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Datenschutz

Das Gefühl in der Magengrube

Wer überwacht wird, soll es nicht merken. Der Big Brother Award outet heimliche Überwachung und vorsätzlichen Datenmissbrauch

Matthias Harre

padeluun "Es ist an der Zeit, eine Grundrechtecharta für die vernetzten Bürger zu entwerfen." Rena Tangens nutzt bei der Premiere des Big Brother Award - Deutschland die Chance, eine Diskussion über Nutzer- und Datensicherheit anzustoßen. Was der Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V. (FoeBuD e.V.) schon lange betreibt, erfährt durch die Medienpräsenz europaweite Beachtung. Denn zeitgleich wird der Preis auch in Österreich und der Schweiz verliehen. An alle, die sich "in besonderer Weise um die Verletzung der Privatsphäre von Bürgerinnen und Bürgern verdient gemacht haben."

Nach der Verleihung hat sich das StadtBlatt auf die Suche nach den Preisträgern gemacht. Die waren bei der Verleihung des Negativ-Awards nicht erschienen, so dass das schöne Stück bis zum nächsten Jahr in Verwahrung des FoeBuD bleibt.

"Business und Finanzen"

Der Hauptpreis geht an Loyalty Partner Gesellschaft für Kundenbindungssysteme mbH in München für die Payback Karte, ein Bonuspunkte-Sammelsystem. Payback kommt als Rabattkarte daher, dient aber einzig dazu, personalisierte Daten zum Kaufverhalten von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu gewinnen und kommerziell zu nutzen, ohne dass diese darüber informiert werden.

Loyalty gehört zu 68 Prozent der Lufthansa, wir fragten den Konzerndatenschutzbeauftragten. Hans-Jürgen Kranz hält die Trophäe für "künstlerisch fantastisch". Die Recherche zur Preisverleihung ist ihm nicht präzise genug gewesen, aber er gesteht ein, dass in einigen Bereichen der pay back cardVerbesserungen für mehr Transparenz sorgen könnten. Er sei aber betroffen, dass vor der Preisverleihung nicht vorher nachgefragt worden sei und hätte sich "mehr Fairness gewünscht". Pressesprecher Rogler von der loyalty partnerergänzt: "Personalisierte Daten zu erheben, ist nicht unser Geschäftszweck." Es gehe um ein weitgefasstes Kundenprofil. Die vorgeworfene "Verschleierung des hinter der pay back cardstehenden Unternehmens" habe mit dem Rabattgesetz zu tun, dessen "Änderung die Loyalty Partnermit Freude erwarten."

"Politik"

Preisträger ist Dr. Eckart Werthebach, Innensenator von Berlin. Er plant die Erweiterung und Erneuerung der Telefonüberwachungsanlage der Bundeshauptstadt. Damit soll in Berlin die Telekommunikation in zunehmendem Maße ohne jede Erfolgskontrolle abgehört werden.

Über seine Pressestelle lässt der Berliner Innensenator mitteilen, "nicht jeden Preis, den man bekommt, hat man auch auch verdient." "Gelacht hat der Senator," fügt die Sprecherin hinzu. Das Lachen allerdings könnte dem Telefonüberwacher im Halse steckenbleiben, zeigte sich Hanns-Wilhelm Heibey, stellvertretender Berliner Datenschutzbeauftragter, über die geplante IMSI-Überwachung in Berlin "sehr überrascht". Erst durch den Big Brother Award hat er von den Plänen erfahren, und kündigt an, dass seine Behörde tätig werden wolle. Mit den IMSI-Catchern können Handytelefonate abgehört werden können. Dabei "catchen" die Geräte auch die Handynummern von Unbeteiligten. Die Legalisierung des Einsatzes von IMSI-Catchern wurde 1997 vom Gesetzgeber abgelehnt. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz nannte die Technologie damals einen "eklatanten Verstoß gegen das Recht auf unbeobachtete Kommunikation".

"Behörden und Verwaltungen"

Trotz stattgefundener Privatisierung geht der Preis an Hartmut Mehdorn, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG. Mit der Nominierung wird auf die undurchschaubare Gemengelage der Videoüberwachung durch die Deutsche Bahn AG aufmerksam gemacht. Undurchschaubar ist, wer für die Überwachung zuständig ist: Die Bahn AG, der Bundesgrenzschutz (BGS) oder der Sicherheitsdienst der Deutschen Bahn AG(BSG).

Die Pressestelle in der Zentrale in Berlin überantwortete unsere Anfrage der NRW-Pressestelle der Bahn in Düsseldorf, deren Sprecher mit den Worten: "Warum rufen Sie in Berlin an, Bielefeld liegt doch in NRW," ausreichende Unkenntnis der Thematik nachwies. Ein längeres Briefing konnte Herrn Ziegerath von der überregionalen Bedeutung der Preisverleihung versichern, er versprach Rückfrage und -meldung. Die Mailbox zeichnete folgende Stellungnahme auf: "Der Deutschen Bahn AG so einen Big Brother Award zu verleihen ist unnötig. Wir können das auch nicht nachvollziehen. Die Überwachung unserer Bahnhöfe wird angenommen. Die Leute fühlen sich einfach wohler und sicherer. Deswegen ist die Verleihung unnötig gewesen."

"Kommunikation"

Der BigBrotherAward geht an GMX, weil die Firma die elektronische Post ihrer Nutzerinnen und Nutzer ungenügend gesichert hat. Zwei Vorfälle im Sommer 2000 geben dazu Anlass.

Die Firma GMX hat eine Stellungnahme an den FoeBuD e.V. gesandt. Wir dokumentieren in Auszügen: " ... Den mit der Verleihung des Preises verbundenen Vorwürfen möchten wir entschieden entgegentreten. ... GMX hat und wird keine personengebundenen und/oder persönlichen Daten von GMX-Mitgliedern veröffentlichen oder an Dritte weitergeben. ... Der Werbewirtschaft Profile unserer Nutzer vorzustellen, ... geschieht nach den strengen Regeln der deutschen Datenschutzgesetze. ... Richtig ist, dass es ... durch einen Software-Fehler zu einem Datenverlust kam, von dem etwa 118.000 ... Mitglieder betroffen waren. ... Richtig ist, dass es einen Hacker-Angriff gab. Davon betroffen waren 1.625 ... Accounts. ..." (vollständig einzusehen unter www.gmx.de -presse-mitteilungen).

"Lebenswerk"

Preisträger ist das Bundesverwaltungsamt in Köln für sein Ausländerzentralregister(AZR). Die Datenbank mit den Angaben zu mehr als zehn Mio. Personen dient vor allem der Überwachung von Ausländerinnen und Ausländern.

Das Bundesverwaltungsamt teilt mit, der Einladung zur Preisverleihung nicht Folge leisten zu wollen. "Es soll jedoch die Gelegenheit wahrgenommen werden, Sie über Bedeutung und Aufgaben des AZR zu unterrichten. Das AZR ist eine rechtsstaatliche Einrichtung, die ... durch Speicherung und Übermittlung von Daten von Ausländern andere Behörden bei der Erfüllung ausländer- und asylrechtlicher Aufgaben unterstützt. ... Die Registerbehörde nimmt selbst keine Datenerhebungen vor. ... Die Übermittlung von Daten erfolgt ... ausschließlich an berechtigte Behörden und öffentliche Stellen. Anfragen ... eröffnen den Zugang zu Informationen, ... die den berechtigten Behörden ... in Anbetracht der dezentralen Ausländerverwaltung ... nicht vorliegen. Der Datenverkehr mit dem AZR erspart somit Verwaltungsaufwand und ermöglicht schnelle und sachgerechte Entscheidungen.Dies liegt nicht zuletzt im Interesse unserer ausländischen Mitbürger."

"Regional"

Auch im Oberzentrum findet sich ein Preisträger. Die Sonder-Kategorie geht an die Stadtwerke Bielefeld Verkehr GmbH für ihre Idee, in vier Linienbussen eine Zwangsbeschallung mit dem Programm des lokalen Radiosenders "Radio Bielefeld" einzurichten. Wir halten die akustische und gedankliche Besetzung eines bisher freien Raums für preiswürdig. Verschärfend preiswürdig halten wir, dass diese Maßnahme mit Mitteln der Suggestion, Verfälschung und Demoskopie zu einem Erfolg stilisiert wird.

Die Stellungnahme der Stadtwerke lag bis Redaktionsschluss nicht vor.

"Szene"

Preisträger der Sonder-Kategorie ist das Apache Consortium für die mangelhafte Beachtung von Belangen der Privatsphäre in der Standardkonfigurationsdatei des Apache Webservers. Apache/Linux hat auf unsere e-mail bis Redaktionsschluss nicht reagiert.

Die vollständigen Begründungen für die Preisverleihungen können unter www.foebud.de eingesehen werden.

Stadtblatt, 01. November 2000

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