SM-News hat heute das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung für den jährlich stattfindenden Big Brother Award (siehe obiger Link) nominiert. Grund ist das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, durch das die Krankenkassen alle Abrechnungsdaten versichertenbezogen bekommen. Somit wird sowohl der gläserne Patient als auch der gläserne Arzt Wirklichkeit.
Die Big Brother Awards ("Die Oscars für Datenkraken") gibt es seit dem Jahre 2000. Man will mit dieser Aktion Datenmißbrauch an die Öffentlichkeit bringen. Im Jahre 2003 gingen die Big Brother Awards unter anderem an die GEZ, die Regierung der USA, T-Online und verschiedene Bundesländer.
Hier der Wortlaut der Nominierung:
Leistung: Gläserner Patient und Gläserner Arzt
Bei der Modernisierung des Gesundheitswesens durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) -(BGBl. I 2003, 2190) gab es eine massive Verschlechterung des Datenschutzes für Patienten. Jetzt erhalten Krankenkassen alle Abrechnungsdaten versichertenbezogen (SGB V §§ 106a, 284, 295).
Der Datenschutz in Hessen meint hierzu: ?Infolge dieser neuen versichertenbezogenen Übermittlung der ärztlichen Abrechnungsdaten in der ambulanten Versorgung erhalten die Krankenkassen erheblich mehr personenbezogene medizinische Daten der Versicherten als bisher. Dass dies durch das neue Vergütungssystem zwingend geboten ist, wurde den Datenschutzbeauftragten bisher nicht ausreichend dargelegt. Die Datenschutzbeauftragten sind zu diesen im Schnellverfahren realisierten Änderungen des ursprünglichen Gesetzentwurfs nicht rechtzeitig und nicht ausreichend beteiligt worden. Dadurch war u. a. eine Diskussion über Möglichkeiten der Pseudonymisierung der Versichertendaten nicht möglich. Bei der künftigen Umsetzung der neuen Regelungen muss sichergestellt werden, dass keine umfassenden Versichertenprofile bei den Krankenkassen entstehen und die Daten ausschließlich zweckgebunden verwendet werden.? (http://www.datenschutz.hessen.de/Tb32/K14P01.htm) Außerdem sollen die Leistungs- und Abrechnungsdaten aller Versicherten in einem zentralen Datenpool zusammengeführt werden (§§ 303a ff. SGB V).
Die Gesetzesänderungen traten am 1.1.2004 in Kraft. Für Patienten bedeutet dieser Teil der Reform Besorgnis über die Verbreitung und Verwendung sensibler Daten. Ärzte sollten durch den Hippokratischen Eid, aus dem sich auch die ärztliche Schweigepflicht herleitet, auch nicht sonderlich glücklich über diesen Teil der Reform sein. Nutzen haben nur zwei Interessengruppen: die Gesundheitspolitik, die nach Möglichkeiten der Kosteneinsparung sucht. Und mehr ?Datentransparenz? kommt insbesondere den gesetzlichen Krankenkassen entgegen, die Missbrauch vorbeugen und ihre Effizienz steigern wollen. (Die Vergütung der ärztlichen Leistungen nach Kopfpauschalen wurde durch morbiditätsorientierte Regelleistungsvolumina abgelöst.)
Um maschinenlesbare Abrechnungsdaten zu erhalten, sind Ärzte seit dem 1.1.2000 verpflichtet, diese nach dem WHO-Diagnoseschlüssel ICD (International Classsification of Diseases and Related Health Problems) zu verschlüsseln. Die in Deutschland gebräuchliche ICD-10-GM (ICD 10th Edition, German Modification) wird herausgegeben vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information, kurz DIMDI, im Aufttrag des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Aktuell ist die ICD-10-GM-2004 in Gebrauch, deren Nachfolgerin ICD-10-GM-2005 wurde Mitte August veröffentlicht und tritt am 1.1.2005 in Kraft.
Die ICD-10-GM deckt mit ihren Schlüsseln das gesamte Spektrum der medizinischen und psychologischen Diagnosen ab, darunter auch äußerst sensible Informationen über die Persönlichkeit und die Lebensumstände der Patienten wie ?Psychische und Verhaltensstörungen? (Kategorie F), oder ?Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen? (Kategorie Z) In diesem Diagnosecode sind auch einige obskure Zustandsbilder und Informationen von zweifelhafter Notwendigkeit für die Krankenkassenabrechnung aufgeführt, die teilweise diskriminierungsträchtig sind.
Beispielsweise ?Beratung in Bezug auf Sexualorientierung, -einstellung oder ?verhalten? (Z70), ?Kontakt mit und Exposition gegenüber Infektionen, die vorwiegend durch Geschlechtsverkehr übertragen werden (Z20.2), ?Probleme mit Bezug auf die Lebensführung? (Z72), spezielle sexuelle Vorlieben (F65 ?Störungen der Sexualpräferenz? mit F65.0 ?Fetischismus?, F65.1 ?Fetischistischer Transvestitismus?, F65.5 ?Sadomasochismus?,...),?gesteigertes sexuelles Verlangen? (F52.7), ?Pathologisches Spielen? (F63.0), F63.3 ?Trichotillomani?,.... Personenbezogen legen diese Daten das Privatleben der Patienten auf gefährliche Weise bloß.
Hier wurde die Grundlage für eine bedenkliche mögliche zukünftige Entwicklung gesetzt. Es ist abzusehen, dass Krankenkassen Patientendaten über Generationen hinweg speichern und nutzen wollen für statistische Auswertungen und zur Erstellung von Familienkrankheitsgeschichten. Zukünftige Gesetzesänderungen könnten die maximalen Aufbewahrungszeiten für diese Daten ausdehnen oder ganz aufheben. Außerdem kann man nicht vorhersagen, welche weiteren Stellen eine Zugriffsberechtigung auf diese Daten erhalten könnten.
Mehr Informationen zum Thema ICD-10 und eine umfangreiche Linksammlung gibt es bei der BVSM http://www.bvsm.de/icd10/
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Aranita
SM-News, Karlsfeld, 21. August 2004
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