Bielefeld - 29. Oktober 2004 - Dem Unternehmer Dieter Schwarz, Eigentümer der Discount-Kette Lidl mit bundesweit über 2.500 Filialen, ist einer der sieben deutschen “Oscars für Überwachung” zugesprochen worden. Öffentlich bekannt wurde diese Negativauszeichnung bei der diesjährigen Verleihung der “BigBrotherAwards” durch den Bielefelder Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e.V." (FoeBuD). Die Preisträger – neben Dieter Schwarz handelt es sich um die Bundesministerinnen Brigitte Zypries (Justiz) und Ulla Schmidt (Gesundheit), Frank Jürgen Weise von der Bundesagentur für Arbeit, Uni-Rektor Prof. Nikolaus Risch aus Paderborn sowie die Firmen Armex, Tchibo direkt und Canon – verletzen nach Meinung der Jury erheblich den Datenschutz und die Privatsphäre der Bundesbürger.
Die Auswahl wurde von FoeBuD und weiteren unabhängigen Organisationen wie Deutsche Vereinigung für Datenschutz (DVD), Chaos Computer Club (CCC), Humanistische Union (HU), Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Veranwortung (FifF), Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft (FITUG) sowie Internationale Liga für Menschenrechte vorgenommen. Der Name Big Brother ist dem Buch 1984 von George Orwell entnommen, in dem er bereits Ende der vierziger Jahre seine Schreckensvision einer Gesellschaft entwarf, die unter totaler Überwachung steht.
Behandelt wie Leibeigene ohne Rechte und ohne Privatsphäre In der Laudatio für Lidl-Chef Schwarz nannte Jury-Mitglied Rena Tangens eine Vielzahl von Gründen für die Preisverleihung in der Kategorie Arbeitswelt: Lidl zeigt, dass gar nicht immer neueste Technik gebraucht wird, um Menschen unter Kontrolle zu halten und sie als Leibeigene ohne Rechte und ohne Privatsphäre zu behandeln. Berichten aus tschechischen Lidl-Filialen zufolge seien dort Mitarbeiterinnen, die ihre Menstruation hatten, zeitweise zum Tragen eines Stirnbands verpflichtet worden, damit sie die Toilette auch außerhalb der Pausen aufsuchen durften. Lidl selbst dementierte, nachdem auch der internationale Gewerkschaftsverbund UNI Handel diesen Vorwurf erhoben hatte. Das Branchenfachblatt Lebensmittel-Zeitung habe berichtet, dass diese Vorschrift inzwischen wieder aufgehoben worden sei.
Besonders auszeichnungswürdig erschienen der Jury auch die heimliche Videoüberwachung in einigen deutschen Filialen, die zusammen mit anderen skandalösen Arbeitsbedingungen in einem Schwarz-Buch Lidl des ver.di-Bundesfachbereichs Handel aufgedeckt wird. Das Buch erscheint Anfang Dezember. Bei ihrer Laudatio für Dieter Schwarz nannte Rena Tangens u.a. auch willkürliche Taschenkontrollen, teilweise nicht bezahlte Überstunden sowie die Verhinderung von Betriebsräten mit allen Mitteln als charakteristisch für das Unternehmen Lidl.
BigBrotherAward in der Kategorie Politik Bundesjustizministerin Brigitte Zypries erhielt den BigBrotherAward in der Kategorie Politik, weil sie weiter am Großen Lauschangriff als Instrument der Strafverfolgung festhält. Tatsächlich diene diese Maßnahme weniger der realen Verbrechensbekämpfung als vielmehr der Einschüchterung der Menschen, hieß es in der Begründung. Ihre Kabinettskollegin Ulla Schmidt wurde in der Kategorie Gesundheit und Soziales ausgezeichnet, weil es nach Auffassung der Jury durch das so genannte GKV-Modernisierungsgesetz in der versichertenbezogenen Datenverarbeitung zu einer massiven Verschlechterung des Datenschutzes für die Patienten kommt.
Inquisitorischen Fragebögen zum Arbeitslosengeld II Auf Preisträger Weise von der Bundesagentur für Arbeit fiel die Wahl in der Kategorie Behörden und Verwaltung u.a. wegen der inquisitorischen Fragebögen zum Arbeitslosengeld II. Canon (Kategorie Technik) erhielt die Negativauszeichnung, weil Kopierer so eingerichtet sind, dass sich die Herkunft jeder Kopie mit Hilfe einer unsichtbaren Kennung ermitteln lässt. Bei der Firma Armex (Kategorie Kommunikation) wird das Produkt Track Your Kid bemängelt: Es gebe Eltern ein Instrument in die Hand, mit dem Kinder zu willigen Untertanen einer Kontrollgesellschaft erzogen werden könnten. Der BigBrotherAward in der Kategorie Verbraucherschutz ging an Tchibo direct, weil das Unternehmen in Prospekten und im Internet eine vertrauliche Behandlung aller Kundendaten verspricht, diese tatsächlich aber von einer anderen Firma auf dem Adressenmarkt angeboten werden. Der Rektor der Uni Paderborn, Prof. Nikolaus Risch, erhielt den Regionalpreis der BigBrotherAwards, weil Hörsäle und Rechnerräume mit Videokameras überwacht werden.
Für die Gewerkschaft ver.di und den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) sind die "BigBrotherAwards" ein wichtiger Beitrag, um für das Thema Datenschutz zu sensibilisieren. "Die Kür der unglücklichen Preisträger macht auch darauf aufmerksam, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor technischer Überwachung besser geschützt werden müssen", sagte der DGB-Vorsitzende Michael Sommer am 29. Oktober 2004 in Berlin. Sommer ist Schirmherr der Kampagne "Onlinerechte für Beschäftigte", die ver.di im Jahr 2002 mit Unterstützung anderer Mitgliedsgewerkschaften gestartet hat. Ziel ist die Verabschiedung eines Arbeitnehmerdatenschutzgesetzes, das die Nutzung von Internet und Online-Systemen am Arbeitsplatz klar und eindeutig regelt. Text: Andreas Hamann
Links:
www.bigbrotherawards.de www.foebud.org www.onlinerechte-fuer-beschaeftigte.de
Andreas Hamann
ver.di - Online-Rechte für Beschäftigte, 29. Oktober 2004
Original: http://www.verdi.de/0x0ac80f2b_0x017d7070