Karl-Otto Sattler
Der Bielefelder Medien-Performer Padeluun sagt es so: "Sicher besteht die Gefahr, dass die Künstler Hofnarren bleiben. Aber ohne deren Engagement stünde es um die kritische Auseinandersetzung mit der Überwachungsgesellschaft noch schlechter". Richtig begeistert von der Rolle der Kulturschaffenden beim Widerstand gegen die im Zeichen der massenhaft verbreiteten Videokameras stehende control-society zeigt sich Thilo Weichert: "Die Bürgerrechtsbewegung ist ohne die Mitwirkung der Künstler und ohne deren Resonanz in der Gesellschaft gar nicht vorstellbar", urteilt der Präsident der Deutschen Vereinigung für Datenschutz.
Einen solchen Ansturm mit 40000 Besuchern und eine solche Resonanz in den Medien querbeet in der Republik hat das Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) noch nie erlebt: Die jüngst zu Ende gegangene Ausstellung "ctrl (space)" als weltweit erste Museumsschau über den Vormarsch der Überwachungskameras in immer mehr Lebensbereichen machte erstmals einer breiten Öffentlichkeit bewusst, dass sich Kulturschaffende zusehends mit diesem bedrückenden Phänomen befassen. Aktionen dieser Art, oft Happenings oder Performanceinszenierungen, schlugen sich vor der Karlsruher Exposition nur selten in überregionalen Zeitungen und Rundfunksendern nieder.
Die von dem New Yorker Medienwissenschaftler Thomas Levin konzipierte ZKM-Schau versammelte erstmals die Werke von 50 internationalen Künstlern, die über den Einsatz von Video, Malerei, Photographie, Film oder Internet die Umwandlung des Menschen vom freien Subjekt zum überwachten Objekt und die "panoptische Gesellschaft" hinterfragen.
Immerhin sind nach Expertenmeinung, bei Fachtagungen geäußert, in Deutschland schon 500 000 elektronische Augen in Betrieb - in Geschäften, Tankstellen, Bahnhöfen, Banken, in Bahnen und Bussen, über Trottoirs und Straßenzügen, selbst in Restaurants, Diskotheken oder Taxen zeichnen Videogeräte Gäste auf.
Kann Kunst mit dem Blick auf die Transformation des Lebens in einen "control space" eine aufklärerisch-politische Wirkung entfalten? Für Thilo Weichert, auch stellvertretender Datenschutzbeauftragter in Schleswig-Holstein, offenbaren gerade jüngere Kulturschaffende "ein enormes kritisches Potential". Der einstige Abgeordnete der Grünen im Stuttgarter Landtag denkt vor allem an die "hautnahe Befassung mit der Realität" bei provozierenden öffentlichen Auftritten und verweist auf ein hintersinniges Happening in Kiel: Angesichts der Anti-Terror- Gesetze nahmen Künstler Passanten Fingerabdrücke und steckten ihnen zwecks - spielerischer - Ermittlung von Gen-Daten Kaugummi in den Mund.
Kreative Geister lassen sich einiges einfallen. So veranstalten die New Yorker "Surveillance Camera Players" vor Videoüberwachungsanlagen zwecks Veralberung derselben so manche Performance und gehen auch in Großbritannien auf Tournee. In Frankreich wurden die Macher der Pariser "Orwell-Partys" mit dem "Prix Voltaire" ausgezeichnet: Diese Aktionen werden schon mal garniert mit Spektakeln maskierter Künstler vor Kameras auf Bahnhöfen. Bei den französischen Kommunalwahlen im März 2001 spielten in Straßburg beim Wahlkampf einer Liste, welche die elektronische Kontrolle des öffentlichen Raums bekämpft, kulturelle Happenings eine wesentliche Rolle; die neue Partei erreichte auf Anhieb über sechs Prozent. In Berlin baute Martin Kaltwasser in Kreuzberg zeitweise einen Überwachungsturm auf und installierte im U- Bahnhof Alexanderplatz Fernrohre, durch die sich Fahrgäste gegenseitig observieren konnten - wobei sie, Ironie der Realität, von Kameras der Verkehrsbetriebe gefilmt wurden. Weichert erinnert an einen Klassiker, an George Orwells Roman "1984": "Das ist nicht nur Literatur, dieses Buch entfaltet noch heute politische Sprengkraft".
Bundesweit einen Namen gemacht haben sich Medienkünstler Padeluun und seine Kollegin Rena Tangens mit der Bielefelder Initiative FoebuD ("Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs"): Bei ihren Projekten thematisiert die Assoziation mit Hilfe moderner Medientechnologien den Ausbau der elektronischen Kontrolle und macht alljährlich Schlagzeilen mit der Verleihung des "BigBrotherAward" an Protagonisten der Überwachungsgesellschaft. Zu den "Würdenträgern" zählen etwa Innenminister Otto Schily und Bahnchef Hartmut Mehdorn. Die Preisskulptur hat Peter Sommer entworfen: eine mit Bleiband gefesselte Figur, die von einer mit einem Code beschrifteten Glasscheibe durchtrennt wird".
Padeluun appelliert an Kulturschaffende, "sich konkret politisch einzumischen". FoeBuD etwa richtet regelmäßig Diskussionsforen aus. Im Umfeld der Vereinigung bildeten sich Internet- Chatrooms zum Problem der Überwachung. Inzwischen fragen Unternehmen bei der Bielefelder Gruppe an, wie man sich beim Datenschutz verhalten müsse, um den "BigBrotherAward" nicht zu erhalten - da ist der demokratische Nutzeffekt künstlerischen Tuns unmittelbar messbar. Und vielleicht ließen sich bei der Karlsruher Schau "ctrl (space)" Besucher für ihren Alltag inspirieren: Am Beispiel von New York demonstrierte eine Internet- Simulation, wie man mit möglichst wenig Kamerakontakt durch eine Stadt kommt.
Anschauungsunterricht liefert auch der aktuelle Kinohit "Ocean"s Eleven". Medienberichte konzentrieren sich meist auf Stars wie Julia Roberts oder Frauenschwarm Brad Pitt und auf den spannenden Stoff eines Überfalls auf ein Spielcasino in Las Vegas. Dabei birgt dieser Streifen kritische Botschaften in sich. Zum einen: Auch Hochsicherheitstechniken wie Kameras können Profi-Kriminelle nicht stoppen. Zum anderen:
Die Kameras zerstören das natürliche Leben - im Hotelflur wird unter Videoaugen ein Kuss unmöglich, und die elektronische Observation wird sogar zur Waffe im Beziehungskampf. A propos Kunst und Realität: Ein Pärchen, das sich etwa im Freiburger Cinemaxx "Ocean's Eleven" anschaut, kann sich danach an der Foyer-Bar beim Tete-a-Tete von der echten Überwachungskamera des Kinochefs erfassen lassen. Big Brother live.
Das Parlament, 26. April 2002