FoeBuD e.V.  ·  Marktstraße 18  ·  D-33602 Bielefeld
http(s)://www.foebud.org  ·  foebud@bionic.zerberus.de

Auf der Spur von Daten-Kraken

„Überwachungs-Oscar

Bielefeld/Bremen. Die Zeiten als bei Tchibo nur Kaffee verkauft wurde, sind lange vorbei. Das Unternehmen vertreibt auch Kochtöpfe, Gartenwerkzeug, Unterwäsche oder Aromakerzen. „Jede Woche eine neue Welt", lautet der griffige Slogan in den rund 870 Filialen. Die jährlich 1300 unterschiedlichen Artikel lassen sich auch über das Internet ordern. Was kaum jemand weiß: Tchibo handelt auch mit Adressen, und zwar mit denen seiner Kunden. Dafür gab es gestern den Big Brother Award, eine Negativ-Auszeichnung von Datenschützern.

Jahr für Jahr werden hierzulande Milliarden Euro mit dem Handel privater und geschäftlicher Adressen verdient. Dabei geht es schlichtweg um alle Informationen, die einen so genannten „Mehrwert" versprechen, wie etwa Lebens- und Konsumgewohnheiten der Kunden. Versandhäuser etwa führen riesige Datenbanken, in denen Einkaufsprofile gespeichert werden. Der Verkauf dieser Informationen an Dritte ist streng verboten. .

Tchibo direct, die Internet-Tochter des Kaffeeherstellers, mischt munter und überaus erfolgreich mit im Versandgeschäft: 3,5 Millionen Kunden, 359 Millionen Euro Umsatz, vor zehn Tagen auf einem Kongress zum „Versender des Jahres 2004" gekürt.

Der Datenschutz sei gewahrt, versichert das Unternehmen. Im Prospekt werde zugesichert, dass alle persönlichen Informationen vertraulich behandelt würden. „Dabei werden die Verbraucher nicht darüber informiert, was mit ihren Daten passiert", sagt Alvar C. H. Freude vom Förderverein Informatik und Gesellschaft, Jury-Mitglied des Big Brother Awards 2004. Denn tatsächlich würden die Informationen an den Adresshändler AZ Direct GmbH verkauft, der offensiv mit den Tchibo-Kunden in seiner Kartei wirbt. „Mit dieser dreisten Weitergabe wird die Privatsphäre auf grobe Weise verletzt", so Freude.

Nicht der einzige Verstoß, den Datenschützer anprangern. Auch die Bundesagentur für Arbeit erhielt gestern einen der „Überwachungs-Oscars", die in insgesamt acht Kategorien vergeben wurden. Kritisiert werden die „inquisitorischen Fragebögen" zum Arbeitslosengeld II. „In dem 16-seitigen Antragsformular werden bei Langzeitarbeitslosen hoch sensible Daten unzulässig abgefragt", moniert der Bremer Anwalt Rolf Gössner, Mitglied der Jury und Vorsitzender der Liga der Menschenrechte. Als problematisch wertet Gössner vor allem, dass auch die Einkommens-, Vermögens- und Wohnverhältnisse der im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen offen gelegt werden müssen.

Diese Informationen könnten zudem leicht in die Hände unbefugter Dritter geraten, wenn etwa Verdienstbescheinigungen beim Arbeitgeber eingeholt würden. Nach massiven Einwänden habe die Bundesagentur zwar ihre Formulare überarbeitet - doch die neuen Antragsbögen stünden erst ab Februar kommenden Jahres zur Verfügung. „Bis dahin haben Millionen Menschen datenschutzwidrige Formulare ausgefüllt", sagt Gössner.

Krischan Foerster

Weser-Kurier, Bremen, 30. Oktober 2004
Original: Nicht bekannt

© WWW-Administration, 08 Mar 06