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BIG BROTHER

Besser als Speerwerfen

Ende Oktober wird in Bielefeld die dreisteste Beeinträchtigung der Privatsphäre ausgezeichnet

Matthias Schönebäumer

Yeah, Semi-Promis bespucken und RTL-Luftballons umsonst. Der Big Brother-Award kommt nach Bielefeld. Dabei ist die neue Staffel bisher eher lahm. Moment, aber das hat ja alles gar nichts mit der TV-Show zu tun, sondern mit Datenschutz und Computer-Schnickschnack. Insgesamt also so spannend wie Segeln bei Olympia. Dennoch: Es geht um den illegitimen Gebrauch von personenbezogenen Daten. Klingt verboten, daher besser als Speerwerfen.

Das Konzept des Big BrotherAwards ist es, den Firmen, Institutionen oder Organisationen eine Art Negativ-Preis zu verleihen, die In letzter Zeit besonders mit vertraulichen Daten herumgeschludert oder den Missbrauch derselben möglich gemacht haben. Sinn und Zweck dieser Aktion ist die Aufforderung zum öffentlichen Dialog über Technologien.

Durch die rasante InternetEntwicklung finden sich nämlich auch im gut organisierten deutschen Datenschutzgesetz Mittel und Wege, um Oma Bergmanns Dateien zu durchleuchten. Und weil keiner richtig durchblickt, gibt es jetzt den Big-Brother-Award für die schlimmsten šbeltäter. Mit anschließendem Denkprozess.

Und das funktioniert so: Zahlreiche Organisationen mit Verantwortungsbewusstsein reichen Nominierungen ein, aus der eine Jury den Sieger/Looser wählt. Die USA, England und - ausgerechnet - ™sterreich haben die Aktion gestartet, da will Deutschland nicht hinterhergucken und schickt eine imposante Nerd-Elite Ins Rennen, um den Schlitzohren auf die Finger zu hauen. Nicht nur das "Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung" engagiert sich, sondern auch das Verbraucherinstitut und der Bundesdatenschutzbeauftragte.

Die Ausrichter des Awards stammen jedoch aus Bielefeld. Der "Verein zur Förderung des öffentlichen und unbewegten Datenverkehrs", kurz FoeBud e.V., existiert bereits seit 1987 und vereint seitdem Menschen, die sich um den "schöpferisch-kritischen Umgang mit Wissenschaft und Technik" bemühen. Dabei soll es um Veränderungen, neue Kulturtechniken und die Auseinandersetzung mit der sich ständig komplexer bewegen den Informationswelt gehen. Einzelne FoeBud-Mitglieder berieten zum Beispiel eine Bundestagskommission zum futuristischen Medienwirrwarr. Vor zwei Jahren gewann man den Medienpreis "Sinnformation".

Daneben setzen sich die Mitglieder des Vereins verstärkt für die allgemeine Zugänglichkeit von öffentlichen Informationen ein, damit sich auch der letzte Mitbürger der Info-Flut hingeben und mit jedem über alles kommunizieren kann.

"Mediencafe" heißt die Vision, die auch Oma Bergmann auf den Datenhighway und zurück schickt. In den Vereinsräumen des FoeBud funktioniert diese Idee schon prima, nur das nötige Kleingeld fehlt noch zum breiteren Zugriff.

Wie sehr diese Wunschvorstellungen allerdings mit der Intention des Big BrotherAwards kollidieren, scheint auch FoeBud noch nicht aufgefallen zu sein. Die bisher fehlende Aufmerksamkeit der ™ffentlichkeit könnte mit der Verleihung des Big BrotherAwards am 26. Oktober im Bunker Ulmenwall schnell zunehmen, denn selten war der Zeitpunkt für politisch korrekte Medienkritik günstiger. Und auch FoeBud hat einen Kandidaten für den Preis nominiert: Das von Innenminister Behrens und Polizeipräsi dent Kruse bejubelte Projekt zur Videoüberwachung des Ravensberger Parks ist für FoeBud Grund genug, mit "Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit" zu argumentieren und eine "vollständige Ausspähung der Stadt" zu vermuten. Die recht stichhaltigen Gegenvorschläge zur Dauer-Beschattung werden der Durchsetzung des Projektes dennoch nicht im Wege stehen, die Nominierung der šberwachungs-Idee sei damit quasi gebucht.

Unzufriedene Bürger konnten bis Ende September eigene Nominierungsvorschläge einreichen. Auf Postkarten mit dem Vorschlag "Bill Gates" kann man bei FoeBud aber verzichten. Schließlich soll der Preisträger den von Künstler Peter Sommer gestalteten Award persönlich entgegennehmen, und er hat dabei sogar etwas Redezeit, um sich brav zu entschuldigen oder mit der Weltherrschaft zu drohen. FoeBud-Mitglied padeluun gefällt der Name des Awards im übrigen gar nicht denn die Datenüberwachung liege, anders als in Orwells Roman "1984", heutzutage eher in privater Hand.

Stadtblatt, 28. September 2000

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