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Die e-Pässe kommen, aber sie halten nicht

Sonia Mikich: "Der E-Pass. Das Vermächtnis des scheidenden Innenministers Otto Schily. Ein High-Tech-Werkzeug für die erkennungsdienstliche Behandlung aller Bürger. Der neue biometrische Pass ist seit Dienstag da. Nur weil an den Grenzen die Lesegeräte noch fehlen, merken die Bürger noch gar nicht, was ihnen da für 59 Euro aufgezwungen wird. Persönliche Daten sind für alle, die die Codes haben, jederzeit elektronisch auslesbar. Man kann sie innerhalb von Sekunden speichern und abgleichen. Ohne dass der Passinhaber davon etwas merkt. Da ächzt der Datenschützer. Und noch eine Sorge, wie zuverlässig sind die Chips? Wie schnell kann ich an der Grenze in Verdacht geraten? Der E-Pass: Teuer, bedenklich und nicht ausgereift - dazu Gitti Müller und Markus Schmidt."

Werbefilm Bundesministerium des Innern: "Unsere Antragstellerin hat ihre Biometrischen Daten jetzt in der Hand. Und dort bleiben sie auch. Hier sind die Daten sicher. Nur berechtigte Stellen können sie auslesen."

Die Hacker vom Chaos Computer Club beweisen das Gegenteil, und dazu reicht ihnen simpelste Technik.

Harald Welte, Chaos Computer Club: "Ja, also man kann das Signal eigentlich schon sehr gut erkennen.

Frau, Chaos Computer Club: "Der Auslesevorgang läuft."

Eine Reifenantenne, ein handelsübliches Lesegerät, die neue E-Pass-Software, die sie sich auf verschlungenen Pfaden besorgt haben. Und schon lässt sich die verschlüsselte Kommunikation aufzeichnen. Den Code zu knacken, dazu bräuchten sie nicht 100 Jahre wie das Innenministerium glauben macht, sondern allenfalls Wochen. Harald Welte, Chaos Computer Club: "Wir haben keine besonderen Fähigkeiten, ganz im Gegenteil. Also jemand, der mit krimineller Energie das knacken möchte, der hat ganz andere technische Möglichkeiten, der hat ein finanzielles Budget und dem ist das noch viel leichter möglich als uns." Otto Schily im Selbstversuch. Der biometrischen Pass, sozusagen sein Abschiedsgeschenk. Durchgepaukt, vorbei am Parlament, vorbei an den Datenschützern, sagen seine Kritiker. Geheimhaltung auf allen Ebenen. Weder die Studien, die zeigen, wie das System ausgetrickst werden kann, noch die Belastungstests, noch die Verträge mit den Herstellern sind zugängig.

Hier liegt er verborgen, der neue Chip, die Technik, nicht nur unsicher, sondern auch unausgereift?

Werbefilm BMI: "Damit Format, Schärfe, Kontrast, Ausleuchtung, Hintergrund und andere Fotoeigenschaften für biometrische Kontrollen geeignet sind, verwenden Fotografen und Passbehörden eine Fotomustertafel."

Aber selbst wenn das Foto optimal aufgenommen wurde, läuft die neue Technik nicht fehlerfrei. Die Fehlerrate liegt je nach Testreihe zwischen einem und 23 Prozent. Je älter das Foto, desto öfter schlägt das System Alarm. Prof. Christoph Busch, Fraunhofer Institut: "Auf dem Chip ist ja letztlich ein Passbild von Ihnen hinterlegt, und wenn das Passbild sozusagen von gestern stammt, dann wird das Ergebnis vermutlich sehr gut sein. Wenn das Passbild ein bisschen älter ist und Sie haben sich stark verändert, dann wird das Ergebnis vermutlich eher zu einem Fehler führen." Und was passiert, wenn die Technik nicht funktioniert? Der Pass ist gültig, aber der Passinhaber macht sich verdächtig. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums wird er dann einer besonders intensiven Prüfung unterzogen. Peter Schaar, Bundesbeauftragter für den Datenschutz: "Eine Konsequenz kann in der Tat sein, das dadurch, dass der Chip versagt oder eben das System einen nicht erkennt, dass Sie dann noch mal heraus gewunken werden, so wird das auch üblicherweise sein, dann entsprechend noch mal gefragt werden, wo kommen Sie her. Es wird noch mal sehr genau hingeschaut, sind Sie das wirklich?" Werbefilm BMI: "Die Chips, die in Deutschland von den Firmen Philips und Infineon produziert werden, sind eine zusätzliche Hürde für Fälscher." Aber hält der Chip im Pass auch die versprochenen 10 Jahre? Die Bundesregierung sagt ja, verlässt sich dabei auf die Zusagen der Hersteller. Anerkannte Materialforscher sehen Schwachstellen, der neue Chip funktioniere nur mit Antenne. Und diese Verbindung zwischen Chip und Antenne sei das Problem. Prof. Heinrich Kurz, Institut für Halbleitertechnik Universität Aachen: "Die Chips hier, die haben eben eine bestimmte Steifigkeit gegenüber Antenne und dem Chip und da ist eine Schwachstelle persé eingebaut."

Reporterin: "Halten Sie das für möglich, dass die 10 Jahre halten?"

Prof. Heinrich Kurz, Institut für Halbleitertechnik Universität Aachen: "Nein, halte ich nicht für möglich." Detlef Houdeau, Infineon: "Kann natürlich auch sein, dass ein Zulieferteil, in dem Fall der Chip, einen Defekt zeigt, in dem Falle würde man natürlich auch zu dem Zulieferanten einen Kontakt aufbauen, wenn nachweisbar ist, dass hier eine Überbelastung, die nicht dem normalen Applikationsprofil entspricht, eingetreten ist." Aber was ist das normale Applikationsprofil? Beugen, knicken mögen die neuen Chippässe nicht, sagen Experten. Ebenso wenig starke Temperaturschwankungen. Internationale Standards, was so ein Chippass aushalten muss, gibt es noch nicht. Die Hersteller haben Labortests durchgeführt, halten die Ergebnisse unter Verschluss.

Und wer übernimmt die Kosten, wenn etwa das Flugzeug verpasst wird, weil der Chip kaputt ist? Die Hersteller, so berichten Insider, weigerten sich für die gesamte Laufzeit des Passes, die Garantie zu übernehmen. Wer nachfragt, bekommt erst unklare Antworten, dann einen Korb.

Detlef Houdeau, Infineon: "Das unterliegt den Geheimhaltungsklauseln."

Das Bundesinnenministerium zum Thema Gewährleistung: "Es gibt entsprechende Vereinbarungen zwischen den Chipherstellern und dem Passproduzenten, die allerdings nicht veröffentlicht werden können, weil sie rein privatwirtschaftlicher Natur sind."

Im Klartext: der Bürger, der das Passabenteuer bezahlen muss, soll über Risiken und Nebenwirkungen nicht Bescheid wissen. Millionen Deutsche werden nun ausprobieren, ob der Pass funktioniert. Sie alle sind Versuchskaninchen, der neue Pass ist bislang noch nie in der Praxis getestet worden. Prof. Heinrich Kurz, Institut für Halbleitertechnik Universität Aachen: "Jedes komplexere System, das über mehrere Regelstufen läuft und auch Codierung enthält, braucht Feldversuche, und zwar sorgfältig aufgebaute Feldversuche, nicht einer, sondern ineinander greifende. Und in diesem Fall ist es leider aus Zeitgründen nicht passiert. Der politische Druck ist so groß geworden, dass es auf diese vernünftige technische Entwicklung nicht Rücksicht nehmen konnte." Dabei geht es auch anders. Beispiel Niederlande: hier wurde in 6 Gemeinden ein halbes Jahr lang getestet. Danach wurden die Pässe untersucht. Das überraschende Ergebnis: 83 % der untersuchten Testdokumente wiesen Haarrisse auf, genau dort, wo der Chip sitzt. Nach nur 6 Monaten Gebrauch waren die Dokumente bereits schadhaft. Beispiel Schweiz: hier haben die Bürger ab nächstes Jahr die freie Wahl zwischen einem biometrischen oder einem herkömmlichen Pass. 5 Jahre lang soll der neue Pass getestet werden. So hat es die Schweizer Regierung entschieden. Damit ... "… will der Bundesrat Fehlinvestitionen verhindern, welche mit einer Technologie zu befürchten wären, mit der es noch keine gefestigten Erfahrungen gibt."

Prof. Heinrich Kurz, Institut für Halbleitertechnik Universität Aachen: "Die Schweizer sind ja immer ein bedächtiges, durchaus intelligentes Bergvolk. Sie werden wahrscheinlich wissen, dass in der Nanotechnologie in wenigen Jahren ganz alternative Methoden zur Verfügung stehen und sie dieses, was heute angeboten wird, hektisch, als alten Mumpitz ansehen lassen."

Markus Schmidt, Gitti Mueller

Westdeutscher Rundfunk Online, Köln, 03. November 2005
Original: http://www.wdr.de/tv/monitor/beitrag.phtml?bid=749&sid=137

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