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Der gläserne Bauer

Eine Saatgutfirma hortet Daten von Landwirten

Der Bauer sät, erntet und behält einen Teil der Erträge als Saatgut für ,das nächste Jahr - seit Jahrtausenden funktioniert so Feldwirtschaft. Doch inzwischen regeln in Deutschend strenge Gesetze, was, Landwirte aussäen dürfen, und die Kontrolle darüber artet offenbar gelegentlich aus. Jedenfalls hat jetzt die Bonner Firma Saatgut-Treuhand den Big-Brother-Preis in der Kategorie „Wirtschaft" bekommen, mit dem Datenschützer auf besonders heikle Praktiken von Unternehmen hinweisen. Der Preis wurde am Freitag in Bielefeld verliehen; zur Jury gehören neben dem , Bielefelder Verein Foebud sechs weitere Organisationen für Bürgerrechte, unter anderem die Internationale Liga für Menschenrechte.

Die Saatgut-Treuhand habe „eine neue zentrale Datensammlung angelegt, mit detaillierten Angaben wo, was, von wem, auf welcher Fläche, wie viel angebaut Wird", rügt die Jury. „Diese Informationen gelangen in die Hände der Saatgütkonzerne, die großes kommerzielles Interesse am ,gläsernen Landwirt' haben", ergänzt Rena Tangens von Foebud. Denn wer die Anbauplanung der Bauern kenne, könne mit gezielter Preispolitik beeinflussen, was angebaut - und gegessen - werde.

Die Datenschützer werfen damit ein Schlaglicht auf die Veränderungen in der Landwirtschaft. „Nutzpflanzen werden nach geringen Änderungen von Firmen unter Sortenschutz gestellt oder patentiert", schreibt die Jury, Bau- * ern kaufen dann das Saatgut von Konzernen. Zweigen sie aus der Ernte etwas für die Aussaat im nächsten Frühjahr ab, dann steht dem Züchter erneut eine. Gebühr zu. Um herauszufinden, ob die Bauern nicht doch diesen so genannten Nachbau betreiben, verschickt die Saatgut-Treuhand jährlich an 130 000 Bauern detaillierte Fragebögen, die in der Datenbank landen.

Als Hinweis auf Nachbau gilt der Firma schon, wenn ein Bauer bereits einmal zertifiziertes Saatgut gekauft hat. Schalten Bauern Verkaufsanzeigen („Kartoffeln direkt vorn Hof"), schickt die Treuhand Testkäufer auf die Höfe, die darauf lauern, ob sich der Bauer oder seine Frau verquatschen. „Das Recht, geschütztes Saatgut zu verkaufen, hat nur der Züchter", sagt Gabriele Gierling, Geschäftsführerin der Treuhand-Firma. Alles andere sei Schwarzhandel. Darum laufen derzeit auch 318 Verfahren. „Das sind 0,25 Prozent aller Fälle", erklärt Gierling.

Manche Bauern sehen in den Lizenzgebühren bereits einen „neuen Frondienst". Die Praxis hat bisweilen kuriose Folgen. Als die Kartoffelsorte „Linda"- 2004 das Ende der 30-jährigen Schutzperiode erreicht hatte, zog die Saatzuchtfirma Europlant die Zulassung zur Bundessortenliste zurück. Damit durfte Linda nicht mehr angebaut und vermehrt werden. In Norddeutschland war die Kartoffel sehr beliebt. Verbraucher protestierten, Bauern demonstrierten und bauten Linda illegal weiter an. Schließlich verlängerte das Bundessortenamt die Auslauffrist um weitere drei Jahre.

Ohne diese Gnadenfrist wäre die Linda womöglich zju einem Untergrundtipp geworden, wie es schon bei anderen Kartoffeln ohne Sortenzulassung geschah. Die Anbauhinweise wären dann womöglich als Warnung getarnt: „Legen Sie diese Knollen bitte nicht in die Erde und gießen sie kein Wasser darauf."

Christiane Schulzki-Haddouti

Süddeutsche Zeitung, München, 02. November 2005
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