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Ausspionieren ist ein schleichendes Gift

Big Brother Awards

Die Big Brother Awards sind Denkzettel für alle, die die Privatsphäre der Bürger aushöhlen. Kandidatenmangel herrschte bei der Verleihung 2006 nicht - im Gegenteil. Den Kampf gegen Überwachung geben die Organisatoren trotzdem nicht auf.

Zum siebten Mal sind von einer Jury aus Bürgerrechtlern und Datenschützern in Bielefeld am Freitag (20.10.2006) die Big Brother Awards verliehen worden. Als Preisträger1 "geehrt" werden Firmen und Behörden, die nach Meinung der Jury zu wenig auf Datenschutz geben oder mehr über Kunden und Bürger wissen wollen, als für diese gut ist. WDR.de sprach mit dem Medienkünstler und Datenschutzaktivisten Padeluun, einem der Organisatoren der Verleihung.

WDR.de: Die Einrichtung der Zentralen Anti-Terror-Datei beschäftigt den Bundestag, Politiker diskutierten über mehr Videoüberwachung in Zügen und Bahnhöfen und die Nutzung von Lkw-Maut-Daten durch die Polizei: An Kandidaten-Mangel für Ihren Negativ-Preis konnten Sie sich 2006 wahrscheinlich nicht beschweren.

Padeluun: In der Tat, wir hatten diesmal 350 Vorschläge für mögliche Preisträger. Und was auffällig war: Es sind nicht mehr nur die Konzerne, die Daten über die Bürger sammeln. Der Staat hat enorm aufgeholt. Wir haben deshalb die Awards in der Kategorie "Politik" gleich zweimal - an den Landtag Mecklenburg-Vorpommern, der das Abhören von Menschen in der Öffentlichkeit erleichtert hat, und an die Innenministerkonferenz, die eine zentrale Anti-Terror-Datei einführen will.

WDR.de: Dass man bei einer Anti-Terror-Datei besonders sorgfältig beachten muss, was gespeichert wird, leuchtet ein. Aber es gab diesmal auch einen Big Brother Award für die Pläne der Kultusminister, einheitliche Identifikationsnummern für jeden Schüler einzuführen. Dabei kann es nach der Pisa-Studie doch nur nützlich sein, wenn so die Lehrer besser über Erfolge und Defizite einzelner Schüler informiert sind.

Padeluun: Ich glaube nicht, dass das, was die Kultusministerkonferenz da plant, in irgendeiner Form weiterhilft. Man merkt, dass die Minister sich überhaupt keine Gedanken gemacht haben, was sie mit den Daten zu tun gedenken. Bisher soll einfach nur gesammelt werden. Das ist nicht gebildet, sondern einfach dumm. Mit einer zentralen Schülerdatei wäre es sehr leicht möglich, dass man nicht versucht, Leute zu unterstützen, sondern zu selektieren: Wer sich nicht anpasst, fliegt raus. Einer solchen zynischen Behandlung sollte man schon weit im Vorfeld entgegentreten.

WDR.de: Man könnte meinen, dass Sie hier auf sehr theoretische Gefahren aufmerksam machen - wie auch beim Award für die Firma Philips. Philips werfen Sie vor, dass CD-Brenner eine Seriennummer auf gebrannte CDs schreiben und diese so zum Brenner-Besitzer zurückverfolgt werden könnten. Angesichts von Milliarden gebrannter CDs muss doch wohl kaum ein Privatnutzer befürchten, dadurch kriminalisiert zu werden - das wäre doch den Aufwand nicht wert.

Padeluun: Wir müssen alles ablehnen, mit dem wir ohne es zu wissen permanent Spuren hinterlassen. Ein Beispiel: Es könnte für die Behörden sicher irgendwann einmal nützlich sein zu wissen, dass ein Herr Müller am 28.01.1998 durch die Marktstraße gelaufen ist, weil an dem Tag irgendetwas dort passiert ist. Das klingt erst mal logisch. Aber ich möchte nicht, dass solche Spuren entstehen, ich unter Verdacht gerate oder auch nur als Zeuge befragt werden kann. Denn ich führe natürlich kein solches Logfile über meine Tage. Es gibt ein Recht des Menschen auf Vergessen. Nur weil es jetzt technisch möglich ist und einige Politiker es wollen, sollten wir nicht dieses Recht aufgeben, um dann ständig ein seltsames Gefühl im Nacken zu haben statt uns frei bewegen zu können.

WDR.de: Dieses ungute Gefühl teilen aber offenbar die meisten Menschen nicht. Erst kürzlich gab es nach den gescheiterten Bahn-Anschlägen wieder eine Umfrage, bei der sich mehr als 70 Prozent der Befragten für mehr Kameras an öffentlichen Plätzen aussprachen.

Padeluun: Ich vermutet, diese Umfrage hat gar nicht untersucht, ob Menschen Videoüberwachung haben wollen, sondern sie hat gezeigt, wie naiv und uninformiert sie in solchen Fragen sind. Es ist so, dass viele Menschen die gesteigerte Überwachung im Moment ertragen. Aber wann immer ich mit Menschen in den Dialog gehe, merke ich, dass die Bedenken doch sehr groß sind. "Mir doch egal" oder "Wenn ich nichts zu verbergen habe, dann kann mir doch nichts geschehen" - das hört man im persönlichen Gespräch nur sehr selten. Und zwar nicht nur in meinem persönlichen Umfeld und meiner Szene.

WDR.de: Den Vorzeige-Katastrophenfall, in dem Einzelne durch Datenmissbrauch wirklich großes Unglück erlitten haben, haben wir in Deutschland aber noch nicht erlebt.

Padeluun: Ich möchte diesen Fall auch gar nicht erleben. Wahrscheinlich es wird ihn auch nicht geben. Denn dieses permanente Ausspionieren, das ist ein ganz latentes, schleichendes Gift - wie bei Radioaktivität, wo man auch nicht sofort Strahlenschäden verspürt.

WDR.de: Ihren Preis verleihen Sie jetzt seit sieben Jahren. Ist seitdem nicht alles schlimmer geworden, was sie anprangern wollen - mehr Überwachung und weniger Privatsphäre?

Padeluun: Nein, die Big-Brother-Awards sind eine große Erfolgsgeschichte. Wir haben sehr viel erreichen können. Politiker merken, dass Leute sich für diese Themen interessieren und durch Gesetze in ihrer Privatsphäre geschützt werden. Gerade hat es eine große Anhörung zu RFID-Funkchips2 in Brüssel gegeben, die das noch mal gezeigt hat. Auf diese Schnüffelchips hatten wir ja bei früheren Awards aufmerksam gemacht. Dass im Moment immer mehr Leute fordern, dieses oder jenes zu noch erfassen, liegt einfach daran, dass die Digitaltechnik das jetzt möglich macht. Das wird irgendwann auch wieder weniger werden. Und zwar umso schneller, je mehr Leute merken, wie gefährlich diese Technik ist. Sie ist nicht neutral. Man muss solche Entwicklungen sehr vorsichtig begleiten, damit wir uns nicht aus Versehen unsere Freiheit und unsere Demokratie abschaffen.

WDR.de: Trotzdem: Auch diesmal ist keiner der Preisträger erschienen, um seinen Negativ-Preis in Empfang zu nehmen.

Padeluun: Aber dafür ist man zum Beispiel bei der Deutschen Bank ganz schön nervös geworden. Die US-Geheimdienste können seit Jahren mitlesen, was auf europäischen Bankkonten passiert. Bisher wurde dafür der belgische Banken-Dienstleister SWIFT verantwortlich gemacht. Wir haben festgestellt, dass bei SWIFT zwei Deutsche im Aufsichtsrat sitzen3: Ein Mitarbeiter der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank und einer der Deutschen Bank, die nun einen Award bekommen. Jetzt befürchten sie bei der Deutschen Bank sicher schon, dass die Journalisten nun eine Ansprechadresse in Deutschland für SWIFT haben, und sie dem nicht entgehen können.

Fiete Stegers

Westdeutscher Rundfunk Online, Köln, 20. Oktober 2006
Original: http://www.wdr.de/themen/politik/1/big_brother_award/061020_interview.jhtml?rubrikenstyle=computer

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