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Big Brother-Award für WM-Komitee

Exzessives Sammeln und Weitergeben von Daten, Bewegungsprotokolle usw.: Wer WM-Spiele besuchen will, muss freigiebig sein bei der Weitergabe persönlicher Daten

Der Big Brother Award 2005 in der Kategorie „Verbraucherschutz" geht an das Organisationskomitee Deutschland für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006, vertreten durch Franz Beckenbauer.

Ausgezeichnet werden die inquisitorischen Fragebögen für die Bestellung von WM-Tickets, die geplante Weitergabe der Adressen an die FIFA und deren Sponsoren und die Nutzung von RFID-Schnüffelchips in den WM-Eintrittskarten. Kritisiert wird der Versuch, eine Kontroll- und Überwachungstechnik salonfähig zu machen, zum Nutzen des WM-Sponsors und RFID-Herstellers Philips.

Zur Fußball-WM 2005 gibt sich Deutschland weltoffen und tolerant. Im krassen Gegensatz zu diesem strahlenden Image stehen die Durchführungen der Ticketvergabe und die Pläne für Überwachungsmaßnahmen während der WM.

Wer bei WM-Fußballspielen 2006 live dabei sein will, muss nicht nur technisch auf der Höhe der Zeit sein und online buchen und überweisen. Der Fan von heute sollte auch eine Mastercard besitzen - die einzige akzeptierte Kreditkarte. Er sollte freigiebig sein, insbesondere mit seinen Angaben zur Person. Wieso sonst sollte man zu einem schlichten Kartenkaüf neben Name, Anschrift, Nationalität, Geschlecht, Geburtsrdatum, Ausweisnummer (Für Kinder soll ein Ausweis beantragt werden), E-Mail-Adresse, Fax, Telefonnummer und Lieblingsverein („Fan von") angeben?

Der Sicherheit diene all dies, erläutert die offizielle Ticket-Website. Doch die erhobenen Daten sind wenig sicherheitsrelevant. Wofür sie benötigt werden könnten, zeigt sich - wenn man sich denn beim Glücksspiel um die Karten anmeldet - unter dem Kapitel „Einwilligung in die werbliche Nutzung der Daten". Werbliche Nutzung, das bedeutet: Nutzung der Daten für Werbung und Marktforschung, Übermittlung zu eben diesen Zwecken an offizielle Partner der WM und auch an ausländische Sponsoren. Nachdem Datenschutz- und Fanorganisationen gemeinsam Sturm gelaufen sind, wird inzwischen auf die Freiwilligkeit dieses Kreuzchens hingewiesen. Dank der vielen, im vorangehenden Teil des Buchungsvorgangs vorgesehenen zustimmungspflichtigen Regelungen - „Allgemeine Ticket-Geschäftsbedingungen", Verkaufsrichtlinien" „Datenschutzbestimmungen" - und der Verknüpfung von „Informationen vom DFB" wird die Mehrzahl der Bestellerinnen angesichts des Wusts von verschiedenen erforderlichen und freiwilligen Angaben wohl einfach zustimmen, um die Chance auf Karten nicht zu verringern.

Nachdem man all dies durchlaufen hat, willigt man auch gerne „unwiderruflich und für alle gegenwärtigen und zukünftigen Medien ein in die unentgeltliche Verwendung seines Bildes und seiner Stimme" - nach einer Kartenbestellung hat man ohnehin viel Persönliches preisgegeben, da kann auch die Verwendung des eigenen Bildes in der nächsten weltweiten Werbekampagne nicht mehrschrecken.

Die Personalisierung, also die eindeutige Zuordnung der Karten zu einem Menschen soll den Schwarzmarkt bekämpfen, „unberechtigte Doppeleintritte" verhindern und unerwünschte Personen, die beispielsweise als Hooligans bekannt sind, von den Stadien fernhalten. Für all dies sei auch der Einsatz der RFID-Chips, die auf den Tickets implementiert sind, erforder lich. Auf den Chips sollen keine persönlichen Daten gespeichert werden, sondern nur ein Schlüssel zu diesen, der dann dennoch jede Person mit Hilfe der im Hintergrundsystem gespeicherten Daten z.B. am Stadiondrehkreuz eindeutig identifiziert. Dass die RFID-Chips aber nicht nur eine Identifikation am Eingang gewährleisten — was auch eine schlich te Ausweiskontrolle unaüfwendiger und billiger könnte, sondern die bereits Big-Brother-Award gekürten „Schnüffelchips" auch komplette Bewegungsprotokolle aller Stadionbesucherinnen möglich machen, wird dezent verschwiegen. Eine Personalausweiskontrolle behält man sich konsequenterweise auch zusätzlich vor - Kameraüberwachung ist bei großen Fußballspielen ohnehin obligatorisch.

Wahrscheinlicher als die angeführten Gründe ist, dass die WM als großes Testfeld und gleichzeitig als Akzeptanzbeschaffer zum Einsatz der RFID-Technik dienen soll. Fußball wäre nicht zum ersten Mal Vehikel zur Einführung eines staatlichen Überwachungsinventars, welches später auch in Gesetze gegossen wird.

Wir erinnern uns: Ausreiseverbote, die mit der „Hooligan-Verordnung" aus dem Jahre 1998 erstmals möglich gemacht wurden, führten bereits drei Jahre später zu Erstellung einer Datei, auf deren Grundlage politischen Aktivistinnen die Ausreise für den Besuch eines Treffens in Genua verwehrt wurde.

Das Szenario eines Festivals der Überwachung scheint nicht mehr aufzuhalten. Kritik an der „Orwell-Arena" wurde reichlich geübt, doch die Reaktionen sind minimal - sowohl auf Seiten der Fifa als auch auf Seiten des „offiziellen Partners": Des Innenministeriums der Bundesrepublik Deutschland, dessen Noch-Chef Otto Schily seinerseits der BigBrother „Lifetime-Award" verliehen wurde.

Der Big Brother Award wird seit 1998 in evrschiedenen Ländern und seit dem jahr 2000 auch in Deutschland an firmen, Organisationen und Personen verliehen, die in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen oder persönliche Daten Dritten zugänglich machen. Der name ist George Orwells negativer Utopie "1984" entnommen, in welcher der Autor bereits Ende der vierziger Jahre seine Vision einer totalitären Überwachungsgesellschaft entwarf.

Mehr Infos:

www.bigbrotherawards.de

Astrid Papendick

UNiPRESS, Mainz, 07. November 2005
Original: Nicht bekannt

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