Für ein zentrales Schülerregister hat die Hamburger Senatorin Alexandra Dinges-Dierig den Big Brother Award 2007 erhalten. Acht weitere Preisträger bekommen den Negativ-Preis wegen des angeblichen Missbrauchs von Daten und der Verletzung der Privatsphäre.
So wenig Privatsphäre und Datenschutz hätte sich selbst George Orwell in seinem Buch "1984" nicht vorstellen können. Mit Entsetzen haben Generationen von Lesern sein Szenario der totalen Überwachung im Staat verfolgt - und reagieren weniger empört auf die heutigen Phänomene namens Schülerzentralregister und systematische Briefkontrolle. So hat nach Ansicht des Vereins FoeBuD e.V. ("Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs") Alexandra Dinges-Dierig, Hamburger Senatorin für Bildung und Sport, den Award verdient. Sie erhält den Preis für ein Schülerzentralregister, das nach Angaben der Jury auch dafür genutzt wurde, um ausländische Familien ohne Aufenthaltserlaubnis aufzuspüren. Das Register war Grund genug, die Behörde für Bildung und Sport der Freien und Hansestadt Hamburg mit dem Big Brother Award 2007 in der Kategorie "Regional" auszuzeichnen. Der Big Brother Award wird jedes Jahr an Firmen, Organisationen und Personen verliehen, die nach Meinung des Vereins FoeBuD e.V. besonders nachhaltig die Privatsphäre der Menschen beeinträchtigen und das Grundrecht auf Selbstbestimmung aushöhlen.
Mit dem Award hat FoeBuD e.V. auch den anderen Preisträgern auf die Finger klopfen wollen. So erhielt beispielsweise in der Kategorie "Arbeitswelt" die Novartis Pharma GmbH einen Rüffel für die mutmaßliche Bespitzelung ihrer Arbeitnehmer. Ein weiterer Award ging an die Generalbundesanwältin Monika Harms, die in der Kategorie "Behörden und Verwaltung" ausgezeichnet wird. Um den Preis hatte sie sich nach Meinung der Juroren im Zuge des G8-Gipfels verdient gemacht, indem sie für Antiterror-Maßnahmen systematische Briefkontrollen sowie die Aufnahme und Konservierung von Geruchsproben der G8-Gegner einführte. Eine ausführliche Laudatio auf die Preisträger wird am Abend in der Ravensburger Spinnerei gehalten. Dazu werden auch "Tadelnde Erwähnungen" vorgestellt, die eine Nennung auch ohne Preis trotzdem wert seien. Damit folgt der Verein einer Tradition, die ihren Anfang 1998 in England nahm. Seit dem Jahr 2000 wird der Big Brother Award auch in Deutschland verliehen. Ziel war und ist es, öffentlichkeitswirksam den Missbrauch von Daten aufzuzeigen. Die Juroren sind Organisationen, die sich mit Themen wie Datenschutz, Datensicherheit und Technikentwicklung beschäftigen. So haben unter anderem Frank Rosengart vom Chaos Computer Club und Karin Schuler vom Verein "Deutsche Vereinigung für Datenschutz" in diesem Jahr in der Jury über die Awards entschieden.
Zu den weiteren Preisträgern des Big Brother Awards gehören Finanzminister Peer Steinbrück und Bundesministerin Brigitte Zypries. Ersterer hat nach Meinung der Juroren für die Steuer-ID den Preis verdient. Mit der Einführung einer lebenslangen Steuer-Identifikationsnummer sahen die Jury-Mitglieder Steinbrück als besten Kandidaten für den Preis in der Kategorie "Politik". Für Datenmissbrauch in der "Kommunikation" im weitesten Sinne sorgte, so die Jury, Brigitte Zypries mit dem Gesetzesentwurf zur Vorratsdatenspeicherung. Mit dem Vorhaben, alle Verbindungsdaten der Telekommunikation zu speichern, ignorierte sie nach Meinung der Jury bewusst die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hatte 1983 im Volkszählungsurteil entschieden, dass die Sammlung von nicht anonymisierten Daten zu unbestimmten oder noch nicht bestimmten Zwecken mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist.
Die Deutsche Bahn AG wurde ebenfalls mit dem Überwachungs-Award ausgezeichnet. In der Kategorie "Wirtschaft" erhält sie die "Ehrung" für die systematische Überwachung der Bahnkunden. Als Begründung führte die Jury an, dass der Kauf von Bahntickets im Internet nur noch personalisiert möglich und auch die Abfrage sowie Speicherung des Geburtsdatums gängig sei. Mit dem Einbau eines RFID-Chip in der Bahncard 100 ohne Information der Kunden sowie der flächendeckenden Videoüberwachung begründete die Jury ebenfalls ihre Entscheidung.
Einen Rüffel erhielten darüber hinaus zahlreiche große Hotelketten wie Hyatt, Marriott und Intercontinental. In der Sparte "Verbraucherschutz" sahen sich diese internationalen Hotels mit dem Vorwurf der breiten Überwachung und Speicherung von privaten Daten konfrontiert. Die Ketten hätten in der Vergangenheit private Informationen über die Hotelgäste zentral erfasst und gespeichert. Darin seien unter anderen Details über Trink-und Essgewohnheiten, Pay-TV-Nutzung, Allergien, Beschwerden und Sonderwünsche vermerkt. Auch sämtliche berufliche und private Kontaktadressen der Kunden sowie Kreditkartendaten hätten die Hotels in ihrer Datenbank erfasst. Dieses Beispiel zeige, so der Verein FoeBuD e.V., dass es nicht ausreiche, um nur nach "mündigen Verbrauchern" zu rufen. Gerade weil viele Bürger nachlässig ihren persönlichen Datenschutz behandeln und Phrasen wie "Ich habe nichts zu verbergen" und "Wenn' s doch der Sicherheit dient" häufig sind, sei es wichtig, die Verbraucher umfassend zu informieren. So sei es besonders wichtig, vorausschauend zu handeln und nicht erst zu reagieren, wenn konkreter Missbrauch von Daten bereits passiert ist. Diese Forderung bezieht der Verein vor allem in der Hinsicht auf flächendeckende Videoüberwachung, Adresshandel oder auch die Auswertung von Nutzerprofilen.
"Außer Konkurrenz" sei hingegen der Status von Innenminister Wolfgang Schäuble, so erklärten die Juroren vor der Preisvergabe. Daher entschied sich die Jury dafür, dass er keinen Big Brother Award erhalten sollte, sondern widmet ihm zum Abschluss der Preisverleihung eine eigene Laudatio für sein "Lebenswerk".
Kathrin Warncke
stern online, 12. Oktober 2007
Original: http://www.stern.de/computer-technik/internet/:Big-Brother-Awards-B%F6se-Preise-Datenkraken/600064.html