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Schnüffelei und Datenmissbrauch

Mit ihren Big Brother Awards legen Bürgerrechtler offen, wie verbreitet Spitzelpraktiken bereits sind. Zypries, Steinbrück und Harms ausgezeichnet, aber auch Novartis und die Bahn.

Ein Pharmakonzern überwacht seine Mitarbeiter mit Detektiven. Eine Stadt hindert Kinder von Illegalen per Zentraldatei am Schulbesuch. Und die Bahn kommt zwar nicht pünktlich, sammelt dafür aber umso mehr Daten über ihre Kunden. Das sind drei besonders schwere Fälle von Angriffen auf die Privatssphäre, finden Datenschützer - und verliehen am Freitag den Big Brother Award.

Insgesamt acht Negativpreise vergaben die Bürgerrechtler von der Bielefelder Organisation FoeBud e. V. Mit dabei waren die sattsam bekannten Klassiker: Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) bekam einen Award für ihren Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung, und das Finanzministerium von Peer Steinbrück (SPD) wurde für das Einführen der lebenslangen Steueridentifikationsnummer geehrt. Generalbundesanwältin Monika Harms durfte auch nicht fehlen, schließlich hatte sie die Idee, von G-8-Kritikern Geruchsproben nehmen zu lassen.

Interessant sind aber vor allem die in der Öffentlichkeit eher unbeachtet gebliebenen Fälle von Schnüffelei und Datenmissbrauch. Denn sie zeigen, dass Behörden und Unternehmen das von den Verfassungsrichtern in Karlsruhe 1983 geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung nahezu unbemerkt in vielen Punkten missachten. So lässt das deutschlandweit umsatzstärkste Pharmaunternehmen Novartis laut den Bürgerrechtlern aus Bielefeld seine Mitarbeiter von Detektiven beschatten. Diese sollen herausfinden, ob die Novartis-Verkäufer genug Medikamente in Apotheken und Arztpraxen an den Mann bringen. "Das belegen interne Papiere des Unternehmens", sagt Rena Tangens von FoeBud, "auf diese Weise setzt Novartis seine Außendienstmitarbeiter unter extremen Druck". Damit wolle die Firmenleitung offenbar erreichen, dass die Außendienstler mehr Medikamente loswerden. Der Pharmakonzern äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht zu dem Fall.

Ist der Umgang von Novartis mit seinen Mitarbeitern schon im Ansatz mehr als fragwürdig, ging es der Stadt Hamburg mit ihrem Vorhaben erst einmal um etwas Positives: Eltern, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken, sollten aufgespürt werden. Wie die taz im Dezember 2006 berichtete, erfasst die Stadt zu diesem Zweck die Anschriften ihrer Schüler in einer zentralen Datei und gleicht diese mit dem Melderegister ab. Die Folgen sind desaströs: Illegale Einwanderer schicken ihre Kinder nicht mehr zur Schule aus Angst davor, entdeckt und abgeschoben zu werden. Kritik lehnt der Senat dennoch ab: "Wir sehen nicht ein, warum wir diesen Preis bekommen", sagte ein Sprecher der taz. "Diese Datei dient allein der Verbesserung des Kindeswohls."

Weniger spektakulär geht die Deutsche Bahn vor. Der Konzern löst nach und nach Fahrkartenschalter auf, viele Automaten nehmen nur noch EC- oder Kreditkarten. Dazu kommt, dass der Ticketverkauf im Internet ebenfalls nur mit persönlichen Daten funktioniert. Komplettiert wird die DB-Datensammlung durch eine flächendeckende Überwachung der Bahnhöfe mit Videokameras. "So werden mehr und mehr Daten angehäuft", sagte der Künstler padeluun in seiner Laudatio für den Schienenkonzern. Anonymes Reisen sei unmöglich geworden. Auch hier weist ein Sprecher der Bahn alle Vorwürfe zurück. Man habe Erfahrung im Datenschutz und tue nichts zum Schaden der Kunden.

Ausdrücklich keinen Preis bekam im Übrigen der Lieblingsfeind aller Datenschützer: Wolfgang Schäuble. Begründung der Bielefelder: Der Bundesinnenminister habe durch seine Ideen die Bürgerrechtsbewegung erst wieder richtig stark gemacht.

Daniel Schulz

tageszeitung, Berlin, 13. Oktober 2007
Original: http://www.taz.de/index.php?id=digi-artikel&no_cache=1&ressort=in&art=6031&src=GI&cHash=4748b3b597

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