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Otto Schily für undemokratische Arbeit ausgezeichnet

Negativpreis „Big Brother Award“ ging an den Bundesinnenminister / Überwachung auf Kosten der Bürger- und Freiheitsrechte

Bielefeld. Dem scheidenden Bundesinnenminister Otto Schily wurde am Wochenende in Bielefeld der „Überwachungs-Oscar“ BigBrotherAward 2005 für sein „Lebenswerk“ verliehen. Schon 2001 hatte Schily diesen Negativpreis für seine Anti-Terror-Gesetzgebung in der Kategorie „Politik“ erhalten. Der Preis wird seit 2000 einmal jährlich in verschiedenen Kategorien vergeben. Die Preisträger – Unternehmen, Organisationen und Politiker - verletzen nach Meinung der Jury erheblich die Privatsphäre der Bundesbürger und den Datenschutz. Vergeben wird der Preis von Datenschutz- und Bürgerrechtsgruppen.

Mit der Verleihung des BigBrotherAwards soll das abstrakte Thema Datenschutz durch konkrete Beispiele anschaulich und allgemein verständlich gemacht werden. In der Jury für die diesjährigen Verleihung saßen Vertreter der „Internationalen Liga für Menschenrechte“, der Humanistischen Union“, der „Deutschen Vereinigung für Datenschutz“, des „Chaos Computer Clubs“, des „Fördervereins Informatik und Gesellschaft“, des „Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung“ sowie des „Vereins zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs“. Die Initiatoren des deutschen BigBrotherAwards sind international vernetzt: Die Negativpreise werden bereits in 14 europäischen Ländern sowie in Australien, Japan und den USA vergeben.

Otto Schily erhielt in diesem Jahr erneut mit Abstand die meisten Nominierungen. In der Jury bestand große Einigkeit, dass der scheidende Innenminister am Ende seiner politischen Karriere der „Lifetime-Award“ für langjährige Verdienste gebührt – „wohlwissend, dass wir mit unserer Würdigung im Rahmen der Verleihung eines Negativpreises einer so schillernden Persönlichkeit wie Otto Schily und seiner gesamten Lebensleistung bei weitem nicht gerecht werden können“, so Rolf Gössner, Präsident der „Internationalen Liga für Menschenrechte“.

Otto Schily erhielt den Preis für

In ihrer Begründung für die Preisverleihung an Schily kritisiert die Jury die „großen Obsessionen“ des Preisträgers, zu denen die digitale Erfassung von biometrischen Merkmalen in Ausweispapieren gehöre, die in der kommenden Woche (ab. 1. November) eingeführt wird. Auf einem kontaktlos per Funk auslesbaren Mikrochip werde neben den Personalien zunächst ein digitalisiertes Gesichtsbild gespeichert, ab März 2007 kommen zwei digitale Fingerabdrücke hinzu. Die Speicherung weiterer Merkmale, etwa Irisscan oder genetischer Fingerabdruck, sei möglich. Der nächste Schritt werde die Einführung des biometrischen Personalausweises sein.

„Unter souveräner Missachtung von Parlamenten und Datenschützern und ohne gesellschaftliche Debatte boxte Schily sein Lieblingsprojekt auf EU-Ebene durch – am Bundestag vorbei, ohne demokratische Legitimation“, so Gössner. „Statt das Parlament über die Folgen für Datenschutz und Bürgerrechte entscheiden zu lassen, forcierte er eine EU-Verordnung, die unmittelbare Gesetzeswirkung in allen EU-Ländern hat. So brachte es Schily fertig, dass Pass-Gesetz (§ 4) zu umgehen, das zur Festlegung der biometrischen Daten ein neues, vom Bundestag zu beschließendes Gesetz fordert.“ Nicht nur die Jury hält Schilys „selbstherrlichen Akt für zutiefst undemokratisch“, sondern auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, der „diese übereilte Einführung des ePasses durch die europäische Hintertür“ kritisiert und Schily Amtsmissbrauch vorgeworfen habe. Schily habe den Bundesdatenschutzbeauftragten daraufhin zurechtgewiesen und ihm gebieterisch „mehr Zurückhaltung“ empfohlen und damit einem fachkundigen Kritiker in seinem eigenen Verantwortungsbereich offenbar zum Schweigen bringen wollen.

Tausende werden zurückgewiesen

Nach einer Studie des „Bundesamtes für Sicherheit und Informationstechnik“ sei die neue Technologie weder praxistauglich noch ausgereift. So sei die Gesichtserkennung stark fehlerbehaftet, allein schon, weil sich Gesichter im Laufe der Jahre erheblich verändern. Es sei zu befürchten, dass täglich Tausende Menschen an Flughäfen zurückgewiesen und in ihrer Reisefreiheit beschränkt werden, weil ihre digitalen Fotos oder Fingerabdrücke von der Software nicht akzeptiert werden oder einem Vergleich mit dem leibhaftigen Original nicht standhalten. Solche Personen kämen zukünftig in Rechtfertigungszwang, schlimmstenfalls gerieten sie in einen bösen Verdacht. Schily habe das wissentlich in Kauf genommen.

Elektronische Ausweise seien zudem missbrauchsanfällig: Die biometrischen Daten können an allen Kontrollstellen im In- und Ausland ausgelesen und in Datenbanken gespeichert werden – ohne dass die Betroffenen wissen, wer auf die sensiblen Daten Zugriff habe und was mit ihnen anschließend passiere, so dass nicht nur Grenzkontrollstellen, sondern auch unbefugte Dritte Bewegungsprofile von arglosen Passinhabern anfertigen könnten.

Digitalisierte Gesichtsbilder könnten etwa mit Video-Aufnahmen aus dem öffentlichen Raum abgeglichen werden, um eine verdächtige oder gesuchte Person herauszufiltern. Das sei ein großer Schritt zum Generalverdacht gegen alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes.

Tatsächlich könnten biometrische Merkmale manipuliert werden, so die Jury in ihrer Entscheidung. Schily nähre mit der Einführung der elektronischen Ausweispapiere allenfalls eine riskante Sicherheitsillusion.

Schily nötige den Deutschen nicht nur den ePass als vermeintliches Sicherheitsinstrument auf, sondern auch als Innovationsprojekt zur Sicherung nationaler Standortvorteile: Die rasche Einführung der biometrischen Verfahren vor allen anderen EU-Staaten liege im ureigenen deutschen Interesse, so Schily in einer Rede am 2. Juni 2005, „wie rasch sich deutsche Firmen auf den zukunftsorientierten Wachstumsmarkt der Biometrie eingestellt haben“. Die Jury sieht darin allerdings eine „verdeckte Wirtschaftsförderung, etwa zugunsten der Bundesdruckerei und der Chiphersteller Philips und Infineon, aber auch vorauseilenden Gehorsam gegenüber den USA, die in Sachen Biometrie auf die europäischen Regierungen massiven Druck ausgeübt hätten.

Ein unverhältnismäßiger Eingriff

Die biometrisch-digitale Erfassung der gesamten Bevölkerung sei nicht nur ein unverhältnismäßiger Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung, sondern auch eine Misstrauenserklärung an die Bevölkerung. Sie muss sich behandeln lassen, wie bislang nur Tatverdächtige oder Kriminelle im Zuge einer erkennungsdienstlichen Behandlung.

Demnächst werde hierzulande selbst den hartnäckigsten Sicherheitsfanatikern das Lachen vergehen, denn ein solches werde auf den neuen Digitalfotos verboten sein – offene Münder oder blitzende Zähne könnten nämlich die Hightech-Lesegeräte irritieren, so Rudolf Gössner von der Internationalen Liga für Menschenrechte. Lediglich ein leichtes Grinsen mit geschlossenen Lippen und bei ansonsten neutralem Gesichtsausdruck werde noch statthaft sein. Beim elektronischen Gesichtsabgleich werden wohl Vollbärte, dicke Brillen, aufgespritzte Lippen oder Nasenoperationen genauso zum Sicherheitsproblem, wie das unvermeidliche Älterwerden und deutlicher werdende Falten im Gesicht.

Die Jury des BigBotherAwards macht in ihrer Entscheidungsbegründung, den Negativpreis an Schily zu verleihen, auf die biografischen Brüche des Innenministers und seine unterschiedlichen Rollen aufmerksam. Der Minister habe nicht nur Rollen, sondern auch die Seiten gewechselt – und zwar kompromisslos. Aus einem eloquenten Strafverteidiger, der im Interesse seiner Mandanten rechtsstaatliche Prinzipien gegen staatsautoritäre Übergriffe verteidigte, sei spätestens in seiner Funktion als Bundesinnenminister ein autoritärer Staats-Anwalt geworden, der die Macht des Staates zu Lasten der individuellen Freiheitsrechte ausgebaut und sich dafür auf „geradezu fundamentalistische Weise“ eingesetzt habe.

Obrigkeitsstaatliche Interpretationen

In seinem missionarischen Eifer als Staatsschützer sei Schily selbst vor extremistischen Forderungen aus dem Arsenal von Diktaturen nicht zurück geschreckt. So würde er allzu gern „gefährliche“ Personen ohne konkreten Verdacht in präventive Sicherungshaft nehmen lassen. Seine zuweilen obrigkeitsstaatliche Interpretation des Rechtsstaats drücke sich unter anderem mit dem Plan einer zentralen „Islamistendatei“ und einem Datenverbund aller Geheimdienste und des Bundeskriminalamts aus. Eine noch engere Vernetzung aber würde die Aufhebung des verfassungsmäßigen Gebots der Trennung von Polizei und Geheimdiensten bedeuten – immerhin eine Konsequenz aus den bitteren Erfahrungen mit der Gestapo im Nationalsozialismus. Damit nehme Schily eine Machtkonzentration in Kauf, die kaum noch wirksam kontrollierbar sein wird (siehe zu diesem Thema auch die SAAR-ECHO-Echo-Hintergrundberichte „Geheimdienste und Politik: Wer lenkt wen?“ sowie „Schattenkrieg zwischen BND und BKA“; Startseite oben rechts).

Kritisiert wurde Schily von der Jury des BigBrotherAwards auch wegen seiner Vorstellung von Pressefreiheit im Zusammenhang mit der umstrittenen Durchsuchung der Redaktionsräume des Berliner Monatsmagazins „Cicero“ durch das Bundeskriminalamt (BKA), zu der Schily die Ermächtigung erteilt hatte.

Auch Schilys Plan, sämtliche Telekommunikationskontakte – ob per Telefon, SMS, eMail oder Internet – zur Terror- und Kriminalitätsbekämpfung mindestens zwölf Monate auf Vorrat zu speichern, habe zur Verleihung des Negativpreises an den Bundesinnenminister beigetragen: „Wer hat mit wem, wann, wie oft und wie lange von wo nach wo fernmündlich oder schriftlich kommuniziert, welche SMS- oder Internet-Verbindungen genutzt, welche Suchmaschinen mit welchen Begriffen benutzt, welche Websites besucht und mit welchen eMail-Empfängern kommuniziert? Mit dieser beispiellosen Vorratsdatensammlung ließe sich das Kommunikations- und Konsumverhalten einzelner Telekommunikationsnutzer heimlich ablesen – Verhaltens- und Kontaktprofile inklusive.“

Die vollständige Begründung für die Verleihung des BigBrotherAwards an Otto Schily für dessen „Lebenswerk“ ist unter www.bigbrotherawards.de/2005/.life/?printMe nachlesbar. Auf der Website www.bigbrotherawards.de werden außerdem die diesjährigen Preisträger der Kategorien „Wirtschaft“, „Behörden & Verwaltung“, „Kommunikation“, „Technik“, „Verbraucherschutz“, „Politik“ und „Regionalpreis“ genannt.

Saar-Echo, Eincheville (F), 30. Oktober 2005
Original: http://www.saar-echo.de/de/art.php?a=28406

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