Negativpreise für besonders eifrige Datensammler in Staat und Wirtschaft: Bürgerrechtsaktivisten und Datenschützer zeichnen jedes Jahr Firmen und Organisationen mit den Big Brother Awards aus. Dieses Jahr unter den so Gescholtenen: Apple, Facebook - und die Volkszähler der Bundesregierung.
Bielefeld - Wolfgang Schäuble hat schon einen, Otto Schily sogar zwei: In diesem Jahr erhält der Vorsitzende der Zensuskommission Gert G. Wagner einen Big Brother Award - eine Auszeichnung von Datenschutzaktivisten für unersättliche Datensauger bei staatlichen Stellen und in der Wirtschaft. Wagner wird stellvertretend für die Zensuskommission ausgezeichnet - und anders als seine prominenten Vorgänger hat Wagner die Einladung zur Preisverleihung in Bielefeld sogar angenommen.
Ausgelobt wird der Big Brother Award vom Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V. (FoeBuD). In der Jury sitzen Vertreter von Datenschutz- und Menschenrechtsorganisationen sowie vom Chaos Computer Club.
Die Datenschutzaktivisten kritisieren die erste staatliche Sammlung von Informationen über die Lebensumstände aller Bundesbürger seit 1987 als "Vollerfassung". Bei dieser Volkszählung würden "sensible Persönlichkeitsprofile von über 80 Millionen Menschen erstellt", diese seien dann bis zu vier Jahre nach dem Stichtag am 09. Mai 2011 personenbezogen verfügbar. Die Jury bemängelt, dass Daten aus "Melderegistern, von der Bundesagentur für Arbeit und bundesbehördlicher Arbeitgeber zweckentfremdet" würden, dass die Betroffenen nicht "rechtzeitig und ausreichend darüber informiert werden oder dem widersprechen könnten".
Zensus-Chef wiegelt ab: "vergleichsweise langweilige Daten"
In der Tat sammelt der Staat beim Zensus aus unterschiedlichen Datenbanken (zum Beispiel Melde- und Erwerbsregister) aber auch bei Befragungen von Hausverwaltungen und Eigentümern und Haushalten Informationen über Staatsangehörigkeit, Migrationshintergrund, Beruf und Erwerbsstatus. In einigen Punkten wollen die deutschen Statistiker mehr wissen als die EU-Vorgaben zum Zensus vorschreiben, dazu gehört die rechtliche Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, Glaubensbekenntnis und der erweiterte Migrationshintergrund.
Der Vorsitzende der Zensuskommission Wagner hatte in einem Interview mit dem " Handelsblatt" Anfang März erklärt, beim Zensus würden "vergleichsweise langweilige Daten erhoben". Für Marketing-Zwecke etwa seien diese "total ungeeignet". Wagner zog damals den wenig treffenden Vergleich:
"Was Google über jemanden abspeichert, der eine Suchanfrage startet, sagt viel mehr über eine Person aus. Und bei Facebook finde ich doch auch viel interessantere Informationen über meine Nachbarin, als wenn ich die Volkszählungsdatei knacke."
Das stimmt vielleicht in Einzelfällen - aber gegen die Zensus-Datenerhebung kann niemand Einspruch erheben, die Teilnahme bei den Stichprobenbefragungen ist sogar Pflicht - Google-Suchanfragen hingegen sind es nicht.
Ein Preis für Facebook
In der Kategorie Kommunikation gibt es einen Big Brother Award für die "Gated Community" Facebook. Die Jury kritisiert unter anderem, dass Facebook sich mit verschiedenen Anwendungen wie zum Beispiel der iPhone-App "Telefonnummern und E-Mail-Adressen aus den Adressbüchern der Nutzer" aneigne.
Im Mai 2010 berichtete SPIEGEL ONLINE über die Praxis Facebooks, beim Synchronisieren der iPhone-Anwendung mit dem Dienst alle privaten E-Mail-Adressen, Geheimnummern und dazu auch die Namen aus dem Adressbuch des Telefons in Facebooks Datenbanken zu laden. Das Unternehmen speichert diese Daten, um Kontaktnetzwerke zu analysieren.
Inzwischen hat sich an dieser Praxis vor allem eines geändert: Inzwischen können die Nutzer - nachträglich - die aus ihrem Telefon hochgeladenen Daten bei Facebook löschen. An der Tatsache, dass Facebook sich von Nutzern die Zustimmung zu diesem Datenabgriff holt, ohne klar über die Verwendung zu informieren, hat sich jedoch nichts geändert. Bei einem Versuch Ende März informierte eine neu installierte Facebook-iPhone-Anwendung über die Synchronisierung des Adressbuchs mit diesem Text:
"Wenn du diese Funktion aktivierst, werden alle Kontakte von deinem Handy (Name, E-Mail-Adresse, Telefonnummer) an Facebook gesendet und unterliegen dann den Datenschutzrichtlinien von Facebook. Zudem werden die Profilbilder deiner Freunde sowie andere Informationen von Facebook zu deinem iPhone-Adressbuch hinzugefügt. Bitte stelle sicher, dass deine Freunde mit deiner Nutzung ihrer Daten einverstanden sind."
Diese Erklärung unterschlägt nach wie vor, dass nicht nur alle Kontakte an Facebook gesendet, sondern dort auch dauerhaft gespeichert werden, solange der Nutzer sie nicht löscht.
Apple zeigt 117 iPhone-Seiten Datenschutzbestimmungen
Apple erhält einen Big Brother Award für die - so heißt es in der Laudatio - "Geiselnahme ihrer Kunden mittels teurer Hardware und die darauf folgende Erpressung, den firmeneigenen zweifelhaften Datenschutzbedingungen zuzustimmen".
Die Jury kritisiert, das iPhone sei quasi unbenutzbar, solange man nicht den Datenschutzbedingungen zustimme, die Apple in den Nutzungsbedingungen auflistet. Diese ziehen sich bei der Darstellung auf dem iPhone über 117 Bildschirmseiten hin. Darin lasse sich Apple reichlich Freiheiten zugestehen, unter anderem zur Datenweitergabe und präzisen Standortbestimmung.
Gerade die automatische Erhebung und Verarbeitung von GPS-Daten, die vom iPhone an Apple gesendet werden, hatte 2010 für Wirbel gesorgt. Vor allem, weil Apple nicht erklärt, welche Daten dabei erhoben und mit welchen anderen Daten sie verknüpft werden. Auf eine erneute Anfrage von SPIEGEL ONLINE zu den Fragen, die wir schon im Juni 2010 gestellt hatten, reagierte Apple mit der Standardantwort: "Kein Kommentar".
Die weiteren Preisträger
* Der deutsche Zoll wird ausgezeichnet, weil er Firmen im Zuge von Handelserleichterungen zu freiwilligen Sicherheitsüberprüfungen auffordere, bei denen Daten von Mitarbeitern mit EU- und teilweise auch mit US-Anti-Terror-Listen abgeglichen werden. Dabei ist das in Deutschland eigentlich datenschutzrechtlich unzulässig. * Die Daimler Benz AG in der Kategorie Arbeitswelt, weil sie "ohne Rücksicht auf Persönlichkeitsrechte" flächendeckend Bluttests von ihren Produktionsmitarbeitern einfordert. * Der Verlag für Wissen und Innovation in Starnberg im Bereich Verbraucherschutz, weil er Adressen sammelt, indem er an Schulen Büchergutscheine verteilen lässt, die nur einlösbar sind, "wenn man Namen und Anschrift des Kindes und mindestens eines Elternteils zurückmeldet." * Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) in der Kategorie Politik, weil er im Rahmen der Proteste gegen einen Castor-Transport im Wendland "den ersten nachgewiesenen polizeilichen Einsatz einer Mini-Überwachungsdrohne bei politischen Versammlungen" genehmigt hat. * Die Modemarke Peuterey, vertreten durch die Düsseldorfer Modeagentur Torsten Müller, in der Kategorie Technik, "weil sie Kleidung mit verdeckt integriertem RFID-Chip in Verkehr bringt, der berührungslos auslesbar ist, ohne dass die Kunden das bemerken."
Matthias Kremp und Konrad Lischka
Spiegel Online, Hamburg, 01. April 2011
Original: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,753991,00.html