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Big Brother Awards 2006 - Lauschangriff auf dem Amtsflur

Lauschangriff auf dem Amtsflur Was reden eigentlich die Hartz-IV-Kandidaten so auf den Fluren der Arbeitsagenturen? In Mecklenburg-Vorpommern müssen die Beamten darüber nicht rätseln, sondern können zuhören. Dafür gab’s jetzt den Big-Brother-Award.

Mithören, was Arbeitslose in den weiten Fluren der Arbeitsagenturen reden oder Fahrgäste in Bussen und Bahnen plaudern – in Mecklenburg-Vorpommern ist das kein Problem. Der Landtag in Schwerin erteilte im Juli Behörden die gesetzliche Erlaubnis zur Tonaufzeichnung in öffentlichen Gebäuden, Plätzen und Verkehrsmitteln.

Dafür erhielt er heute den Big-Brother-Award. Bürgerrechts-, Datenschutz-, und unabhängigen Netzorganisationen verleihen jährlich im Oktober den Big-Brother-Award für die gröbsten Verstöße gegen den Datenschutz.

Eine einfache Anordnung genügt für den Lauschangriff per Videoüberwachung, sobald „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Straftaten begangen werden sollen“, erklärt Bürgerrechtler Alvar Freude. Er bezweifelt allerdings, dass das Abhören zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist: „Noch nie hat sich eine Kamera zwischen Opfer und Angreifer geworfen. Und kein Mikrofon der Welt schützt vor Straftaten – sie werden dann einfach nur woanders verabredet.“

Der Preis jährt sich in diesem Jahr zum achten Mal. 2006 wurde er in den Kategorien "Behörden und Verwaltung", "Politik", "Verbraucher", "Wirtschaft" und "Technik" vergeben. Organisiert wird der Preis vom Bielefelder Verein FoeBuD e.V.

In der Jury des deutschen Big-Brother-Awards sind neben dem FoeBuD unter anderem die Humanistische Union, die Deutsche Vereinigung für Datenschutz, der Chaos Computer Club und die Internationale Liga für Menschenrechte vertreten.

Mittlerweile werden die Negativ-Auszeichnungen in 14 europäischen Ländern sowie in den USA, Kanada und Japan verliehen.

"Geehrt" wurde auch das Unternehmen Philips für seinen besonderen Beitrag für die Entwicklung eines technischen Standards, der es ermöglichen soll Raubkopierer ausfindig zu machen. So schreibt der CD-Brenner eine eindeutige Seriennummer auf den CD-Rohling. Damit können die Datenträger zum Brenn-Gerät zurückverfolgt werden. Über diesen Vorgang wird der Anwender nicht informiert.

Nach Ansicht von Frank Rosengart vom Chaos Computer Club schießt der Konzern mit diesem Vorgehen weit über die rechtlichen Vorgaben hinaus. Sie verbieten lediglich die Umgehung von technisch wirksamem Kopierschutz. Auch dürfen gebrannte Inhalte nicht aus "offensichtlich illegalen" Quellen stammen.

Rosengart: "Es ist in Deutschland nicht strafbar, Musik-CDs oder Filme für den privaten Gebrauch zu brennen." Allerdings dürfe ein technisch wirksamer Kopierschutz nicht umgangen werden. Für Rosengart steht fest: "Das Verfahren von Philipps trifft nur den privaten Benutzer."

In Osteuropa oder Asien würden in großem Stil professionelle Kopien von Musik, Filmen und Software verkauft. Rosengart: "Diese CDs sind allerdings in richtigen Presswerken in Massenproduktion hergestellt. Selbstverständlich ohne Seriennummer des Gerätes."

Als preiswürdig empfand die Jury auch die Leistung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Er pflegt rund zehn Millionen Einträge in einer Datei namens "Uniwagnis". In den so genannten Warn- und Hinweisdateien tauschen Versicherungen Informationen über Millionen von Bürgern aus - "nach geheim gehaltenen Kriterien, ohne ausreichende rechtliche Grundlage und ohne Wissen der Betroffenen", so Jurymitglied Rena Tangens.

Für einen Eintrag genügt es, den Hergang eines Unfalls zu bezeugen. "Die Warndatei tritt aber auch jedes Mal in Aktion, wenn jemand eine neue Versicherung abschließen will und sich nach den Konditionen erkundigt", kritisierte Jurymitglied Rena Tangens. Sie warnt: "Ein Eintrag in der Warndatei kann zum Beispiel dazu führen, dass der Betroffene erhöhte Prämien zahlen muss oder keine Versicherung mehr erhält."

Die weiteren Auszeichnungen würdigten bereits bekannte Datenschutzsskandale. So erhielt die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder den Preis für das Plan, lebenslang gültige Schüler-IDs einzuführen. Die internationale Genossenschaft der Geldinstitute SWIFT wurde für die Übermittlung von Überweisungsdaten europäischer Bürger an US-amerikanische Behörden geehrt.

Die Innenminister von Bund und Ländern schließlich erhielten den Big-Brother-Award für ihren Beschluss, eine zentrale Anti-Terror-Datei zu errichten. Sie führe auf elektronischem Wege zu einer "sicherheitspolitischen Wiedervereinigung" von Polizei und Geheimdiensten, kritisierte Bürgerrechtler Rolf Gössner.

Christiane Schulzki-Haddouti

Süddeutsche Zeitung, München, 20. Oktober 2006
Original: http://www.sueddeutsche.de/computer/artikel/313/89224/

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