In Bielefeld wurden am Freitagabend (24.10.08) die Big-Brother-Awards 2008 verliehen. Diesen Negativ- Preis erhält, wer nach Meinung der Jury gegen den Datenschutz verstößt. Zu den Preisträgern gehört in diesem Jahr auch die Telekom wegen ihrer Spitzel-Affäre.
Im Mai hat die Deutsche Telekom eingeräumt, dass ihre Telefonverbindungsdaten missbräuchlich genutzt wurden. Der Konzern soll Aufsichtsräte und Journalisten bespitzelt haben, um undichte Stellen im Unternehmen ausfindig zu machen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Für diese Affäre wurde die Telekom vom Bielefelder Datenschutz-Verein FoeBuD ("Förderung des öffentlichen und unbewegten Datenverkehrs") mit einem Big-Brother-Award 2008 in den Kategorien "Arbeitswelt" und "Kommunikation" ausgezeichnet: "Dies ist ein beispielloser Vertrauensbruch gegenüber ihren Mitarbeitern, Kunden und der gesamten Öffentlichkeit."
In der Laudatio des Bürgerrechtlers Fredrik Roggan von der "Humanistischen Union" hieß es: "Hier hat ein Konzern, der per Gesetz verpflichtet ist, das Telekommunikationsgeheimnis zu wahren, dieses aus purem Eigeninteresse gebrochen." Die Telekom, die ihren Datenschutzbeauftragten Claus-Dieter Ulmer zur Entgegennahme der Preises nach Bielefeld geschickt hat, will sich der Kritik stellen: "Wir erläutern die Verbesserungen, die wir ergriffen haben", so Sprecher Philipp Blank.
Die Big-Brother-Award-Jury, die aus Menschenrechtlern, Computerexperten, Daten- und Verbraucherschützern besteht, hat aus mehr als 500 Vorschlägen noch sechs weitere Preisträger ausgewählt. In der Kategorie "Technik" wurde der Stromanbieter Yello für seine "Vorreiterrolle bei der Einführung der Digitalstrom-Technik für Privatkunden" ausgezeichnet: "Diese Technik ermöglicht eine sekundengenaue Verbrauchererfassung jeder Wohnung und sogar einzelner Geräte und könnte damit in Zukunft zu einer detaillierten Aktivitäts-Überwachung im häuslichen Bereich genutzt werden", so die Jury -Begründung.
In einem WDR.de vorliegenden Brief an den FoeBuD schreibt Yello: "Niemand außer dem Kunden - auch nicht Yello - erhält Einblick oder Zugriff auf sekundengenaue Verbrauchsdaten. Diese Informationen verlassen die Wohnung oder das Haus des Kunden nicht." In einer Pressemitteilung des Unternehmens vom März ist allerdings von der "Übermittlung der Verbrauchsdaten an Yello über das Internet" die Rede. Dennoch beharrt Yello im Brief an den FoeBuD darauf, dass nur der Kunde seinen Verbrauch auf der Yello-Homepage einsehen könne. Der geplante digitale Sparzähler sei nicht "fernauslesbar".
Bei der zum neunten Mal stattfindenden Verleihung der Big-Brother-Awards wurde auch der Rat der Europäischen Union "geehrt". Er erhielt in der Kategorie "Europa" den Preis für die EU-Terrorliste. Diese ist nach Meinung der Jury nicht demokratisch legitimiert. Organisationen und Einzelpersonen, die laut dieser Liste als Terrorverdächtige eingestuft werden, seien gravierenden Sanktionen unterworfen.
In der Kategorie "Politik" hielt die Jury das Bundeswirtschaftsministerium für preiswürdig. Ausgezeichnet wird dessen Bemühen, den sogenannten Elektronischen Einkommensnachweis (Elena) einzuführen. Das Bundeskabinett hatte das Verfahren, das einst als "Jobcard" begann, im Juni 2008 verabschiedet. "Dieses Verfahren setzt eine zentrale Datensammlung der Einkommensdaten aller Arbeitnehmer voraus und ist verbunden mit der Zwangseinführung der elektronischen Signatur", so die Jury.
In der Kategorie "Verbraucher" gibt es zwei Preisträger. Der Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute (ADM) wurde von der Jury bedacht "für die rechtswidrige Richtlinienempfehlung, Telefoninterviews im Bedarfsfall auch ohne Kenntnis von Interviewern und Interviewten heimlich mitzuhören." ADM-Geschäftsführer Erich Wiegand sagte WDR.de, die Richtlinie werde überarbeitet, das Ergebnis sei aber noch offen: "Wir sind in der Diskussion mit den Datenschutzbehörden."
"Gewürdigt" wurden auch die Mitglieder des 16. Deutschen Bundestages "für das Durchwinken mehrerer Gesetze, die eine Erhebung, langfristige Speicherung und Weitergabe von detaillierten Daten über Reisende erzwingen." Betroffen davon seien Passagiere von Schiffen und Flugzeugen. So habe der Bundestag das Seerecht im Januar entsprechend verändert und im vergangenen November dem Flugdaten-Abkommen der EU mit den USA zugestimmt.
Der Big-Brother-Award in der Kategorie "Gesundheit und Soziales" ging an die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) für die Weitergabe von Patientendaten von 200.000 chronisch kranken Versicherten an eine Privatfirma. Die Daten seien, so die Jury, weitergegeben worden, ohne die Versicherten darüber zu informieren oder ihre Zustimmung einzuholen.
Dominik Reinle
Westdeutscher Rundfunk Online, Köln, 24. Oktober 2008
Original: http://www.wdr.de/themen/politik/1/big_brother_award/081024.jhtml