Die Liste der Repressionen der Discounterkette Lidl gegen ihre Mitarbeiter umfasst systematischen Arbeitsdruck, unbezahlte Mehrarbeit, lange Arbeitszeiten, ungerechtfertigte Entlassungen, Kreuzverhöre, Mobbing, extrem gewerkschaftsfeindliches Verhalten sowie die Überwachung und Ausspionierung des Personals. In welch grotesken Ausmaßen das Unternehmen seine Angestellten durch Privatdetektive hat Bespitzeln lassen, wird nun durch einen Bericht des Stern offenbar, der morgen erscheinen soll. Nach Aussage des Nachrichtenmagazins wurden diesem mehre hundert Seiten aus Überwachungsprotokollen zugespielt.
Danach ließ der Discounter durch Detektive in seinen Filialen Miniaturkameras anbringen, die angeblich Ladendiebstähle erfassen sollten, tatsächlich aber auf das eigene Personal gerichtet waren. Auch Liebesbeziehungen, Arbeitsmoral und Toilettenaktivitäten wurden sorgfältig protokolliert. Sogar rein Privates wie die finanzielle Situation, das Aussehen oder der Freundeskreis wurden sorgfältig dokumentiert. Vor allem aus Niedersachsen, aber auch aus Rheinland-Pfalz, Berlin und Schleswig-Holstein sind solche Protokolle aufgetaucht.
Diese Überwachungspraktiken stellen einen schwerwiegenden Verstoß gegen Grundgesetz und Datenschutz dar. Sowohl der Arbeitsrechtler Klaus Müller Knapp, der einen "klaren Verstoß gegen Artikel zwei Grundgesetz" beklagt (welcher "die freie Entfaltung der Persönlichkeit schützt") als auch der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar, kritisierten das Vorgehen des nach ALDI zweiterfolgreichsten Billiganbieters scharf. Die Pressesprecherin des Unternehmens, Petra Trabert, bestätigte die Existenz solcher Protokolle, erklärte allerdings, diese dienten nicht der Überwachung des Personals, sondern der "Feststellung eventuellen Fehlverhaltens".
Das mächtige Unternehmen, bei dem die Deutschen im Durchschnitt pro Jahr 416 Euro lassen, steht aufgrund der Arbeitsbedingungen und der ungewöhnlich gewerkschaftsfeindlichen Haltung bereits seit längerem im Fokus einer Kampagne der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Im "Schwarzbuch Lidl", wurde bereits ausführlich dokumentiert, wie der Erfolg des vom Geschäftsgebaren des amerikanischen Branchenriesen Wal Mart inspirierten Betriebes über eine extreme Ausbeutung der Angestellten bewerkstelligt wird. Daneben versuchte Lidl auch massiv die Gründung von Betriebsräten zu verhindern.
Im Jahr 2004 bekam der Billiganbieter wegen seiner "menschenverachtenden Methoden" einen "Big Brother Award" verliehen. Begründet wurde dies unter anderem damit, dass in Tschechien Toilettengänge für Lidl-Mitarbeiter während der Arbeitszeit verboten seien. Lediglich Frauen, die ihre Menstruation hätten, dürften die sanitären Anlagen aufsuchen, müssten dafür allerdings auch ein Stirnband tragen.
Reinhard Jellen
Telepolis, 26. März 2008
Original: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27586/1.html