Ob Otto Schily seinen Schreibtisch im Innenministerium mit dieser Skulptur schmücken wird, ist zweifelhaft: Der SPD-Politiker wurde am Wochenende in Bielefeld mit dem diesjährigen Big Brother Award bedacht - einem Oscar für Datenkraken und Protagonisten der Überwachungsgesellschaft, einer für die Geehrten nicht eben schmeichelhaften Auszeichnung.
Natürlich kommt es angesichts des heißen Streits um Schilys Pläne für Fingerabdrücke in Ausweispapieren und für andere Eingriffe in die Grundrechte nicht von ungefähr, dass der Minister als Hauptpreisträger auserwählt wurde. Die Jury-Mitglieder (unter ihnen Künstler, Datenschützer und der Chaos Computer Club) üben in ihrer Begründung für die Kür Schilys scharfe Kritik: "Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung treten Sie für den Abbau von Bürgerrechten, Datenschutz und informationeller Selbstbestimmung ein."
Der Minister setze sich seit den Terroranschlägen in den USA verstärkt für neue Ermittlungsbefugnisse ein, ohne die verfassungsgemäßig garantierten Bürgerrechte zu berücksichtigen. In der "Laudatio" heißt es wörtlich: "Sie diffamieren Datenschutz als Täterschutz." Otto Schily weiß einen Kabinettskollegen in der Riege derer, die einen Big Brother Award erhalten: Werner Müller ist Preisträger, weil er als Wirtschaftsminister die Schaffung einer technischen Infrastruktur vorantreibe, "die durch fest installierte Geräte bei Telekommunikationsanbietern eine Überwachung quasi per Knopfdruck ermöglicht". Die Ortung von Handys und die Erstellung von Bewegungsprofilen würden erlaubt. Zu den Big-Brother-"Siegern" gehört die Saarbrücker Firm ProtectCom wegen des Vertriebs einer Software namens Spector, die eine "umfassende Überwachung der elektronischen Kommunikation am Arbeitsplatz" ermögliche und in die Rechte von Arbeitnehmern eingreife. Mit dabei sind auch Anbieter von Techniken, die dem Ausspionieren von Verbrauchern im Internet dienen.
Organisiert wird die ganze Aktion vom Bielefelder Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD), der sich bereits seit 1987 für eine "demokratieverträgliche Technikgestaltung" engagiert und etwa Internetprogramme für den Aufbau demokratisch gestalteter Netzwerke entwickelt. FoeBuD setzt sich kritisch mit der zunehmenden Überwachung und Kontrolle der Bürger auseinander, die mit dne modernen Informationstechnologien einhergeht und die sich gegen das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit richtet.
Eine zentrale Rolle spielt dabei die zum Massenphänomen gewordene Videoüberwachung: Vergangenes Jahr, als erstmals diese "Oscars" verliehen wurden, bekam Bahnchef Mehdorn eine Trophäe für den Einsatz von Kontrollkameras auf Bahnhöfen. Big Brother Awards gibt es noch in neun weiteren Ländern, etwa in den USA, in Großbritannien oder in Frankreich.
Karl-Otto Sattler
Sonntag Aktuell, 29. Oktober 2001
(Beilage zu Stuttgarter Zeitung, Mannheimer Morgen, ...)