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BIG BROTHER AWARDS 2007

Die Strafe für zu viel Datenhunger

Justizministerin Brigitte Zypries hat ihn längst, Wolfgang Schäuble aber bekommt ganz bewusst keinen: Statt seiner werden heute in Bielefeld acht andere Preisträger mit dem Big Brother Award für Datenkraken ausgezeichnet.

Die Vermutung lag so nah, doch die Jury der BigBrotherAwards ist ihr nicht gefolgt: Innenminister Wolfgang Schäuble wird auch in diesem Jahr nicht mit einem "Oskar für Datenkraken" ausgezeichnet.

Der BigBrotherAward: Wird von den Preisträgern in der Regel nicht abgeholt Thorsten Möller

Der BigBrotherAward: Wird von den Preisträgern in der Regel nicht abgeholt Klar, schrieb schon im Vorfeld der "Nichtlaudator" Rolf Gößner in seiner Begründung dafür, dass Schäuble wieder leer ausgeht, sei der natürlich der "Traumkandidat für den BigBrotherAward" gewesen. Doch "überqualifiziert wie seinerzeit nur sein Vorgänger im Amt, Otto Schily" bestünde bei Schäuble die Gefahr, dass der die Anti-Auszeichnung tatsächlich als Ansporn begreifen könnte.

Diese Gefahr ist sonst wohl kaum gegeben. Der BigBrotherAward ist ein echter Anti-Preis, den niemand haben will. Seit 2000 versucht er, berechtigte Bedenken gegen den wachsenden Datenhunger und den zunehmend schludrigen Umgang mit schützenswerten Informationen ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. In diesem Jahr gibt es Auszeichnungen in acht Kategorien.

Der BigBrotherAward wird in Deutschland vom "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V." (FoeBuD e.V.) organisiert. In der Jury sitzen Vertreter von Datenschutz- und Menschenrechtsorganisationen sowie vom Chaos Computer Club CCC. Der Preis soll als Negativauszeichnung verstanden werden, auf Fehlentwicklungen im Bereich des Datenschutzes hinweisen. Die Auszeichnung wird in bis zu dreizehn Ländern vergeben. Initiiert wurde der BigBrotherAward 1998 von der britischen Organisation Privacy International.

Die Verleihung der deutschen Preise begann am Freitag gegen 18 Uhr in Bielefeld. Die vollständigen Laudatios sind in den nächsten Tagen über die Webseite der Awards abrufbar.

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Die Preisträger mit Kurzbegründungen der Jury

Arbeitswelt: Novartis Pharma GmbH Ausgezeichnet wird die Firma wegen der "Bespitzelung ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die damit verbundene Verletzung grundlegender Persönlichkeitsrechte". In der Anti-Laudatio heißt es dazu: "Man erwartet jedenfalls nicht, dass es zum Standard gehört, Mitarbeitern im Außendienst in großem Stil Detektive hinterherzuschicken, um minutiös deren Arzt- und Apothekenbesuche zu protokollieren. Man erwartet auch nicht, dass die Ergebnisse von Erhebungen am Arbeitsplatz, für die ausdrücklich Anonymität zugesichert wurde, dem einzelnen Mitarbeiter von der Personalabteilung bewertet zurückgegeben werden. Genauso wenig erwartet man, dass die mit der Durchführung beauftragte Agentur entsprechende Beschwerden mit dem Satz kommentiert 'So naiv kann man doch nicht sein!'"

Verwaltung: Generalbundesanwältin Monika Harms Monika Harms wird "für ihre Antiterror-Maßnahmen gegen Gegner des G8-Gipfels im Mai dieses Jahres, insbesondere für die systematischen Briefkontrollen in Hamburg und die Anordnung, bei Gipfelgegnern Körpergeruchsproben aufzunehmen und zu konservieren" gewürdigt.

Regional: Behörde für Bildung und Sport der Freien und Hansestadt Hamburg Die Einrichtung eines "Schülerzentralregisters mit dem (Neben-) Zweck, ausländische Familien ohne Aufenthaltserlaubnis aufzuspüren" hielten die Juroren für preiswürdig.

Politik: Finanzminister Peer Steinbrück ...schlägt Schäuble mit der "Einführung einer lebenslangen Steuer- Identifikationsnummer (Steuer-ID) für alle Einwohnerinnen und Einwohner der Bundesrepublik Deutschland".

Kommunikation: Bundesjustizministerin Brigitte Zypries ...erntet bereits ihren zweiten BigBrotherAward "für den Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung. Mit diesem Gesetzentwurf soll in Deutschland die Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations-Verbindungsdaten eingeführt werden. Die Bundesinnenministerium ignoriert damit bewusst die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das bereits 1983 im Volkszählungsurteil festgelegt hatte, dass die Sammlung von nicht anonymisierten Daten zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken mit dem Grundgesetz unvereinbar ist."

Technik: PTV PlanungTransport Verkehr AG ..."für ihr System zur individuellen Berechnung der Kfz-Versicherung mittels eines so genannten 'Pay as you drive'-Systems, also einem Gerät, das Fahrtroute und Fahrverhalten aufzeichnet und an die Versicherung meldet."

Wirtschaft: Deutsche Bahn AG Die Bahn findet sich am Datenkraken-Pranger, weil sie "systematisch anonymes Reisen auf vielfältige Art und Weise unmöglich macht: Auflösen von Fahrkartenschaltern, Automaten ohne Bargeldannahme, personalisierter Kauf im Internet, Abfrage/Speicherung des Geburtsdatums und Zwangsabgabe eines Bildes bei Bahncards, flächendeckende Videoüberwachung und ein RFID-Chip in der Bahncard 100 ohne Kunden zu informieren."

Verbraucherschutz: Internationale Hotelketten in Deutschland Hier wird gleich eine ganze Branche per Auszeichnung gerügt. In der Begründung werden "z.B. Hyatt, Mariott, Intercontinental etc. für die Erfassung und zentrale Speicherung äußerst persönlicher Daten ihrer Gäste ohne deren Wissen" genannt. "Dazu", heißt es weiter, "gehören Trink- und Essgewohnheiten, Pay- TV-Nutzung, Allergien, alle privaten und beruflichen Kontaktadressen, Kreditkartendaten, Sonderwünsche und Beschwerden - alles wird festgehalten."

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Spiegel Online, Hamburg, 12. Oktober 2007
Original: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,511164,00.html

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