In Bielefeld sind am Freitag die Big Brother Awards 2005 für Deutschland verliehen worden.
Nachdem es diesmal so viele Nominierungen wie nie zuvor gegeben hatte, gab es für die Jury viele fragwürdige Datenschutzpraktiken zu untersuchen.
Den Lifetime Award erhielt dabei der ehemalige Innenminister Otto Schily. Die Jury begründete ihre Wahl damit, Schily stehe aktuell für die undemokratische Einführung des biometrischen Reisepasses, dessen Technik unausgereift und unsicher ist und der zu einer erkennungsdienstlichen Behandlung der gesamten Bevölkerung führt."Otto Schily erhält den Preis auch für sein "Lebenswerk", nämlich für den Ausbau des deutschen und europäischen Überwachungssystems auf Kosten der Bürger- und Freiheitsrechte und für seine hartnäckigen Bemühungen um die Aushöhlung des Datenschutzes unter dem Deckmantel von Sicherheit und Terrorbekämpfung."
Im Bereich Wirtschaft ist Preisträger die Saatgut Treuhand Verwaltungs GmbH für die Datensammlung über Landwirte. Das Unternehmen habe mehrere tausend auskunftsunwilligen Landwirte verklagt, sich Kundendaten von Genossenschaften beschafft und verdeckte Testeinkäufe bei Bauern durchgeführt. Die Bauern werden von der Saatgut Treuhand verdächtigt, Kartoffeln oder andere Feldfrüchte aus ihrer eigenen Ernte zur Aussaat im nächsten Jahr zu verwenden. Das Unternehmen hat aus Sicht der Jury den Aufbau einer zentralen Kontrollstruktur zum Eintreiben der sogenannten Nachbaugebühren im Dienste der Saatgutindustrie bezweckt.
Preisträger in der Rubrik Behörden und Verwaltung ist die Regierung des Landes Niedersachsens. "Geehrt" wird die Zerschlagung der Datenschutzaufsicht in Niedersachsen. Die Aufsicht über den Datenschutz in der Wirtschaft soll ab 1.1.2006 dem niedersächsischen Innenministerium zugeordnet werden. Dies konterkariere das jüngst von der EU-Kommision gegen Deutschland eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren wegen Missachtung der EU-Datenschutzrichtlinie. Die EU-Richtlinie fordert völlige Unahängigkeit der Datenschutzaufsicht.
Im Bereich Kommunikation wurde die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Schleswig-Holstein mit dem Big Brother Award ausgezeichnet für die großflächige Fahndung nach Zeugen (die wie Verdächtige behandelt worden seien) mittels Handy-Ortung. Es handele sich um die erste Funkzellen-Massenabfrage -- Mobilfunkunternehmen wurden zur Herausgabe sämtlicher Verbindungsdaten einer Region gezwungen. Die Einsicht in die zugehörigen Akten wurde den Datenschützern des Landes Schleswig-Holstein, die den Fall prüfen wollten, verweigert.
Die Kategorie Technik entschieden diverse Kandidaten für ihre "schleichende Degradierung von Menschen zu überwachten Objekten und der Verharmlosung der Folgen von flächendeckender Überwachung".
Preisträger des Awards im Bereich Verbraucherschutz ist das WM-Organisationskomittee für "die inquisitorischen Fragenbögen zur Bestellung von WM-Tickets, für die geplante Weitergabe der Adressen an die FIFA und deren Sponsoren und für die Nutzung von RFID-Schnüffelchips in den WM-Tickets und damit den Versuch, eine Kontrolltechnik salonfähig zu machen zum Nutzen eines WM-Sponsors (RFID-Hersteller Philips)".
In der Kategorie Politik ging der Preis an den Hessischen Innenminister Volker Bouffier für "das "präventive" Orten und Abhören von Mobiltelefonen; für die DNA-Analyse bei Kindern unter 14 Jahren, die eine Straftat begangen haben zu deren zukünftiger Strafverfolgung; für die Befugnis der hessischen Polizei, Kfz-Kennzeichen auch ohne Straftatverdacht zu scannen und für den Einsatz von Videoüberwachung bei Personenkontrollen".
M. Raguse
Virtuelles Datenschutzbüro, Kiel, 30. Oktober 2005
Original: http://www.datenschutz.de/news/detail/?nid=1670