Volkszählung - das galt in den achtziger Jahren vielen als Synonym für den Schnüffelstaat. Aus Angst vor dieser Stimmung brennt das Statistische Bundesamt nun ein wahres PR-Feuerwerk für den Zensus 2011 ab. Dabei ist die Öffentlichkeit in Zeiten von Facebook, Google & Co. ganz anderes gewohnt.
Berlin - Straßensperren mit Autodurchsuchungen, Wohnungsrazzien, aufgebrochene Büros von Bundestagsabgeordneten - um die umstrittene Volkszählung vor knapp 25 Jahren durchzusetzen, setzte der Staat damals auf brachiale Methoden. Millionen Deutsche protestierten, die Republik war 1987 in heller Aufregung.
Roderich Egeler ist ein freundlicher Herr mit grauem Vollbart, er sitzt an diesem Montagmorgen im Haus der Bundespressekonferenz vor mehreren Mikrofonen und sagt: "Bei vielen ruft das Thema Erinnerungen an kontroverse Debatten im vergangenen Jahrhundert wach." Das Thema - damit meint er die aktuelle Volkszählung, für die Egeler als Präsident des Statistischen Bundesamtes die Verantwortung trägt. Unter dem Titel "Zensus 2011" versucht sich der Staat zum ersten Mal seit 1987 an einer breiten Erhebung unter den Deutschen. Etwa ein Drittel der Bürger werden dafür direkt befragt, der Großteil der Informationen stammt aus staatlichen Datenbanken.
Und Eines ist für Egeler und seine Leute klar: So wie damals darf es nicht kommen.
Sie haben dafür eine Menge Geld in die Hand genommen. Bis zum 9. Mai, dem sogenannten Stichtag des Zensus 2011, an dem die neue Volkszählung startet, wird das Land von einer PR-Welle sondergleichen überrollt werden: Kinospots mit 45 Sekunden Länge sind gebucht, genau wie halbminütige TV-Filmchen auf sechs Fernsehsendern, die auch auf verschiedenen Online-Portalen und YouTube laufen sollen. Natürlich gibt es auch Großflächenplakate in zahlreichen Großstädten und Anzeigen. Eine eigene Internetseite wurde ebenso gestaltet. Für die Volkszählung sind Kosten von 710 Millionen Euro veranschlagt, einige werden sicher für die Werbekosten draufgehen.
Sogar ein extra Logo hat man sich geleistet, Equalizer nennen es die Bundes-Statistiker: drei Säulen in schwarz-rot-gold, die im bewegten Bild ständig ihre Form verändern. Luftig sieht das aus, und sehr modern. Ach ja, und es wird natürlich viel gute Laune verbreitet rund um den Equalizer. Lächelnde Rentner, lächelnde Studenten, lächelnde Mütter.
Volkszählung ist toll, lautet die Botschaft.
Es ist ein Werbespektakel, das nur einen Grund haben kann: Die Angst vor einem Achtziger-Revival scheint tief zu sitzen bei den Volkszählern des neuen Jahrtausends. "Transparenz und Dialog" stünden beim Zensus 2011 im Vordergrund, sagt Chef-Statistiker Egeler. Und er beteuert: "Die Sorgen der Kritiker werden ernst genommen."
Zentrales Argument der Zensusmacher: Die Befragung wird nicht aus statistischer Lust und Laune durchgeführt, sondern weil der Staat dringend aktuelle Daten über seine Bevölkerung braucht. Nur so kann die Politik "die Zukunft unserer Gesellschaft planen", sagt Egeler. Mit dem gleichen Argument versuchte man auch in den achtziger Jahren, den Deutschen die Volkszählung schmackhaft zu machen. Der erste Anlauf scheiterte allerdings 1983 vor dem Bundesverfassungsgericht, weshalb die Bürgerbefragung erst vier Jahre später stattfinden konnte.
Nur eingefleischte Datenschützer protestieren
Aber es gibt auch einen großen Unterschied: Die Volkszählung in den achtziger Jahren trieb die Deutschen so um wie sonst nur Tschernobyl und die Nuklear-Raketen vor der Haustür - dagegen ist die "zensuskritische Öffentlichkeit" im Jahr 2011, wie sie von Egeler und seinen Kollegen genannt wird, nicht mehr als eine kleine Gruppe von Datenschutzpuristen. Facebook, Google & Co. machen seit Jahren Dinge, die teilweise tief in die persönliche Sphäre der Nutzer eindringen. Wenn schon daran kaum einer Anstoß nimmt - warum soll es dann die anstehende Befragung der braven Volkszähler tun?
Natürlich ist man in Datenschützerkreisen auf den Zinnen wegen der Volkszählung: Gert J. Wagner, Chef der Zensuskommission, bekam deshalb kürzlich den Negativ-Preis Big Brother Award überreicht. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hat die Volkszähler zu besonderer Vorsicht gemahnt, einige Kollegen aus den Ländern üben Kritik an Details.
Breiter Widerstand sieht anders aus.
Michael Ebeling vom "Arbeitskreis Zensus" hat es am Montag wieder mal versucht. Auf der Volkszählungs-Pressekonferenz in Berlin stellte er eine kritische Frage nach der anderen: Ebeling monierte die hohen Kosten für den Zensus, hinterfragte die Datensicherheit bei der Befragung.
Am Ende bemängelte er sogar die Öffentlichkeitsarbeit.
Florian Gathmann
Spiegel Online, Hamburg, 04. April 2011
Original: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,754921,00.html