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Big-Brother-Preis für den Innenminister

Bürgerrechtsgruppen kritisieren Sicherheitspolitik von Schäuble / Verleihung in 19 Ländern

Wenn Bundesinnenminister abtreten, ist ihnen besondere Aufmerksamkeit von Bürgerrechtlern gewiss. Als Otto Schily 2005 sein Ministeramt verlor, bekam er den "BigBrotherAward" fürs "Lebenswerk". Ebenso widerfuhr es gestern Wolfgang Schäuble, der wohl auch nicht Minister bleibt: Ihm wurde der Negativpreis für seine Politik verliehen, "den demokratischen Rechtsstaat in einen präventiv-autoritären Sicherheitsstaat umzubauen". Zum zehnten Mal in Deutschland hat eine Jury von Datenschutz- und Bürgerrechtsgruppen in Bielefeld den BigBrotherAward verliehen. Es ist keine Auszeichnung, auf die Politiker, Firmen oder Organisationen besonders stolz sein könnten, wird ihnen doch vorgeworfen, die Privatsphäre und Informationelle Selbstbestimmung der Bürger nachhaltig zu beeinträchtigen. Neben der Kategorie "Lebenswerk" gibt es auch Auszeichnungen in den Bereichen Wirtschaft, Politik, Arbeitswelt und Behörden. Der Preis wird inzwischen in 19 Ländern ausgelobt, zur Aufklärung über problematische Entwicklungen in der modernen Informationsgesellschaft.

Der Laudator Rolf Gössner, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, kritisiert das Ziel von Minister Schäuble, Polizei und Geheimdienste zu zentralisieren und zu vernetzen. Etwa durch die Antiterrordatei, auf die beide Institutionen Zugriff haben. Oder durch den "Umbau des Bundeskriminalamts zu einem zentralen deutschen FBI mit geheimdienstlichen Befugnissen" - inklusive heimlicher Online-Durchsuchung von Computern. Aber auch durch eine Bundesabhörzentrale für alle Sicherheitsbehörden beim Kölner Bundesverwaltungsamt.

Damit wachse zusammen, was nicht zusammengehört. "Das ist ein Verstoß", argumentiert der Bremer Anwalt, "gegen das machtbegrenzende Gebot der Trennung von Geheimdiensten und Polizei - eine wichtige Konsequenz aus den bitteren Erfahrungen mit der Gestapo der Nazizeit." Gössner sieht Deutschland "streng auf dem Weg" zum präventiven Sicherheits- und Überwachungsstaat", ohne dass der Staat sein Sicherheitsversprechen einlösen könne. Der Preis dafür sei die Einschränkung von Bürgerrechten. Denn Prävention sei nicht möglich ohne Speicherung personenbezogener Daten - auch von Bürgern, denen nichts vorgeworfen wird.

Wie wird das Thema innere Sicherheit in der neuen Bundesregierung behandelt? Bisher haben sich Union und FDP darauf verständigt, die Nutzung von Informationen aus der Vorratsspeicherung von Kommunikationsdaten auf schwere Gefahrensituationen zu beschränken. Für heimliche Online-Durchsuchungen ist künftig eine Anordnung der Bundesanwaltschaft nötig. Und - als hätten die Koalitionäre in spe die BigBrotherAward-Liste schon vorab erhalten - vor der Sperrung von Internetseiten muss das Bundeskriminalamt erst versuchen, diese Web-Seiten zu löschen. Denn in der Kategorie Politik wurde Familienministerin Ursula von der Leyen für die Sperrung von Web-Seiten mit Kinderpornographie ausgezeichnet. Sie habe "ein System zur Inhaltskontrolle im Internet vorangetrieben, das zu einer Technik von orwellschen Ausmaßen heranwachsen kann." Dazu habe sie sexuell missbrauchte Kinder benutzt, ohne etwas gegen diesen Missbrauch zu unternehmen.

Aber kann es nicht auch Sinn machen, Bürgerrechte wie den freien Zugang zu Informationen einzuschränken, wenn es dem Kindeswohl dient? "Eine Abwägungsfrage", meint Gössner. Ohne Zweifel sei er nicht, doch wäre der bessere Weg als Internetsperren die Löschung der Kinderporno-Seiten. Was aber, wenn es dem Bundeskriminalamt nicht gelingt, diese Forderung von FDP und Union zu erfüllen? Andere Preisträger können mit weniger Widerspruch rechnen. Etwa das Berliner Organisationskomitee der Leichtathletik-WM (Kategorie: Behörden), das von Journalisten Zustimmung zur Überprüfung ihrer Daten durch die Sicherheitsbehörden verlangte: "Ein erhebliches Vergehen an einem Grundwert eines freiheitlichen Staatswesens, nämlich der Pressefreiheit." Nicht besser weggekommen sind Deutsche Bahn, Deutsche Post, Lidl und eine Reihe anderer Unternehmen, die nach Ansicht der siebenköpfigen Jury dem "Wahn erlegen sind, man erhielte produktive Mitarbeiter... durch umfassende Überwachung und Abbildung von Leistung in Zahlen". Und Firmen wie Cisco, Utimaco und andere könnten, wenn sie nach Bielefeld gekommen wären, auch einen Big Brother abholen: Für das Angebot von Überwachungstechniken für Telefon und Internet. Was bezweckt die Jury, in der neben der Internationalen Liga für Menschenrechte unter anderem auch die Vereinigung für Datenschutz, der Chaos Computer Club und die Humanistische Union mitwirken? "Wir wollen aufklären", erläutert Gössner. Auch über die Medien. Wobei es nicht immer so gut läuft wie mit dem niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann, dem vor laufender Kamera auf Sat1 symbolisch das BigBrotherAward-Foto überreicht werden konnte - für die Legalisierung der präventiven Telekommunikationsüberwachung. Das Gesetz wurde später vom Bundesverfassungsgericht kassiert.

Rainer Kabbert

Weserkurier, Bremen, 17. Oktober 2009
Original: Nicht bekannt

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