Datenschützer haben die Bundesagentur für Arbeit mit dem Anti-Preis "Big Brother Award" ausgezeichnet. Damit wollen sie die "inquisitorischen Fragebögen" zum Arbeitslosengeld II kritisieren. Weitere Ausgezeichnete: ein Discounter, ein Elektronikhersteller und zwei Ministerinnen.
Bielefeld - Der "Big Brother Award" wird heute Nachmittag in Bielefeld zum fünften Mal verliehen. Ähnliche Verleihungen gibt es inzwischen in 17 Staaten. In der deutschen Jury sind unter anderem die Deutsche Vereinigung für Datenschutz, der Chaos Computer Club und die Internationale Liga für Menschenrechte vertreten. Mit den Negativauszeichnungen wollen sie die Diskussion um Privatsphäre und Datenschutz fördern und auf vermeintlich missbräuchlichen Umgang mit Technik und Informationen hinweisen.
Viele der Prämierten bestreiten die Vorwürfe oder äußern sich nicht dazu. So wirft die Jury dem Tchibo Direct-Versand vor, die Anschriften von Kunden am Adressenmarkt weiterzuverkaufen. Tchibo Direct selbst sichert die vertrauliche Behandlung der persönlichen Kundendaten zu. In der Kategorie Arbeitswelt wurde Lidl benannt: "Besonders auszeichnungswürdig erschien der Jury die heimliche Videoüberwachung in einigen der deutschen Filialen", hieß es.
Auch zwei Ministerinnen gerügt
Dem Elektronikhersteller Canon wird vorgeworfen, dass seine Farbkopierer auf allen Ausdrucken unsichtbare Kennnummern hinterließen. Dafür habe die Jury Beweise. Die Bundesagentur für Arbeit wird kritisiert, weil die Antragsbögen für das ALG II vielerlei Fragen über persönliche Vermögensverhältnisse enthielten.
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt wiederum ist wegen der Gesundheitsreform ins Visier der Datenschützer geraten: Seit dem 1. Januar 2004 rechneten die Krankenkassen die Kosten nicht mehr anonymisiert und fallbezogen ab, sondern erhielten neben den Rechnungen von Apotheken und Krankenhäusern auch die von sämtlichen ambulanten Behandlungen personenbezogen übermittelt. Damit entstehe bei den Krankenkassen ein lückenloses Krankheitsprofil sämtlicher Mitglieder. Trotz rechtzeitiger Warnungen sei das System nicht geändert worden. Justizministerin Brigitte Zypries wurde für das Festhalten am Großen Lauschangriff kritisiert.
Auch die Universität Paderborn wird gerügt, weil Hörsäle und Rechnerräume mit Videokameras überwacht würden. Außerdem kritisierten die Juroren einen Gladbecker Hersteller von Kinder-Peilsystemen für besorgte Eltern wegen des "Ausnutzens diffuser Ängste".
Auch Datenschutzbeauftrage gegen Hartz IV
Auch die Die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern sehen erhebliche datenschutzrechtliche Mängel bei der Umsetzung der Arbeitsmarktreform Hartz IV durch die Bundesagentur. Bei der Antragstellung sei der Datenschutz nicht angemessen berücksichtigt worden, kritisierten sie am Freitag nach Abschluss ihrer Jahrestagung in Saarbrücken. Bei den Anträgen für das Alg II werde das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt, rügte der Datenschutzbeauftragte des Bundes, Peter Schaar. 50.000 bis 60.000 Sachbearbeiter hätten derzeit bundesweit Zugriff auf die Antragsbögen. Es gebe keine Protokollierung der Zugriffe auf die Daten. Damit könne auch ein eventueller Missbrauch nicht zurückverfolgt werden.
Unterdessen geht aus einem Beschluss des Karlsruher Bundesverfassungsgerichtes hervor, dass beim Ausfüllen der Anträge für das Alg II keine persönlichen Angaben über Mitbewohner einer Wohngemeinschaft gemacht werden müssen. Einer Gerichtssprecherin zufolge betreffen die Angaben nur solche Partner, mit denen der Arbeitslosengeldempfänger in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebt. Das Gericht ließ die Verfassungsbeschwerde einer Frau, die als Untermieterin bei einem Sozialhilfeempfänger lebt, nicht zu. Als "bloße Mitbewohnerin" gehöre sie nicht zu der so genannten Bedarfsgemeinschaft, in der sich Lebenspartner gegenseitig unterstützen müssen, hieß es in dem Beschluss.
Spiegel Online, Hamburg
, 29. Oktober 2004
Original: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,325746,00.html