Von Politik und Firmen gefürchtet: zum siebten Mal sind die deutschen Big Brother Awards in Bielefeld vergeben worden. Mit dem Negativpreis soll die Diskussion um den Datenschutz gefördert und das Bewusstsein für den Umgang mit der Privatsphäre geschärft werden.
Es lag nicht etwa am Mangel an würdigen Preisträgern. Datenschutz wird in vielen Firmen nicht so genau genommen. Aus Angst vor dem Arbeitgeber, so berichten die beiden Organisatoren Rena Tangens und „padeluun“, seien die eingereichten Vorschläge für die Kategorie Arbeitswelt meist wieder zurückgezogen worden. In diesem Jahr wurde der Big Brother Award daher nur in fünf von sieben Kategorien verliehen. Für den Regionalpreis gab es schlicht zu wenige Nominierungen.
Dennoch wühlten sich die acht Juroren durch mehr als 350 Vorschläge und 1800 Seiten Recherchematerial. Der Big Brother Award wird an Unternehmen, Organisationen und Menschen verliehen, die „in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen oder persönliche Daten Dritten zugänglich machen“.
Gerade in diesem Jahr zeigt die öffentliche Vergabe des Big Brother Awards, welch große Wirkung es haben kann, wenn Dinge, die im geheimen Politik- oder Unternehmenskämmerlein ausgetüftelt wurden, plötzlich an die Öffentlichkeit geraten. Die Jury – aus Mitgliedern verschiedener Organisationen wie FoeBuD (siehe Kasten), Chaos Computer Club, der Deutschen Vereinigung für Datenschutz und der Internationalen Liga für Menschenrechte zusammengesetzt – hat sich in diesem Jahr unter anderem dafür entschieden, die geplante Einführung von Schüler- Identifikationsnummern in Nordrhein-Westfalen anzuprangern. Jeder Schüler sollte künftig eine Nummer erhalten, anhand derer die gesamte Schullaufbahn hätte nachvollzogen werden können. Informationen darüber, ob eine Klasse wiederholt wurde, der Schüler eine Mathe- oder Sprach-Schwäche hat, seine Eltern getrennt leben oder die Familie bereits häufiger den Wohnsitz gewechselt hat – all dies könnte ein Schülerleben lang gespeichert und weitergegeben werden. Just am Tag der Preisverleihung hat sich die Landesregierung in NRW gegen die Einführung von Schüler-IDs ausgesprochen. Die Begründung: datenschutzrechtliche Bedenken.
In der Kategorie Verbraucher ging der Preis an den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Der GDV würde, so die Laudatorin Rena Tangens, umfangreiche Daten von Millionen von Bürgern austauschen – ohne ausreichende rechtliche Grundlage und ohne Wissen der Betroffenen. Verdächtig mache sich etwa jeder, der bei seiner Rechtsschutzversicherung auch nur anfrage – vollkommen unabhängig davon, ob die Versicherung dann tatsächlich in Anspruch genommen würde. Um bei seiner KfZ-Haftpflicht als „verdächtig“ zu gelten, genügt es sogar, als Zeuge eines „verdächtigen“ Kunden nach einem Unfall auszusagen.
In der Kategorie Politik wurde die Innenministerkonferenz ausgewählt – „für ihren Beschluss, eine zentrale Antiterror-Datei zu errichten, die auf elektronischem Wege zu einer sicherheitspolitischen Wiedervereinigung von Polizei und Geheimdienst führt“.
Seit mittlerweile zwanzig Jahren kämpfen Rena Tangens und padeluun gemeinsam mit vielen ehrenamtlichen Helfern für ein Recht auf Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung. Und von Jahr zu Jahr erhält ihre Arbeit mehr Aufmerksamkeit.
Weitere Infos und alle unglücklichen Preisträger im Überblick: www.bigbrotherawards.de
Ricarda Stiller
Stuttgarter Zeitung, 25. Oktober 2006
Original: Nicht bekannt