Studie der EU-Agentur für Grundrechte von 2010 belegt diese Alltagserfahrung vieler schwarzer Menschen und People of Color, wonach die Polizei überdurchschnittlich viele Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund kontrolliert.

Der hiervon betroffene Kläger ging gegen das schockierende Verwaltungsgerichtsurteil in Berufung vor das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz, das die Geschichte dann auch vollkommen anders wertete: nämlich als verfassungswidrig. In ihrem Beschluß (kein Urteil) vom Oktober 2012 kommen die Richter zum Ergebnis, daß diese Polizeipraktiken gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen. Ein Vertreter der Bundespolizei entschuldigte sich daraufhin zähneknirschend beim Kläger, so daß die Prozeßbeteiligten den Rechtsstreit für erledigt erklären konnten.

Ist nun alles gut? Leider nein: Denn damit verschwinden weder rassistische Vorurteile und Denkmuster aus so manchen Polizeiköpfen, noch die diskriminierende und willkürliche Polizeipraxis. Wie verinnerlicht diese sind, hat postwendend die Deutsche Polizeigewerkschaft bewiesen, die die OVG-Entscheidung als »praxisfern« bezeichnet, weil sie die Arbeit der Polizei erschwere. »Man sieht wieder einmal«, kritisiert ihr Bundesvorsitzender, »die Gerichte machen schöngeistige Rechtspflege, aber richten sich nicht an der Praxis aus«. Ja, ja, die Schöngeister in Richterroben können mit ihrer »Grundrechtslyrik« dem knallharten Polizeialltag ganz schön lästig werden. Solche Reaktionen belegen, dass rassistische Denkmuster weit über die Bundespolizei hinaus zum Alltag von Sicherheitsbehörden gehören, so daß man letztlich von »institutionellem Rassismus« sprechen kann.

Aber warum, so werden sich manche fragen, warum ist dies überhaupt ein Thema für den BigBrotherAward? Geht es doch hier nicht um die Vernetzung von Mega-Datenpaketen mit technischen Schnüffelmöglichkeiten, um hinterlistige Software oder internationale Abkom­men zwischen Kontroll-Trollen, die nur unser Bestes wollen – unsere Daten und unser Geld. Nein, hier geht es um ein rechtspolitisches, ein menschenrechtliches Problem mit unmittelbaren diskriminierenden Auswirkungen auf die informationelle Selbstbestimmung von Menschen, die aus rassistischen Gründen in ein polizeiliches Kontroll- oder Fahndungsraster geraten. Sie müssen sich polizeilich kontrollieren, durchsuchen und ihre Identität überprüfen lassen, und dabei ihre personenbezogenen Daten offenbaren – und das oft mehrmals hintereinander. Ohne konkreten Anlaß, ohne jeglichen individuellen Verdacht. Nur weil sie eine andere Haut- oder Haarfarbe haben oder einfach aussehen wie »Fremde«, »Ausländer« oder Muslime und dadurch ins »Beuteschema« der Polizei passen.

Sicherlich, auch eine Vielzahl einschlägiger Fälle und Beschwerden reicht nicht aus, um der gesamten Bundespolizei mit ihren über 40.000 Mitarbeiter/inne/n institutionellen Rassismus vorzuwerfen, oder der Polizei insgesamt. Aber es gibt über Racial Profiling hinaus eine Reihe weiterer beunruhigender Indizien: So kommt es häufig zu unverhältnismäßiger Polizeigewalt gegen Migranten und zu einseitigen Ermittlungen in Fällen fremdenfeindlich-neonazistischer Gewalttaten. Mehr als ein Jahrzehnt lang waren Sicherheitsbehörden nicht in der Lage, den rechtsterroristischen Tätern der NSU-Mordserie auf die Spur zu kommen – stattdessen brachte eine »Soko Bosporus« die Opfer der sogenannten »Döner-Morde« und ihre trauernden Angehörigen in geradezu rassistischer Weise in schweren Verdacht. In Extremfällen findet man einzelne Polizisten in rechtsextremen Ku-Klux-Klans oder anderen Neonazigruppen.

Auch die staatliche Terrorismusbekämpfung seit 9/11 trägt diskriminierende Züge, mit der Migranten zu gesteigerten Sicherheitsrisiken erklärt, unter Generalverdacht gestellt und einem rigiden Überwachungssystem unterworfen werden. Erinnert sei nur an die umfangreichen Rasterfahndungen nach »islamistischen Schläfern«. »Rasterungen« gab es noch im Jahr 2012 etwa unter der alten schwarz-gelben Regierung Niedersachsens (mit CDU-Innen­minister Uwe Schünemann, der schon zwei­mal mit dem BigBrotherAward ausgezeichnet werden mußte): Eine Informationsbroschüre des »Verfassungsschutzes« mit einer Checkliste sollte helfen, junge Muslime ausfindig zu machen, die in den »extremistischen Islamismus« abrutschen. Zu den Radikalisierungskriterien gehören etwa »Gewichtsverlust durch geänderte Eßgewohnheiten«, »längere Reisen in Länder mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung«, »intensive Beschäftigung mit dem Leben nach dem Tod«, plötzlicher Reichtum oder Schulden. Wer solch »verdächtige« Normabweichungen feststellt, möge Kontakt zu den Sicherheitsbehörden aufnehmen, um Informationen über die jeweilige Person auszutauschen, heißt es in der Broschüre – praktisch ein Aufruf zur Denunziation.

Peinliche Ausforschungen der Privatsphäre gibt es auch im Fall binationaler Ehen: »Wie war das Wetter am Hochzeitstag? Welche Sitzmöbel haben Sie im Wohnzimmer? Wie oft besuchen Sie eine religiöse Einrichtung? Welche und wo? Haben Sie einen Kosenamen für Ihren Ehegatten? Wann waren Sie und Ihr Ehegatte zuletzt gemeinsam aus? Wohin? Was gab es gestern bei Ihnen zu essen? Was ist Ihr Lieblingsessen und das Ihres Ehegatten? Auf welcher Seite im Ehebett liegen Sie? Welche Filme gucken Sie am liebsten? Ihr Ehegatte? Liest Ihr Ehegatte gerne? Wenn ja, was?«

Solche Fragen aus einem 115 Fragen umfassenden Katalog legten beziehungsweise legen Ausländerbehörden unter anderem in Bremen, Hamburg, Berlin den Partnern binationaler Ehen in getrennten Befragungsrunden zur Beantwortung vor – um mögliche Widersprüche aufzu­decken, die auf eine vermeintliche »Scheinehe« schließen lassen. Mit diesem Angriff auf den Kernbereich privater Lebensgestaltung lassen sich Persönlichkeitsprofile der Betroffenen erstellen – unter Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Bei auftauchenden Widersprüchen drohen dann weitere gravierende Maßnahmen wie etwa Wohnungsdurchsuchungen.

Zurück zu unserer Preisträgerin, der Bundespolizei, die inzwischen um »Respekt!« wirbt und mit dem Befehl »Kein Platz für Rassismus« diesem einen polizeilichen Platzverweis erteilt. Jedenfalls schmückt sie sich seit Ende letzten Jahres mit einem solchen Schild, das ihr eine Antirassismus-Initiative übergeben hatte. Gerade vor dem Hintergrund der öffentlichen Diskussion zu »Racial Profiling« und Übergriffen durch Polizeibeamte solle durch die Bun­despolizei »öffentlichkeitswirksam ein klares Signal gegen Rassismus und Intoleranz« gesetzt werden, so liest man auf der Internetseite der Bundespolizei. Begrüßenswerte Selbstkritik oder bloße Sonntagsrede?

Statt wohlfeiler Werbegags wäre es angezeigt, ein obligatorisches Antirassismus-Training in die Polizeiausbildung zu integrieren und mehr Menschen mit Migrationshintergrund in den Polizeidienst aufzunehmen. Und der Gesetzgeber ist gefordert, verdachtsunabhängige Polizeikontrollen aufgrund äußerlicher Merkmale gesetzlich zu verbieten sowie unabhängige Kontroll- und Beschwerdestellen einzurichten. Ansonsten wird sich nichts zum Besseren ändern.

Rolf Gössner ist als Vertreter der Internationalen Liga für Menschenrechte (Berlin) Mitglied der Jury zur Verleihung des Negativpreises BigBrotherAward und hielt am 12. April während der Verleihungsgala in Bielefeld die Laudatio auf die Bundespolizei. Weitere Preisträger unter: www.bigbrotherawards.de

Rolf Goessner

Ossietzky, Berlin, 01. Mai 2013
Original: http://www.sopos.org/aufsaetze/5175529399436/1.phtml

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