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Zensursula und der verwanzte Mähdrescher

Big Brother Awards 2009 verliehen

Wer Bürgerrechte beschneidet und Daten sammelt, bekommt den Big Brother Award. Am Freitag (16.10.09) wurden in Bielefeld unter anderem Ursula von der Leyen und Wolfgang Schäuble "geehrt". Pikant: Einer von Schäubles Amtsvorgängern schickte ein Grußwort.

Keine andere deutsche Politikerin hat in diesem Jahr so viel Kritik von Datenschützern und Internet-Aktivisten kassiert wie Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU). Da war es fast vorauszusehen, dass "Zensursula" am Freitagabend (16.10.09) in Bielefeld den Big Brother Award 2009 in der Kategorie "Politik" erhielt. Sie habe, so hieß es in der Begründung für den Negativpreis, "ein System zur Inhaltskontrolle im Internet vorangetrieben, das zu einer Technik von orwellschen Ausmaßen heranwachsen kann". Die von ihr geplanten Netzsperren und Stopp-Schilder für kinderpornografische Webseiten seien nicht nur untauglich und kontraproduktiv. Sie etablierten auch eine "technische Infrastruktur zur Internet-Zensur", die sich zu einem allgegenwärtigen "Überwachungsinstrument ausbauen ließe, sagte der Medienkünstler Alvar Freude in seiner "Laudatio". Ihren Spitznamen hat von der Leyen in einem Interview noch als "pfiffig" und "kreativ" bezeichnet. Zur Verleihung des Big-Brother-Award wollte sie sich gegenüber WDR.de jedoch nicht äußern.

Dabei werden die umstrittenen Internetsperren nun ohnehin gekippt. Einen Tag vor der Preisverleihung (15.10.09) hatten sich Union und FDP in ihren Koalitionsverhandlungen darauf verständigt, dass das Bundeskriminalamt (BKA) versuchen soll, kinderpornographische Internetseiten direkt zu löschen und nicht erst zu sperren.

Schäubles "obsessive Bestrebungen" ausgezeichnet

Mit Wolfgang Schäuble (CDU) zeichnete der Bielefelder Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD) ein weiteres Mitglied der aktuellen Bundesregierung aus. Der Bundesinnenminister erhielt den Big Brother Award für sein Lebenswerk. Rolf Gössner von der Internationalen Liga für Menschenrechte ging in seiner Rede auf Schäubles "obsessive Bestrebungen" ein, "den demokratischen Rechtsstaat in einen präventiv-autoritären Sicherheitsstaat umzubauen". So habe Schäuble das Bundeskriminalamt in ein "zentrales deutsches FBI mit geheimpolizeilichen Befugnissen zur präventiven Vorfeldausforschung" umgewandelt. Zudem kritisierte Gössner die Errichtung der zentralen Anti-Terrordatei, die versuchte Legalisierung von Online-Durchsuchungen sowie Schäubles Pläne zum Bundeswehreinsatz im Inneren.

Ein Gruß vom Ex-Innenminister Baum

Ein "Gschmäckle" bekam die Verleihung an Schäuble durch das Grußwort eines seiner Amtsvorgänger. Gerhart Baum (FDP), von 1978 bis 1982 Bundesinnenminister, richtete den Verleihern der Big Brother Awards seine "herzlichen Glückwünsche" aus und lobte sie für ihre Pionierarbeit: "Die Zivilgesellschaft muss die Politiker aufrütteln." Mit den Awards würden "Gefährdungen der Grundrechte sichtbar" gemacht, denn "es lohnt sich, für die Freiheit zu kämpfen". Baum war eine der treibenden Kräfte gegen das Gesetz zu Online-Durchsuchungen und reichte dagegen Verfassungsbeschwerde ein.

Überwachte Mitarbeiter, verdächtige Journalisten

Neben Politikern wurden auch verschiedenen Firmen und Institutionen Awards verliehen. So ging der Preis in der Kategorie Sport an die Organisatoren der Leichtathletik- WM in Berlin. Sie hätten die Pressefreiheit verletzt, als sie vor der Veranstaltung bei Landeskriminalämtern und Verfassungsschutz Informationen über Journalisten einholten, die über die WM berichten wollten. Im Bereich Wirtschaft wurden mehrere Firmen mit dem Award bedacht, die Überwachungstechnik für Telefon und Internet anbieten. Und auch in der Kategorie Arbeitswelt gab es mehrere Preisträger, die laut Begründung "dem Wahn erlegen sind, man erhielte produktive und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch umfassende Überwachung".

Neben Lidl, KiK Textilien, HDI Gerling, der Deutschen Bahn, Post und Telekom ging der Preis an die Claas Landmaschinen GmbH aus Harsewinkel. Die habe nämlich einen "Mähdrescher mit Wanze" im Sortiment: "Damit verfolgt Ihr Chef Sie ständig per Google-Earth -Karte auf seinem Monitor und registriert jede Unterbrechung, ungerade Fahrspuren oder ineffiziente Wegewahl." Auch bei der Claas GmbH lautete die Antwort auf die Anfrage von WDR.de: "Kein Kommentar."

Ausgezeichnete Preisverleiher

Der Big Brother Award wurde in diesem Jahr zum zehnten Mal verliehen und ist inzwischen bundesweit anerkannt. 2008 wurde FoeBuD für sein Engagement mit Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet. Der nach dem ehemaligen Bundespräsidenten benannte Preis wird Personen und Institutionen überreicht, die die sich für Zivilcourage und die Stärkung und Weiterentwicklung der Demokratie einsetzen.

Ingo Neumayer

Westdeutscher Rundfunk Online, Köln, 16. Oktober 2009
Original: http://www.wdr.de/themen/politik/1/big_brother_award/091016.jhtml?rubrikenstyle=politik

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