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Kultus- und Innenminister räumen ab

BIG BROTHER AWARDS 2006

Für Ihr Vorhaben, eine bundesweite Schülerdatenbank aufzubauen, haben die Kultusminister heute einen Big Brother Award bekommen. Weitere Datenschutz-Negativpreise gingen an die Innenministerkonferenz und Philips.

Der Datenschutz gerät zunehmend ins Hintertreffen. Nicht nur, weil sich Menschen in Nachmittagstalkshows und in Weblogs schamlos ausbreiten - und das eigentlich Private öffentlich machen. Vor allem die immer umfassenderen technischen Möglichkeiten, die natürlich auch genutzt werden wollen, machen den Hütern der Privatsphäre Sorgen. Beim Telefonieren, Einkaufen, Surfen - überall hinterlässt der Mensch heutzutage Datenspuren, die sich speichern, sammeln und auswerten lassen.

Für Unternehmen wie auch Behörden ist das verlockend: Wenn die Daten oder eine Erfassungstechnik schon mal da sind, dann könnte man sie ja auch noch für ganz andere Zwecke nutzen - siehe Beispiel TollCollect. Die Kameras über der Autobahn, eigentlich zum Überwachen von Lkws gedacht, sollen künftig auch Pkws erfassen - so wünscht man es sich zumindest in deutschen Innenministerien. Wer wann wo auf der Autobahn fährt, wäre dann kein Geheimnis mehr.

Der Bielefelder Verein FoeBuD klopft solchen Datensammlern schon seit Jahren auf die Finger. Die heute verliehenen Big Brother Awards - der Datenschutz-Negativpreis für Deutschland -, haben sich zu einer festen Institution entwickelt - zum Glück. Denn an dreisten Datenhortern und unsensiblen bis ignoranten Politikern herrscht kein Mangel: Von der Payback-Rabattkarte über das Fußball-WM-Organisationskomitee bis zum ehemaligen Innenminister Otto Schily - die bisherigen Preisträger sind nicht irgendwelche unseriöse Kleinunternehmen oder Politiker aus der zweiten Reihe.

Erfasst: Deutschlands Schüler

Das zeigt sich auch in diesem Jahr. Den Vogel haben zweifellos die Kultusminister der Länder abgeschossen, die lebenslang gültige Schüler-IDs einführen wollen. Jeder Schüler soll in einer Datenbank erfasst werden mit Angaben zu Geschlecht, Geburtsdatum, Muttersprache, Staatsangehörigkeit, Konfession, Schule, Förderschwerpunkten (also auffälligen Defizite in bestimmten Lernbereichen) und der Herkunft (Spätaussiedler oder Migrant). Mit dieser nationalen Bildungsdatenbank wollen die Minister die Schulbildung verbessern - Stichwort Pisa.

Die Big-Brother-Award-Jury kritisierte diese Datenerfassung, weil diese weder an feste Zwecke gebunden noch vor Missbrauch und unberechtigtem Zugriff geschützt sei. "Ob Statistiken über individuelle Schülerlaufbahnen die Bildungsmisere beseitigen, sei dahingestellt", heißt es in der Begründung für den Preis in der Kategorie "Behörden und Verwaltung".

"Müssen wir in Zukunft befürchten, dass wir mit 30 in Bremen keinen Kredit, keine Lebensversicherung oder Job mehr bekommen, weil wir zwischen 12 und 18 in München drei Klassen wiederholt haben?", fragte Karin Schuler in der Laudatio. Es handle sich um "ein Pisa-gleiches Desaster in Sachen Datenschutz und Demokratieverständnis". Schuler schloss ihren Vortrag mit "Herzlichen Glückwunsch, Kultusministerkonferenz! Setzen: Sechs."

Verdachtsdatei und verdachtsunabhängige Tonaufzeichnung

Auch die Innenministerkonferenz bekam einen Big Brother Award in der Kategorie "Politik" - für ihren Beschluss, eine zentrale Anti-Terror-Datei zu errichten, die, so die Jury, "zu einer 'sicherheitspolitischen Wiedervereinigung' von Polizei und Geheimdiensten führt". Fast 40 Sicherheitsbehörden von BND, MAD und Verfassungsschutz über Bundespolizei und Landeskriminalämter bis hin zum Zollkriminalamt sollten personenbezogene Daten von Terrorverdächtigen und deren Kontaktpersonen einspeichern und darauf Zugriff erhalten.

Mit dieser "gemeinsamen Verdachtsdatei" werde eine wichtige demokratische Lehre aus der deutschen Geschichte weitgehend entsorgt: die strikte Trennung von Polizei und Geheimdiensten, mit der eine unkontrollierbare Machtkonzentration der Sicherheitsapparate verhindert werden sollte.

Ein weiterer Preis in der Kategorie "Politik" ging an die Mitglieder des 4. Landtags von Mecklenburg-Vorpommern für die "gesetzliche Erlaubnis zur verdachtsunabhängigen Tonaufzeichnung" in öffentlichen Gebäuden und auf öffentlichen Plätzen in ihrer Umgebung sowie in öffentlichen Verkehrsmitteln. "Gerade vom Landtag eines der neuen Bundesländer hätte man 17 Jahre nach der Auflösung der DDR auch historisch eine andere Sensibilität erwarten können", sagte Laudator Alvar Freude.

Verräterrische Rohlinge

Die übrigen drei Big Brother Awards gingen an Philips, den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) und die Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication (SWIFT).

Philips bekam den Preis in der Kategorie "Technik", weil CD-Brenner des Unternehmens eindeutige Seriennummern auf Rohlinge schreiben, die eine Rückverfolgung von Datenträgern zum Brenner ermöglichen. Begründet wird dies mit der Notwendigkeit, Raubkopierer ermitteln zu wollen. Dabei sei es in Deutschland nicht strafbar, Musik-CDs oder Filme für den privaten Gebrauch zu brennen, betonte die Jury. Lediglich ein technisch wirksamer Kopierschutz dürfe nicht umgangen werden.

Der Versicherungswirtschaft warf die Jury vor, eine zweifelhafte Warndatei mit Daten von Millionen Bürgern zu betreiben, und zwar "ohne rechtliche Grundlage und ohne Wissen der Betroffenen". Die Datei "Unwagnis" dient nach Aussagen des Verbands GDV der Aufdeckung von Versicherungsbetrug. "Tatsächlich ist sie eine schwarze Liste, in der alle Personen landen, die irgendeine angeschlossene Versicherung für ein 'schlechtes Risiko' - also nicht so lukrative Kunden -, hält", sagte Foebud-Sprecherin Rena Tangens in der Würdigung.

Sie sind ein Unwagnis!

Etwa zehn Millionen Einträge seien in der Uniwagnis-Datei. Man könne schneller in der Datenbank landen als einem lieb sei. Wer in einen Auto-Unfall verwickelt werde, aber nicht das eigene Auto gefahren habe, sei schon verdächtig. Wer zudem noch Student sei oder das Auto eines WG-Freundes benutzt habe, sammle zusätzliche Negativpunkte auf einer "geheimen Skala" des versicherungseigenen Scoring-Systems.

"Sobald Sie 60 Punkte überschritten haben - egal aus welchen Gründen - gelten Sie bei Ihrer Kfz-Haftpflicht plötzlich als 'verdächtige Kundin' und landen in der Warndatei der GDV", sagte Tangens. "Und weil Sie als verdächtig eingestuft werden, gilt das Gleiche auch für alle an Ihrem Unfall Beteiligten: die Halterin des Fahrzeugs, der freundliche Zeuge und der Sachverständige, der Ihren Schaden begutachtet hat."

SWIFT-Europa wurde wegen der Übermittlung von Überweisungsdaten an US-Behörden kritisiert. Die Gesellschaft stelle den US-Behörden seit fast fünf Jahren über ihr US-amerikanisches Operation-Center die Daten internationaler Banktransaktionen zur Verfügung. Dabei werden nicht nur die Daten weitergegeben, bei denen Konten in den USA betroffen sind, sondern SWIFT spiegle auch seine innereuropäischen Daten zur Sicherung auf die Server von SWIFT-USA. Stellvertretend wurde der Preis Roland Böff, Senior Vice President der Bayrischen Hypo- und Vereinsbank und Wolfgang Gaertner (CIO, Deutsche Bank) verliehen.

Apropos verliehen: Abgeholt haben sich den Preis in den vergangenen Jahren - er wurde heute bereits zum sechsten Mal verliehen -, nur die wenigsten. Am mutigsten zeigte sich Microsoft. Das Unternehmen, 2002 wegen seines Digitalen Rechtemanagements (DRM) "geehrt", schickte immerhin seinen Datenschutzbeauftragte Sascha Hanke nach Bielefeld, um den Preis persönlich in Empfang zu nehmen. Man sei nicht erfreut über den Preis, erklärte Hanke, akzeptiere aber das Urteil der Jury. Der Preis zeige, dass die Kommunikation über Technik Windows Media Player und des DRM nicht optimal gelaufen sei.

Holger Dambeck

Spiegel Online, Hamburg, 20. Oktober 2006
Original: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,443749,00.html

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