Engagierte Streiter aus Bürgerrechts-, und Datenschutzorganisationen wollen mit der Verleihung des BigBrotherAwards ein Bewusstsein für den Umgang mit persönlichen Daten schaffen. In Bielefeld wurde der Anti-Preis nun zum siebten Mal verliehen. politik-digital.de zeigt die „Gewinner“ der insgesamt fünf Kategorien.
"Herzlichen Glückwunsch! Der Gewinner des Big Brother Award 2006 in der Kategorie "Behörden & Verwaltung" ist die Kultusministerkonferenz der Länder (KMK).“ So ähnlich mag es geklungen haben, als am 20. Oktober die Gewinner der Big Brother Awards 2006 in Bielefeld bekannt gegeben wurden. Die Kultusministerkonferenz der Länder ist zu der Ehre gelangt, weil sie bundesweit einheitliche, lebenslang gültige Schüler-IDs einführen und so Daten von allen deutschen Schülern zentral speichern und auswerten möchte.
In mittlerweile 14 europäischen Ländern und in den USA, Kanada und Japan werden jährlich im Oktober die BigBrotherAwards an die Vorreiter der Kontrollgesellschaft vergeben. Seit sieben Jahren auch in Deutschland. Engagierte aus Bürgerrechts-, Datenschutz-, und unabhängigen Netzorganisationen wollen mit dem „Anti-Preis“ Öffentlichkeit herstellen und durch Aufklärung über ihre Machenschaften zum Widerstand anregen.
BigBrotherAward 2006: Die Preisträger
Weitere Preisträger des Big Brother Award 2006 sind in der Kategorie Wirtschaft: SWIFT-Europe (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication), die den US-Behörden seit fast fünf Jahren über sein US-amerikanisches Operation-Center die Daten internationaler Banktransaktionen zur Verfügung stellt und selbst innereuropäische Daten zur Sicherung auf die Server von SWIFT-USA speichert.
Gleich zwei Preise wurden dieses Jahr in der Kategorie Politik verliehen: Die Mitglieder des vierten Landtags von Mecklenburg-Vorpommern werden für die gesetzliche Erlaubnis zur verdachtsunabhängigen Tonaufzeichnung in der Öffentlichkeit geehrt. Die Bundes-Innenministerkonferenz erhielt einen Award für die Einrichtung einer zentralen "Anti-Terror-Datei".
Der Technik-Award geht 2006 an die Philips GmbH. Phillips hat CD-Brenner auf den Markt gebracht, die ihre Seriennummer auf den Rohling schreiben und damit eine Rückverfolgbarkeit gebrannter CDs zum Brenner ermöglichen. Der Hersteller begründet dieses Vorgehen mit der Notwendigkeit, Raubkopierer ermitteln zu wollen. Bislang ist es in Deutschland aber nicht strafbar, Privatkopien seiner CDs zu erstellen.
Den Preis in der Kategorie Verbraucherschutz bekam der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) für die gemeinsame Warn- und Hinweisdatei der Versicherungsfirmen, in der umfangreiche Daten von Millionen von Bürgerinnen und Bürgern enthalten sind. Die Jury begründet die Preisvergabe damit, dass ohne Wissen der Betroffenen nach geheimgehaltenen Kriterien und ohne ausreichende rechtliche Grundlage eine Bewertung der Versicherten durchgeführt werde.
Erstmals konnten die bei der Verleihung anwesenden rund fünfhundert Zuschauerinnen und Zuschauer entscheiden, welcher der Preisträgerinnen und Preisträger den Publikumspreis erhalten solle. Mit knapp einem Drittel aller Stimmen war der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) für seine Warn- und Hinweisdatei der Gewinner.
Schwarzbuch Datenschutz
Rena Tangens und padeluun vom Verein FoeBuD e.V. (Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V.) gehören hierzulande von Beginn an zur Big Brother Gemeinde. Sie haben nun das Schwarzbuch Datenschutz herausgegeben, in dem alle deutschen Preisträger des BigBrotherAwards bis 2005 vorgestellt werden. Neben den Preisreden gibt es kompakte Informationen zur aktuellen Entwicklung im jeweiligen Fall.
Auf knapp 190 Seiten erfährt der Leser unter anderem von Otto Schilys Datenschutzsünden, über Microsofts "Digital Rights Managements", Videoüberwachung bis hin zu RFID-Schnüffelchips. In den Beiträgen werden datenschutzrechtlich bedenkliche Fälle dargestellt wie beipielsweise von Schulen, die die Namen von Erstklässlern zu Werbezwecken weitergegeben haben, von der Videoüberwachung des Personals bei Lidl und so weiter.
Die Fakten sind so aufbereitet, dass sie sowohl für Laien als auch für Spezialisten geeignet sind. Insbesondere Letztere wird das Namens- und Sachregister freuen.
Zweifelsohne hat die Big Brother Jury mit ihrer Arbeit die Öffentlichkeit erreicht und im Einzelfall auch Erfolge. Nur was ist davon geblieben? Das Maut-System Toll Collect etwa gibt es nach wie vor. Es avanciert mittlerweile sogar zum Exportschlager. Gleiches gilt für Payback-Karten, elektronische Reisepässe und das Vorhaben der elektronischen Gesundheitskarte von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt.
Während in den 90er Jahren die letzte in Deutschland durchgeführte Volkszählung enorme Proteste hervorrief, weil als Ergebnis der „gläserne Bürger“ befürchtet wurde, werden neue Anläufe hingegen kaum wahrgenommen. Auch mit neuen Möglichkeiten im Internet - Stichwort Web 2.0 - scheint die Sorglosigkeit im Umgang mit eigenen Daten um sich zu greifen.
Scheinbar fehlt es an Bewusstsein und Verständnis für das Thema Datenschutz. Wie viel Prozent der Bevölkerung wissen eigentlich, wer George Orwell war? Steht sein Roman 1984 nicht nur auf den Lehrplänen der gymnasialen Oberstufe? Wie viele wissen, das „Huxleys Neue Welt“ mehr ist, als eine Musikhalle in Berlin Neuköln?
Buch-Info Rena Tangens & padeluun (Hg.) Schwarzbuch Datenschutz Ausgezeichnete Datenkraken der BigBrotherAwards Mit einem Vorwort von Peter Glaser broschiert, 192 Seiten, 13,90 Euro Edition Nautilus 3894014946
Jan Piegsa
Politik Digital, Berlin, 26. Oktober 2006
Original: http://www.politik-digital.de/econsumer/datenschutz/jpiegsa_big_brother_061026.shtml