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Kritik an den Big-Brother-Awards: Rituelles Schattenboxen

Ein Gastbeitrag von Jürgen Geuter

Der Negativpreis für Datenkraken hat sich überlebt. Die Big Brother Awards, vor 13 Jahren fulminant gestartet, scheint in der Zeit stehengeblieben zu sein. Statt konkreten Problemen widmet sich die Veranstaltung alten Feindbildern.

Der erste Big Brother Award, man schrieb das Jahr 2000, sorgte für großes Aufsehen. Der Negativ-Preis für Datensammler ging damals an die Payback-Karte der Firma Loyalty Partner. Die Konsequenzen der Verdatung der Welt wurden der breiten Öffentlichkeit mit Wucht bewusst, lange bevor soziale Netzwerke wie Facebook oder Internet-Giganten wie Google die Bühne betraten.

Dass elektronisch erfasste Transaktionen Spuren hinterlassen, die im Nachgang zu detaillierten Profilen zusammengepuzzelt werden können, war für viele Menschen eine neue Erkenntnis, Konsequenz einer sich beschleunigenden und weiter vernetzenden Welt. Die Big Brother Awards traten so eine öffentliche Debatte über die Verarbeitung von Daten durch Unternehmen los und beeinflussten die Gesetzgebung - bis heute. Eine beeindruckende Leistung für eine von einem kleinen Verein namens FoebuD (heute Digitalcourage) organisierte Veranstaltung.

Auch jetzt wurden die Big Brother Awards wieder vergeben. Wirkliche Begeisterung geschweige denn signifikante mediale Aufmerksamkeit will sich aber seit Jahren nicht mehr einstellen. Woran kann dieses Desinteresse liegen, wo doch die Debatte um Datenverarbeitung, Datenschutz und Privatsphäre im Internet seit einigen Jahren besonders heftig tobt, angesichts von sozialen Netzwerken und anderen Onlinediensten? Um diese Frage zu beantworten, reicht ein exemplarischer Blick auf die Preisträger der vergangenen Jahre.

Immer noch ein Innenminister

In den politischen Kategorien werden Preise an unterschiedliche Innenminister scheinbar im Rotationsprinzip vergeben: 2009 Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, 2011 Uwe Schünemann aus Niedersachen, 2012 Markus Ulbig aus Sachsen. Die Abarbeitung an immer denselben Figuren entwertet dabei jede berechtigte Kritik an einzelnen Vorgängen, bis nur noch das rituelle Schattenboxen gegen die Repräsentanten der Exekutive übrig bleibt.

In der Kategorie Kommunikation gab es 2011 zwei Preisträger: Facebook "für die gezielte Ausforschung von Menschen und ihrer persönlichen Beziehungen hinter der netten Fassade eines vorgeblichen Gratisangebots" und Apple "für die Geiselnahme ihrer Kunden mittels teurer Hardware". 2012 wurde in dieser Kategorie mit "der Cloud" eine Idee, die schon seit Anfang der siebziger Jahre als "Time Sharing" auf Mainframes bekannt ist, "als Trend, Nutzerinnen und Nutzern die Kontrolle über ihre Daten zu entziehen" ausgezeichnet.

In diesem Jahr wird in der neuen Kategorie "globales Datensammeln" nun Google dekoriert, weil sie angeblich "unter dem Deckmantel einer Suchmaschine und anderen Gratis-Diensten […] auf Schritt und Tritt Echtzeit-Daten über alles und jeden [sammle]" und "die technokratische Ideologie eines allwissenden Supercomputers [vorantreibe], der besser weiß, was Menschen wollen als sie selbst".

Welt zerstören und unterjochen

Die Begründungen der Preise werden zunehmend abstrakter und ideologischer. Vor allem fehlt ihnen die Verbindung zum realen Leben der Menschen: An die Stelle klar benannter und diskutierbarer Probleme sind regelrechte Bond-Schurken getreten, die aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen die Welt zu unterjochen oder zu zerstören planen.

Wo die Kritik der Payback-Karten im Jahre 2000 noch den Nerv einer Gesellschaft traf, in der die Menschen vor allem die Objekte, die Ziele von Datenverarbeitung und nicht auch ihre Nutznießer waren, stellt sich die Welt heute anders dar. Denn obwohl Medien kritisch über Firmen wie Facebook, Google berichten, nutzen viele Menschen ihre Dienste. Einige der Risiken dabei können Nutzer gut abschätzen. Und sie entscheiden sich, die Dienste doch zu nutzen, obwohl ihre Daten ausgewertet werden, um beispielsweise optimierte Werbung zu zeigen. Da übersteigt für viele Anwender der Nutzen die Kosten.

Es gibt allerdings auch Auswertungsmöglichkeiten, die nur sehr wenige Nutzer und auch nur wenige Experten wirklich einschätzen können. Eigentlich anonymisierte Positionsdaten von Smartphones lassen sich durch einen Abgleich mit anderen Daten wieder auf konkrete Personen beziehen, aus der Analyse von Freundschaftsnetzwerken bei Facebook kann man mit einer überraschend hohen Wahrscheinlichkeit die sexuelle Orientierung von Nutzern vorhersagen. Solche abstrakten Verfahren verstehen wenige Nutzer. Aber da schaffen die Big Brother Awards kein Verständnis.

Zeitgemäße Neuausrichtung

Der Bedeutungsverlust des Preises steht stellvertretend für das große Problem der digitalen Bürgerrechtsbewegung in Deutschland: Gefangen in ihren traditionellen Ritualen und Feindbildern sind die Entwicklung der vernetzten Gesellschaft, die neuen Bedürfnisse und auch die neuen Fragen und Problemstellungen an ihr vorbeigegangen. Die Aktivisten haben es verpasst, sich zu modernisieren, sich mit den Menschen, für die sie sprechen wollen, weiterzuentwickeln.

Genau deshalb kommen die Big Brother Awards heute ihrem Auftrag, nämlich "die öffentliche Diskussion um Privatsphäre und Datenschutz zu fördern", nicht mehr nach. Sie sind wie der ursprünglich ersehnte Besuch, der nun seit Wochen auf dem Sofa der digitalen Öffentlichkeit übernachtet und einfach nicht gehen will. Dabei wäre nichts dringender als eine zeitgemäße Neuausrichtung der digitalen Öffentlichkeit und ihrer notwendigen Debatten, jenseits der Denkweise und Dogmen des letzten Jahrtausends.

Jürgen Geuter

Spiegel Online, Hamburg, 12. April 2013
Original: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/big-brother-awards-rituelles-schattenboxen-a-894126.html

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