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Kopfstehen für Prozente

Schnäppchenjagd wird zur Wissenschaft - Kleine Geschäfte geraten unter Druck

Preisnachlässe prangen an den Schaufenstern, Rabattheftchen verstopfen die Briefkästen, und bunte Kundenkarten sprengen den Geldbeutel: Im Einzelhandel tobt ein unerbittlicher Kampf um den Kunden. Deutschland wandelt sich mehr und mehr zum Schnäppchenparadies.

Not macht erfinderisch: Ein Oldenburger Textilhändler stellte sich buchstäblich auf den Kopf, um Kunden anzulocken. Wer mitmachte, erhielt 20 Euro Rabatt. Die älteste Kundin, die der Verlockung erlag, war knapp 70 Jahre alt. Eine Familie erturnte sich sogar Sammelrabatt.

Zu solch skurrilen Aktionen lassen sich Deutschlands Einzelhändler nur in Ausnahmefällen hinreißen. Branchenexperten erwarten aber, dass die Einkaufswelt in den kommenden Jahren schriller - und vor allem unübersichtlicher wird.

Armin Busacker, Geschäftsführer des Hauptverbands des Deutschen Einzelhandels (HDE), spricht angesichts der Rabattschlachten, die im Handel toben, schon jetzt vom "Preisflimmern". Seine Beobachtung: "Einen Normalpreis, mit dem der Kunde Reduzierungen vergleichen kann, gibt es doch gar nicht mehr."

Auf dem Weg zur Aldisierung

Nachdem sich nach dem Wegfall von Rabattgesetz und Zugabeverordnung Ende Juli 2001 beinahe ein Jahr lang fast nichts bewegt hatte, sei vor allem im letzten Jahresviertel 2002 eine regelrechte Rabatt-Lawine losgetreten worden. Preissenkungen um zweistellige Prozentsätze sind schon Standard.

"Ich sehe diese Entwicklung mit Beklemmung", sagt Busacker. Schätzungen zufolge schreiben rund 70 Prozent aller Händler schon rote Zahlen. Sinken die Preise weiter, bleiben noch mehr kleine und mittelständische Unternehmen auf der Strecke. Die Großen hingegen profitieren davon.

Ein Teufelskreis tut sich auf: "Die Kaufentscheidung der Deutschen läuft fast nur noch über den Preis", sagt Busacker. Das bestätigt eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey. Ihr zufolge legen Franzosen beim Einkauf Wert auf Vielfalt, die Engländer auf Service - und die Deutschen auf niedrige Preise. Experten nennen das "Aldisierung".

Von Wahnsinn und Geiz

"Die Unternehmen wissen, dass es Wahnsinn ist, was sie da tun", sagt Bosacker. Denn durch Rabatte schrumpfen die Gewinne weiter. Doch angesichts von acht Jahren Umsatzrückgang tritt die Branche aus Verzweiflung die Flucht nach vorne an.

"Geiz ist geil", heißt eine Kampagne der Elektronikkette Saturn. Das gilt immer mehr als Credo der Verbraucher und führt zur Warteschleifen-Taktik: Sinkt der Preis für ein Produkt, greift der Kunde nicht zu, sondern wartet, bis der Preis weiter sinkt.

Schnäppchenjagd wird zur Wissenschaft

Um das Einkaufsverhalten besser zu steuern, setzen die Händler auf Marketinginstrumente wie Kundenkarten und Rabattmarken. Letztere hatten in Deutschland schon einmal Konjunktur. Nach der Währungsreform 1948 galt das Ausschnippeln und Sammeln der Marken bis in die 70er-Jahre hinein als beliebter Hausfrauensport.

Jetzt versucht die Branche, diese Mode wieder aufleben zu lassen. In Berlin wurde inzwischen eine eigene Rabattmarken-Zeitschrift ausprobiert - allerdings mit mäßigem Erfolg. Kaufhaus-Ketten verteilen Coupon-Heftchen. "Das läuft aber eher verhalten an", sagt Busacker. Auch bei den Verbrauchern.

Abgesehen von dem Aufwand, die Marken auszuschneiden und mitzunehmen, sei meist das System zu kompliziert. Der Nachlass gilt oft eng begrenzt, sowohl zeitlich als auch innerhalb des Sortiments. Schnäppchenjagd wird zur Wissenschaft. Busacker setzt aber auf die Lernfähigkeit der Branche.

Kundenkarten sind wichtiges Standbein

Viele Händler koppeln den Rabatt an Kundenkarten. Die älteste und mit rund 20 Millionen Nutzern bekannteste ist die Payback-Karte. An ihr beteiligen sich heute knapp 30 Unternehmen darunter Kaufhof, Europcar, Real oder auch Dea. Kundenkarten funktionieren unterschiedlich. Manche sammeln Bonuspunkte, für die es dann Geschenke gibt. Einige gewähren zum Jahresende je nach Kundenumsatz Gutschriften. Andere setzen auf verbilligten, bargeldlosen Einkauf.

Während manche Marktforscher den Kartenboom am Abebben sehen, weil alle Großen bereits an Bord sind und zudem nur 10 bis 15 Kärtchen in den Geldbeutel passen, rechnet Busacker mit einem Ausbau des Instruments. "Kundenkarten werden ein sehr wichtiges Standbein." Sie helfen dabei, die Angebotspolitik zu steuern. Die Karte gibt Auskunft, wer was wo für welchen Preis kauft. "Weil die Sortimente immer austauschbarer werden, wird dieses Wissen für die Unternehmen wichtig."

Sparsame Schwäbinnen

Mit Details dazu geizen die Firmen. Doch von Payback-Betreiber Loyalty, der von Datenschützern den Negativpreis "Big-Brother-Award" erhalten hat, sickerte etwas durch: Frauen im Süden Deutschlands nutzen die Karte bevorzugt - allen voran die Schwäbinnen. Ob Rabattmarken oder Kundenkarten: Vor allem Großunternehmen setzen sie ein. Der Mittelstand könne nicht mithalten und kooperiere zu selten, bedauert Busacker. Das beschleunige die Konzentration im Handel.

Einen weiteren Schub in dieser Hinsicht erwartet der Experte von den Plänen der Regierung. Sie will das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb entrümpeln. Wegfallen soll der Paragraph 7, der Sonderverkäufe regelt. "Dann haben wir das ganze Jahr über Schlussverkauf." Wird Deutschland also dauerhaft zu einem Paradies für Schnäppchenjäger? Wohl kaum. Sobald die Zahl der Wettbewerber sinkt, ist es mit Preissenkerei meist rasch vorbei.

Schwäbisches Tageblatt, 24. Januar 2003
Original: http://www.cityinfonetz.de/tagblatt/archiv/2003/das.magazin/04/artikel2.html

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