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Ausgezeichnete Datenkraken

Jury 2003Am vergangenen Freitag wurden in der Ravensberger Spinnerei die deutschen Big Brother Awards 2003 verliehen. Die meisten Gewinner dementierten, dass sie den Negativpreis für Datenkraken verdient haben, einige reagierten gar nicht.

Von Mario A. Sarcletti

»Sie müssen uns glauben: Wir nehmen Datenschutz im Konzern sehr, sehr ernst. Aber wir können die Daten nur schützen, wenn wir sie haben«, sagt der Redner und das Publikum im vollen Murnausaal bricht in Gelächter aus. Er spricht für den Preisträger T-online, allerdings ist er kein Vertreter des rosaroten Riesen. Da keiner der Preisträger der diesjährigen Big Brother Awards die »Ehrung« für Datenkraken abholen wollte, musste padeluun, Mitinitiator des Preises, in die Rolle der Ausgezeichneten in sieben Kategorien schlüpfen. Zum vierten Mal wurde der Preis in Deutschland verliehen, die Awards gibt es inzwischen in vierzehn europäischen ändern, außerdem werden die Preise für Behörden und Unternehmen in Australien, den USA und Kanada sowie in Japan verliehen.

Auch wenn die Verleihung jedes Jahr eine unterhaltsame Veranstaltung mit Musik und Sektempfang ist, geht es bei den Awards um ein ernstes Thema: Den Eingriff in Datenschutz und Bürgerrechte. In diesem Jahr stand wie bei T-online der Bereich »Telekommunikation« im Mittelpunkt. So wurde der Marktführer unter den Internetprovidern dafür ausgezeichnet, dass dort IP-Adressen, also die Zahlenkombination, die einem Computer bei der Einwahl ins Internet zugewiesen wird, achtzig Tage lang gespeichert wird.

Das Unternehmen begründet die Langzeitspeicherung mit Beschwerden gegen die Abrechnung. »Bei mehr als drei Millionen T-DSL Kunden kommt es immer wieder zu Rechnungsanfragen über die erbrachten Leistungen«, teilt dazu die Konzernzentrale mit. Allerdings wird der flat-rate-Tarif nutzungsunabhängig erhoben. Dass die Speicherung der IP-Adressen auch dazu dient, Störungen nachgehen zu können, rechtfertigt nach Meinung von Laudator Lutz Donnerhake die 80-tägige Speicherung nicht.

Auch in der Kategorie Politik sind es vor allem Eingriffe in das vom Grundgesetz geschützte Telekommunikationsgeheimnis - das der ehemalige Bundesverfassungsrichter Jürgen Kühling im Grundrechtereport 2003 als »Totalverlust« bezeichnet -, die den Bundesländern Thüringen, Rheinland-Pfalz, Bayern und Niedersachsen den BBA einbringen. In Thüringen bereits beschlossen, in den anderen Bundesländern geplant ist die präventive Telefonüberwachung und die Standortfeststellung per Mobiltelefon bei Personen, denen zukünftig Straftaten zugetraut werden.

Thüringen hat außerdem den präventiven großen Lausch- und Spähangriff bereits legalisiert, Rheinland-Pfalz will bald nachziehen. Bei einer Maßnahme ist Bayern der größte der großen Brüder: An den Landesgrenzen, Flughäfen und anderen so genannten gefährdeten Orten werden die Kennzeichen von Fahrzeugen automatisch erfasst und mit Polizeidatenbanken abgeglichen. So sollen unter anderem vor Demonstrationen »bekannte Störer« herausgefiltert werden.

Da ist der Innensenator von Berlin denn doch ein etwas kleinerer Bruder, nach Meinung der Jury hat er dennoch den Preis in der Kategorie Regional redlich verdient. Ausgezeichnet wurde Dr. Ehrhart Körting für den Einsatz von stillen SMS zur Ortung von Verdächtigen, obwohl diese Methode rechtlich nicht gedeckt ist. Damit berührt Berlin einen »rechtsstaatlich existenziell wichtigen Punkt, nämlich das Verhältnis von vollziehender und gesetzgebender Gewalt bei der Schaffung neuer Eingriffsbefugnisse«, begründete Laudator Fredrik Roggan die Preiswürdigkeit Körtings.

Die weiteren Preisträger hatten zwar nicht in die Telekommunikation, dafür aber massiv in die Privatsphäre der Betroffenen eingegriffen: Die Post-Shop GmbH zwingt ihre ? im Übrigen geringfügig ? Beschäftigten per Arbeitsvertrag, auf Verlangen des Arbeitgebers ihren Arzt bei mehr als zweiwöchiger Krankheit von der Schweigepflicht zu entbinden. Das ehemailge Staatsunternehmen behauptet in einem Schreiben, dass diese in vielen Tarifverträgen zu finden seien. »Gleichlautende Formulierungen finden sich z.B. in §7 Bundes-Angestelltentarifvertrag«, erklärt die Post wahrheitswidrig. Dass dies auch Monika Wulf-Matthies von der Post AG behauptet, entbehrt dabei nicht einer gewissen Komik: Als ehemalige ÖTV-Vorsitzende sollte sie sich mit dem BAT auskennen.

Besonders viel Applaus bekamen der Gewinner des Life-Time-Awards, die GEZ, und die USA, die in der Kategorie Behörde ausgezeichnet wurden. Denn die zwingen Fluggesellschaften, die in das Land fliegen, die Daten ihrer Passagiere nach dem Abflug zu übermitteln. Vierzig verschiedene Daten werden dann automatisch analysiert und 15 Jahre lang gespeichert. Wer im Bordessen kein Schweinefleisch möchte, könnte da schon verdächtig werden. Die Lufthansa ermöglicht den US-Behörden gleich den Zugriff auf ihr Buchungssystem AMADEUS, wo die Daten aller Lufthansa Passagiere abgerufen werden können. Die US-Regierung verspricht aber, nur auf die von Reisenden in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zuzugreifen, großes Indianerehrenwort.

Genauso ehrlich verspricht auch die Metro AG, den »Modernisierungs- und Innovationsprozess im Handel zum Nutzen der Kunden voranzutreiben.« Der Handelskonzern erhielt den Preis in der Kategorie »Verbraucher« für seinen Future Store in Rheinberg. Dort sind alle Produkte mit der so genannten RFID-Technik ausgestattet, die auf Chips gespeicherten Informationen können berührungsfrei ausgelesen und auf ein Display am Einkaufswagen übertragen werden. Dort kann der Kunde auch seine persönliche Standardeinkaufsliste ablesen, nachdem ihn das Wägelchen an seiner Kundenkarte ? oder Loyalty Card - erkannt hat. »Eine Verknüpfung zwischen der RFID-Technologie und persönlichen Kundendaten ist nicht gegeben und auch technisch gar nicht möglich«, beruhigt Metro Datenschützer. Laudatorin Rena Tangens entwickelte allerdings ein ganz anderes Szenario. Sie glaubt, dass zukünftig nachvollzogen werden kann, wer sich auf der Straße illegal der Verpackung eines Schokoriegels entledigt hat. Davon konnte George Orwells Big Brother nur träumen.

Info: Die vollständigen Laudationes sind nachzulesen unter http://www.big-brother-award.de

WebWecker Bielefeld, 2003
Original: http://www.webwecker-bielefeld.de/servlet/is/15748/

© WWW-Administration, 08 Mar 06