Fehlverhalten im Privatleben kann nur dann zur Kündigung führen, wenn Vertragsklauseln verletzt werden
Anfang Dezember sorgte ein Arbeitsgerichtsfall für Schlagzeilen. Eine Berliner Firma hatte einem Beschäftigten gekündigt, weil er eine ungewöhnliche Vereinbarung verletzt hatte. Darin hatte er angeben, auf das Rauchen verzichtet zu haben und dafür eine Nichtraucherprämie kassiert. Ein vom Arbeitgeber beauftragter Detektiv fotografierte den Mann mit brennender Zigarette in der Hand. Das Berliner Arbeitsgericht befand die Kündigung für zulässig. Aber das ist ein Ausnahmefall: Dem Arbeitgeber sind enge Grenzen gesetzt, den Beschäftigten auch Vorschriften für das Privatleben zu machen. Was geht und was nicht geht zeigen Beispielfälle aus der arbeitsgerichtlichen Praxis.
Dieses Jahr scheiterte der Versuch des US-Handelskonzerns Wal-Mart, Liebesbeziehungen und private Treffen von Kollegen beispielsweise zum Abendessen vertraglich zu untersagen. Der Gesamtbetriebsrat des Konzerns hatte gegen die 28 Seiten dicke „Ethik-Richtlinie“ von Wal-Mart Deutschland geklagt, der unter anderem das „Liebesverbot“ enthielt. Wal-Mart hatte argumentiert, dass damit in erster Linie Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen gemeint seien. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf befand jedoch, die „Ethik-Richtlinie“ von Wal-Mart Deutschland verstoße in großen Teilen gegen das Grundgesetz: Liebesbeziehungen am Arbeitsplatz können nicht zu einer Kündigung führen und dürfen vom Arbeitgeber nicht verboten werden (AZ: 10 TaBV 46/05). Das gilt zumindest so lange der Betriebsfrieden nicht gestört wird. Tragen die Liebenden ihre Beziehungskrisen regelmäßig lautstark im Büro oder gar in einem handgreiflichen Kampf auf dem Firmenparkplatz aus, werden die Kollegen in Mitleidenschaft gezogen. „Der Arbeitnehmer darf in seiner Freizeit alles tun, was das Arbeitsverhältnis nicht belastet“, sagt Richter Gerhard Binkert vom Landesarbeitsgericht Berlin. Privates Fehlverhalten schlage sich nur dann auf das Arbeitsverhältnis nieder, wenn das Ansehen des Unternehmens geschädigt oder der Betriebsfrieden nachhaltig gestört werde. Die Verfehlung müsse im Verhältnis zur Tätigkeit stehen und Auswirkungen auf den Arbeitsplatz haben.
Das gilt auch für in der Freizeit begangene Straftaten. „Begeht zum Beispiel ein Verkäufer Ladendiebstahl oder ist ein Buchhalter in eine Betrügerei verwickelt, kann der Arbeitgeber das Vertrauen verlieren“, sagt Richter Binkert. Ein Finanzbeamter, der für Bekannte Einkommensteuererklärungen bearbeitete, wurde aus dem Dienst entfernt, da er sich der Steuerhinterziehung schuldig gemacht habe. Er hatte in über 100 Fällen Steuerpflichtigen „mit Hilfe seiner internen Kenntnisse ungerechtfertigte Vorteile zukommen zu lassen“, befand das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz im April (AZ: 3 A 10278/05). Auch durch Straftaten bedingte längere Fehlperioden können zum Betriebsausschluss führen. Muss ein Arbeitnehmer eine Gefängnisstrafe absitzen, kann er dann gekündigt werden, wenn der Ausfall zeitlich nicht mehr überbrückbar ist.
Die meisten Arbeitgeber unterstützen Freizeitsport ihrer Mitarbeiter, so lange er die Gesundheit fördert. Anders sieht es zum Beispiel bei einem Profi-Fußballer aus. Bricht dieser sich beim Fallschirmspringen den Fuß, kann er gekündigt werden. Das Fußballspielen in der Freizeit kann in einem solchen Fall im Arbeitsvertrag ausgeschlossen werden.
Ein Berliner U-Bahnfahrer belastete das Arbeitsverhältnis, indem er in seiner Freizeit mit 2,7 Promille Auto fuhr. Er wurde fristlos entlassen, da es nicht auszuschließen war, dass er nicht auch betrunken zur Arbeit erscheint. Drogenkonsum und Alkoholexzesse am Arbeitsplatz führen in aller Regel zu einer Kündigung. Der Arbeitnehmer erhält meist eine Zusage auf Wiedereinstellung nach erfolgreichem Entzug. Bei großen Firmen sind in den USA sind mittlerweile Drogentests vor einer Einstellung üblich. In Deutschland ist das noch die Ausnahme. „Uns ist der Pharmakonzern Bayer negativ aufgefallen, da er von Auszubildenden eine freiwillige Urinprobe erwartet“, sagt Rena Tangens vom Datenschutzverein FoeBuD. „Das ist für uns ein unzulässiger Eingriff in die Privatsphäre.“ Der Verein verleiht jährlich die Negativ-Auszeichnung „Big-Brother-Award“ an Firmen und Organisationen, „die die Privatsphäre von Menschen nachhaltig beeinträchtigen“. „Formal haben die Bewerber die Wahl und können den Drogentest auch ablehnen“, sagt Tangens. Faktisch könne aber von freiwilliger Zustimmung keine Rede sein. „Denn wer den Drogentest verweigert, hat schlechte Karten bei der Vergabe der Ausbildungsplätze.“
Das Führen privater Telefonate stellt ohne Abmahnung keinen Grund für eine Kündigung dar, wenn solche Gespräche zuvor vom Arbeitgeber geduldet wurden. Nach erfolgter Abmahnung ist exzessives privates Telefonieren allerdings ein Kündigungsgrund, ebenso die übermäßige private Nutzung des Internets im Job, ob zum Surfen oder E-Mails schreiben. Auch sexuell diskriminierende SMS-Texte können zur Kündigung führen: Ein Maschinenführer in Rheinland-Pfalz belästigte eine Auszubildende mit anzüglichen Botschaften, forderte sie zum Sex auf. Er wurde fristlos entlassen und klagte vor dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz erfolglos gegen die Kündigung (AZ: 9 Sa 853/01).
Solange der Arbeitnehmer nicht das Unternehmen nach außen repräsentiert, ist das äußere Erscheinungsbild grundsätzlich kein Kündigungsgrund. Aber auch das ist abhängig vom Betrieb und der Art der Beschäftigung. 2003 wurde einem Polizisten das Tragen langer Haare, die bis zur Mitte der Schulterblätter reichten, vom Verwaltungsgericht Neustadt untersagt (AZ: 2 L 1819/03.NW). Moslemische Lehrerinnen müssen im Schulunterricht auf das Kopftuch verzichten. In Privatunternehmen ist das Tragen eines Kopftuchs dagegen kein Kündigungsgrund.
Cornelia Wagner
Tagesspiegel, 24. Dezember 2005
Original: http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/24.12.2005/2247491.asp