Ein Preis, den keiner haben will: Am Freitag (29.10.04) verlieh der Verein "Foebud" die deutschen "Big Brother Awards". Es ist der Preis für Organisationen, die die Privatsphäre der Bürger verletzen. Kein Wunder also, dass keiner der Preisträger nach Bielefeld gereist war, um die "Oscar"-ähnliche Statue entgegen zu nehmen.
Der Murnau-Saal in der Bielefelder Volkshochschule ist proppevoll, die Besucher sitzen sogar auf den Gängen, die Luft steht. Auf der Bühne steht die kleine Statue, eine Figur aus Ton, die durch eine mit Zahlen beschriftete Glasscheibe geteilt ist. Auch am Ende der Veranstaltung steht die Figur noch auf der Bühne neben einem Blumenstrauß. Dass keiner der Preis-Gewinner ihn abgeholt hat, ist eine Bestätigung für die Organisatoren. Eigentlich werden hier ja auch Verlierer ausgezeichnet. "Datenkraken", wie der "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs" (Foebud) sie nennt. Den Preis erhält nur, wer aus Sicht der Jury die Privatsphäre der Bürger verletzt. "Ist vielleicht der Gewinner im Publikum?", diese Frage blieb also am Freitag (29.10.04) von den Preisträgern ungehört. Bereits zum fünften Mal ergibt der Verein diese Höchststrafe für Datensammler in insgesamt sieben Kategorien.
Stirnband während der Menstruation? Ein lautes Raunen geht durch die Zuschauerreihen als Laudatorin Rena Tangens verkündet, wofür die Supermarktkette Lidl den Preis bekommt: "Die Meldungen, die uns aus dem Innenleben des Lidl-Konzerns erreichen, sind einfach unglaublich. Sie wirken mittelalterlich, zumindest vorindustriell und unzivilisiert." Schwere Vorwürfe werden gegen die Kette laut: So durften bei Lidl in Tschechien die Mitarbeiter angeblich während der Arbeitszeit nicht auf die Toilette gehen. Ausnahme: Frauen, die gerade ihre Regel haben. Sie sollen dies durch das Tragen eines Stirnbandes kundtun, heißt es in der "Laudatio". Doch die Lidl-Kette dementiert: Die Behauptung sei "falsch" und entsprechende Medienberichte "ebenfalls unwahr", heißt es in einem Schreiben an die Jury.
"Lidl fürchtet die Öffentlichkeit" "padeluun", einer der Organisatoren des Preises, ist überzeugt, dass die Auszeichnung wirkt: "Man kann etwas tun, man ist den Verletzungen der Privatsphäre nicht ausgesetzt." Schließlich sei das Medienecho, das der Preisvergabe entgegen gebracht würde, in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen. Als größten Erfolg führt "Padeluun" den Preis an die Metro AG an: 2003 bekam der Konzern den Preis für die Einführung der so genannten RFID-Chips in einem ihrer Geschäfte. Die Folgen: Die Kritik wurde teilweise berücksichtigt und Metro zog eine umstrittene Kundenkarte mit RFID-Chip zurück. Auch Lidl fürchte die Öffentlichkeit, vermutet "Padeluun" im Gespräch mit wdr.de. Der Preis habe sich etabliert und fordere immer mehr Einsatz von dem kleinen Verein Foebud, erläutert "Padeluun": "Die Vorbereitung des Big Brother Awards dauert drei bis vier Monate." Nun hat der Verein damit begonnen, Spenden zu sammeln, um sich besser finanzieren zu können.
Die Zuschauer sind trotz des überfüllten Saals begeistert. Ein Besucher freut sich, dass es den Preis gibt: "Allerdings ist mir das ganze ein bisschen zu negativ. Ich würde mir auch einen positiven Preis wünschen." Der sollte an Organisationen gehen, die vorbildlich Daten schützen. Seine Begleiterin ist Amerikanerin. Sie kann nicht verstehen, warum Tchibo den Preis dafür erhielt, dass die Kaffee-Kette angeblich Adressen an andere Firmen weitergibt: "In Amerika regt man sich nicht darüber auf. Da ist das auch nicht verboten." Statt dessen gebe es dort die Möglichkeit, unerwünschte Post oder Mails abzubestellen.
Kaffee und Adressen bei Tchibo
Auch Tchibo will den Preis nicht annehmen: "Leider können wir nicht teilnehmen, weil wir den Preis nicht verdient haben," so die schriftliche Absage des Konzerns. Die Jury sieht das anders: "Dass Tchibo nicht nur Kaffee verkauft, ist nichts Neues. Was der normale Kunde aber nicht weiß: Adressen verkauft Tchibo auch", heißt es in der Laudatio von Alvar Freude vom Förderverein Informatik und Gesellschaft "Fitug". Wer nicht wolle, dass seine Daten weitergegeben werden, müsse sich bei Tchibo melden, erklärt Laudator Freude und zitiert eine kleingedruckte Notiz im Tchibo-Prospekt.
Weil keiner der Preisträger erschienen ist, hält "Padeluun" von Foebud die kabarettistischen Dankesreden einfach selbst. "Es ist doch niemand verpflichtet, Arbeitslosengeld II zu beantragen", sagt er in der Rolle als Beamter der Bundesanstalt für Arbeit. Die hat den Preis für die Fragen in dem 16-seitigen Fragebogen für das Arbeitslosengeld II (ALG II) erhalten. Es soll zwar bald geänderte Fragebögen geben, doch erst im kommenden Frühjahr, also Monate nach dem Start des ALG II. Aber vielleicht wird der neue Bogen aus Sicht der Jury ja wieder preisverdächtig.
Urs Zietan
Westdeutscher Rundfunk Online, Köln
, 29. Oktober 2004
Original: http://www.wdr.de/themen/politik/1/big_brother_award/preisvergabe04.jhtml?rubrikenstyle=politik