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Brita am Pranger: Tochterunternehmen erhält Big Brother Award für Projekt

Den Big Brother Award gibt es nunmehr schon seit zwölf Jahren. Er ist wahrhaftig keine Zierde und wird all jenen Firmen, Organisationen und Personen verliehen, „die in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen und persönliche Daten Dritten zugänglich machen“. Am Freitag wurde unter anderen Markus Hankammer, vertretungsberechtigter Geschäftsführer der Taunussteiner Firma Brita, mit dem „Oskar für Datenkraken“ ausgezeichnet. Er reiht sich ein in illustre Namen: Denn das von der IT-Branche als Heilsbringer gefeierte Cloud Computing zählt genauso zu den Preisträgern wie das Cyber-Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich oder die Spionagesoftware „FinFisher“.

Ein Preis als Pranger: Dort steht nunmehr Hankammers Projekt „Schoolwater“, das ein Brita-Tochterunternehmen vermarktet. Im Kern geht es um Wasserspender und um Flaschen, mit denen Wasser gezapft werden kann. An rund 30 Schulen stehen die Systeme bislang schon, über die Leitungswasser mit Sprudel versetzt und an Schüler verteilt wird. Die Kinder und Jugendlichen zahlen pro Schuljahr 36 Euro, um das gekühlte Nass abfüllen zu dürfen. Das ist gesund, weil Trinken eben gesund ist, wirbt Brita. Zudem sparten Eltern und Kinder Bares, weil das Wasser, verglichen mit Automatengetränken, billig ist.

Flaschen mit RFID-Chips "verwanzt"

Doch die Jury des Big Brother Awards – in der der Chaos Computer Club genauso vertreten ist wie die Internationale Liga für Menschenrechte oder die Deutsche Vereinigung für Datenschutz – hat ein Haar im Wasser gefunden. Die Juroren monieren vor allem die RFID-Chips, mit denen die Flaschen zum Zapfen des Wassers „verwanzt“ sind. Dies dokumentiere in besonders eklatanter Weise den Versuch, „Überwachung und Bevormundung schon im frühen Kindesalter zu etablieren“.

Den Big Brother Award organisiert FoeBuD, der Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (dessen organisatorischer Geschäftsführer ist seit fast einem Jahr Detlev Sieber, früherer Schlangenbader Bürgermeister und ehemaliger Geschäftsführer des Volleyballclubs Wiesbaden). Im FoeBuD-Vorstand sitzt ein Mann, der nur unter seinem Pseudonym bekannt ist: Der Künstler padeluun hat sich in Deutschland einen Namen als Netzaktivist gemacht, der für digitale Bürgerrechte eintritt. Im Bundestag ist er als Sachverständiger Mitglied der Enquetekommission Internet und digitale Gesellschaft.

"Schnüffelchips"

Am Freitag hat padeluun die „Laudatio“ auf Markus Hankammer gehalten: Brita habe in seinen Broschüren und auf seiner Internet-Seite, mit denen das Unternehmen über „Schoolwater“ informiert, keinerlei Hinweis auf die „kleinen gemeinen Schnüffelchips“ gegeben. Mit dem Projekt würden Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ermuntert, derartige RFID-Chips bei sich zu tragen. Auch versuche Brita, Wasser zu einem teuren Gut umzugestalten. Die Versorgung mit Wasser, von den Vereinten Nationen zum Menschenrecht erhoben, werde zur kostenpflichtigen Dienstleistung kommerzialisiert. Brita verteidigt sich gegen diese „Würdigung“. Der Chip in der Trinkflasche ermögliche keine systematische Speicherung, Weiterverarbeitung oder Weitergabe von Daten. Er diene allein der Zugangsberechtigung. Dank dieser Technik sei es möglich, den unsachgemäßen Gebrauch des Trinkwasserspenders zu verhindern. Denn der Chip gestattet es den Schülern, nur alle zehn Minuten Wasser zu zapfen – die dazu gespeicherten Informationen würden im Übrigen alle zehn Minuten gelöscht.

„Schoolwater“-Technik „gefahrlos“

Im Vorfeld der Preisverleihung und auf Anfrage des Kurier hat der Hessische Datenschutzbeauftragte „Schoolwater“ begutachtet und Entwarnung gegeben. Ulrike Müller, Sprecherin des Datenschutzbeauftragten, nennt die „Schoolwater“-Technik „gefahrlos“. Eine Datenschutzbrisanz sei nicht zu erkennen. Bewegungsprotokolle ließen sich mit diesen Chips nicht herstellen. Dazu müssten die Schüler den Geräten, die die RFID-Chips auslesen, „auf die Pelle rücken“. Sie müssten sich den Lesegeräten auf eine Distanz von weniger als 20 Zentimetern nähern.

Dessen ungeachtet bleibt padeluun bei seinem Standpunkt: „Die Masse macht‘s. Wenn wir keinen Widerstand leisten und gesetzliche Regulierungen einfordern, breiten sich RFID-Chips immer weiter aus.“ Zumal ihn neben der Übertechnisierung „der Kleingeist“ stört, der bei „Schoolwater“ sichtbar werde.

Christoph Cuntz

Wiesbadener Kurier, Wiesbaden, 13. April 2012
Original: http://www.wiesbadener-kurier.de/region/wiesbaden/meldungen/11863537.htm

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