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Kunst, Kultur und Überwachung

Kleine Kunstgeschichte

Beobachten, beobachtet werden, voyeuristische Neugier am Privatleben fremder Menschen und die eigene Angst vor der totalen Kontrolle durch andere – Überwachung und Datenerhebung werden immer wieder künstlerisch thematisiert.

"Big Brother is watching you." Der große Bruder beobachtet dich – das Zitat aus 1984, dem Roman von George Orwell, musste schon für einiges herhalten. Das prominenteste Beispiel: die gleichnamige Fernsehsendung. Freiwillige werden hier für einen bestimmten Zeitraum in einen Container gesperrt und Tag und Nacht von Kameras beobachtet. Doch George Orwells Zukunftsroman 1984 ist viel beklemmender als das TV-Format.

Die Hauptfigur, der Angestellte Winston Smith, wird von der Gedankenpolizei eines autoritären Staates bespitzelt, überwacht und drangsaliert. Es gibt keinen Raum, in denen keine "Televisoren" stehen, noch nicht einmal im eigenen Schlafzimmer bleibt er unbeobachtet. Trotz der ständigen Überwachung versucht Winston verzweifelt, seine innere Unabhängigkeit zu bewahren. Doch am Ende scheitert auch Winston gegen den allmächtigen "großen Bruder".

Im Jahr 1949, kurz nach Ende der Nazidiktatur und unter dem Eindruck des Stalinregimes entwarf der britische Schriftsteller die Vision des totalitären Überwachungsstaats, der bis ins letzte private Detail alles erschnüffelt. Buchtitel Der Auftrag. oder Vom Beobachten des Beobachters der Beobachter

Der Auftrag oder vom Beobachten des Beobachters der Beobachter - das ist der komplizierte Titel der Novelle von Friedrich Dürrenmatt. 1986 hat der Schweizer Schriftsteller die Kriminalgeschichte in 24 Sätzen verfasst.

Eine Filmjournalistin nimmt den Auftrag an, den Todesfall einer jungen Frau zu rekonstruieren. Doch dabei gerät sie in Gefahr, das gleiche Unheil zu erleiden. Bedroht von einem Menschen, den die Journalistin in diesem Zusammenhang beobachtet, gerät sie in eine Falle, die sie sich selbst gestellt hat.

Film Filmposter Truman Show Foto: Paramount Pictures

Hauptdarsteller Jim Carrey ist Truman Burbank, der unfreiwillige Hauptdarsteller der TrumanShow. Als Waisenbaby wächst er in einem riesigen TV-Studio, einer künstlichen Insel auf. Für Truman ist sie die Welt. Ohne zu wissen, dass sein soziales Umfeld aus Schauspielern besteht, und ohne zu wissen, dass all seine Handlungen aufgezeichnet werden, geht er täglich auf Sendung. Millionen Zuschauer leiden mit, wenn er krank ist und feiern seine Geburtstage mit ihm. Unordnung kommt erst in die "Truman Show", als Truman merkt, dass scheinbar doch noch eine andere Welt existiert.

Peter Weirs Film von 1998 zeichnet das Bild eines Menschen, der in einer strahlend hellen und zugleich bedrückenden Alptraumwelt lebt. Er wird nicht nur von 5.000 Kameras und Hunderten von Menschen überwacht, sondern ist dazu noch gefangen in einer höllischen Kunstwelt, in der noch nicht mal der Himmel real ist. Szenenfoto Sliver - Gier der Augen Foto: Paramount Pictures Sliver: Der Überwachungsraum von Carlys Vermieter

In dem Hollywood-Streifen Sliver - Gier der Augen spielt Sharon Stone die junge Lektorin Carly. Als sie in ihr neues Appartement in Manhattan einzieht, ahnt sie nicht, dass selbst der hinterste Winkel ihrer Wohnung videoüberwacht ist. Und nicht nur ihr geht es so: Das gesamte Hochhaus ist verkabelt. In jedes Appartement, jede dunkle Ecke kann sich der voyeuristische Hausbesitzer mittels beweglicher Kameras hineinzoomen. Die Mieter stehen unter Dauerbeobachtung.

Der Thriller aus dem Jahr 1993 spinnt seine Handlung um den mysteriösen Tod von Carlys Vormieterin und den psychopatischen Vermieter. Der spielt die Macht, die ihm die heimlichen Videoaufzeichnungen geben, voll aus. Filmposter The Conversation Foto: Paramount Pictures "The Conversation" - Der Originaltitel des Films

Francis Ford Coppolas Film Der Dialog zeigt einen Beobachter, der ungewollt schließlich selbst beobachtet wird. Der Abhörspezialist Harry Caul (Gene Hackmann) ist einer der Besten seines Fachs. Als er im Rahmen eines Auftrags ein junges Pärchen in San Francisco belauscht, wird er unverhofft in einen Mordkomplott verwickelt. Harry Caul wird vom Jäger zum Gejagten.

1974 kam Coppolas Meisterwerk in die Kinos. Der Film erinnert sowohl an die Attentate auf die Kennedy-Brüder, als auch an den Watergate-Skandal und spielt mit der Vision einer zunehmend paranoiden Gesellschaft. Nominiert für drei Oscars gewann "Der Dialog" 1974 die Goldene Palme in Cannes.

Wie der Name der Fotoserie Night schon sagt, zeigen alle Fotografien nächtliche Motive. 1992 hat der deutsche Künstler Thomas Ruff seine Bilder erstmals auf der Kasseler documenta IX präsentiert: einsame Hinterhöfe, Schienen vor einem nächtlichen Bahnhofsgebäude, ein beleuchteter Hauseingang. Bis 1995 hatte er 50 riesige Bilder mit immer anderen und sich doch ähnelnden, nächtlichen Motiven gesammelt. Infrafot-Aufnahme: Ein US-Unteroffizier liest im Dunkeln mit einer Taschenlampe eine Order. Foto: U.S.Air Force Infrafot-Aufnahme eines US-Unteroffiziers in Afghanistan

Das Besondere an Ruffs Fotografien: Durch eine bestimmte Aufnahmetechnik, die vor allem durch ihren Einsatz im ersten Golfkrieg bekannt wurde, erinnern die grün-schwarzen Fotografien an die Fernsehbilder der nächtlichen Bomben auf Bagdad. Es war das erste Mal, dass die US-Armee dem Fernsehen militärische Videomaterialien zur Verfügung stellte; Aufnahmen aus Afghanistan folgten. Das Ziel dahinter: Bilder, die eine klinisch saubere Militäraktion dokumentieren und damit den Golfkrieg ins politisch-korrekte Licht rücken sollten.

Thomas Ruffs Bilder spielen mit dem Voyeurismus der Fernsehzuschauer, indem er genau diese Ästhetik anwendet. Doch zu sehen sind statt Detonation nur nächtliche, triste Motive seiner Heimatstadt Düsseldorf.

Bildende Kunst Buchtitel Hautlos - Eingeschweißte Überwachung Foto: Janus Press

1997, acht Jahre nach Öffnung der Mauer, studierte Christine Schlegel zum ersten Mal ihre Stasi-Akten. Dann tat die Malerin etwas, was vor ihr noch keiner machte – sie verarbeite ihr überwachtes Leben zu kunstvollen Collagen. Zu DDR-Zeiten wurde sie von den Informellen Mitarbeitern der Staatssicherheit bespitzelt und beschnüffelt. Denn die Künstlerin war nie Teil der FDJ, hängte bei Staatsfeiern keine Fahnen aus dem Fenster und orientierte sich in ihren Arbeiten an der westlichen Moderne. Ein Dorn in den Augen Erich Mielkes. Der Minister für Staatsicherheit setzte seine Spitzel auf Christine Schlegel an. Mitbewohner, Kommilitonen, selbst ein damaliger Lebensgefährte gaben Informationen weiter. Mit ihren Collagen, zusammengestellt im Bildband "Hautlos - Eingeschweißte Überwachung" (Janus Press) holte sie, so drückte es die Berliner Zeitung aus, ihre "Verfügbarkeit über das eigene Leben" zurück.

Big Brother Awards Die Big Brother Award Statue Foto: Thorsten Möller Der Big Brother Award wird jedes Jahr verliehen

1987 haben die Medienkünstler Padeluun und Rena Tangens die Bielefelder Initiative FoeBuD (Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs) gegründet. Das Ziel: Die Förderung eines "schöpferisch-kritischen" Umgangs mit Wissenschaft und Technik. Die Initiative möchte den steten Ausbau der elektronischen Kontrolle thematisieren. Dafür gibt es seit Oktober 2000 die "Big Brother Awards". Sie sollen den Missbrauch von Technik und Information aufzeigen. Der Preis wird jährlich an Firmen, Organisationen und Personen verliehen, die laut FoeBud, "in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen." Würdenträger der "Big Brother Awards" waren unter anderem Bundesinnenminister Schily und Bahnchef Hartmut Mehdorn.

Karolin Gunzert

ratgeber.ARD.de, Mainz, 26. September 2007
Original: http://www.ard.de/ratgeber/special/ueberwachung-kunst-kultur/-/id=322978/nid=322978/did=320818/1hkr9eg/index.html

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