Seit Ver.di im Lidl-Schwarzbuch die Arbeitsbedingungen bei der Handelskette anprangerte steht der Konzern unter verschärfter öffentlicher Beobachtung. Nun will die Gewerkschaft ähnliche Dossiers über weitere Discounter vorbereiten. Auch Lidl droht wieder Ungemach.
Hamburg - "Die Resonanz auf das Lidl-Schwarzbuch hat uns gezeigt, dass ähnliche Maßnahmen bei anderen Unternehmen nötig sind", sagte eine Ver.di-Sprecherin gegenüber SPIEGEL ONLINE. Nach Erscheinen der Lidl-Schrift hätten Angestellte weiterer Handelsunternehmen auf Missstände hingewiesen.
"Ein Aldi- oder Schlecker-Schwarzbuch wäre möglich", sagte die Sprecherin mit Blick auf Handelsketten, die aufgrund der Arbeitsbedingungen bei Gewerkschaften ebenfalls einen schlechten Ruf haben. Besonders die Drogeriekette Schlecker geriet zuletzt immer wieder in die Schlagzeilen. In den Filialen gebe es zu wenig Personal, kritisierte Ver.di. Angestellte seien häufig allein in den Geschäften, was das Risiko von Überfällen deutlich erhöhe. Konkrete Zeitpläne für weitere Schwarzbücher gibt es laut Ver.di noch nicht.
Ver.di will es bei einem Schwarzbuch über Lidl nicht belassen. "Es wird auf jeden Fall eine Neuauflage geben, in der auch die Situation im europäischen Ausland zur Sprache kommt", sagte die Gewerkschaftssprecherin. Lidl wollte die Initiative nicht kommentieren.
Auslöser für die Ausweitung des Schwarzbuchs war laut Ver.di die Resonanz auf die erste Auflage. Unter anderem hätten sich Lidl-Mitarbeiter aus Frankreich, Norwegen und Finnland gemeldet. Besonders zahlreich seien die Reaktionen aus Tschechien gewesen.
Wann das Europa-Schwarzbuch über Lidl erscheint, steht noch nicht fest. Die Gewerkschaft verweist aber auf die lang andauernde Vorbereitungszeit bei der ersten Auflage.
Gleichwohl treibt Ver.di die Kampagne gegen Lidl in Deutschland weiter voran. Der Fachbereich Handel will laut einem Bericht der Gewerkschaftszeitung "Publik" Kollegen aus anderen Unternehmen dazu auffordern, ihnen bekannte Lidl-Mitarbeiter bei der Gründung von Betriebsräten zu unterstützen. "Wir brauchen Aktive, die Kontakte knüpfen", sagte die zuständige Ver.di-Sekretärin Agnes Schreieder.
In einem zweiten Schritt will die Arbeitnehmerorganisation laut Schreieder Patenschaften organisieren, die "sich schützend vor die Kolleginnen stellen, die bei Lidl Betriebsräte wählen wollen". Als Beispiel nannte die Ver.di-Frau Kirchen oder Menschen aus sozialen Gruppen.
Die Lidl-Dokumentation war am 10. Dezember in einer Auflage von 8000 Exemplaren veröffentlicht worden. Wegen der großen Nachfrage mussten nach Angaben von Ver.di noch vor Weihnachten 10.000 Exemplare nachgedruckt werden. Überwachung, Drill und Hetze seien an der Tagesordnung, heißt es in dem Buch. Anschreien, beleidigen und Unterstellung von Straftaten gehörten zum Standardrepertoire der Verkaufsleiter.
"Bei Lidl wird gezielt ein Klima der Angst geschaffen, damit die Beschäftigten auf die Einhaltung ihrer Rechte verzichten", sagte Ver.di-Vorstandsmitglied Franziska Wiethold. Die Gewerkschafterin warf dem Unternehmen auch vor, die Wahl von Betriebsräten verhindern zu wollen.
Der Discounter wies die Vorwürfe zurück. Auf eine Auseinandersetzung vor Gericht wollte Lidl bislang verzichten. Der Konzern mit Sitz im schwäbischen Neckarsulm wirft Ver.di seit längerem eine "Diffamierungskampagne" vor.
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SPIEGEL-DOSSIERS:
· Einzelhandel: Die Billig-Gesellschaft (13.12.2004)
http://www.spiegel.de/archiv/dossiers/0,1518,332227,00.html [?]
Jörn Sucher
Spiegel Online, Hamburg
, 25. Januar 2005
Original: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,338465,00.html