Ausgezeichnete Datenschnüffler: Der Big Brother Award wurde zum elften Mal an besonders eifrige Sammler vergeben. Diesmal auf der Liste der Jury: Facebook, dubiose Daimler-Bluttests, Apples Datenschutzbestimmungen und Datengaunerei mit Schülern.
Was hat Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) mit der Modemarke Peuterey zu tun? Was verbindet die Daimler AG in Stuttgart mit der Apple GmbH in München? Die Antworten kommen aus Bielefeld. Dort wurden am Freitagabend die Big Brother Awards 2011 verliehen.
Datenhungrig: Facebook und Apple
Die Preise gingen an Institutionen und Firmen, die sich laut Veranstalter um die Aushöhlung des Datenschutzes im vergangenen Jahr besonders verdient gemacht haben. Die oben Genannten zählten zu den Gewinnern dieses Negativpreises, den der Bielefelder "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs" (FoeBuD) zum elften Mal verlieh.
Mit auf der Gewinnerliste stand auch das Online-Netzwerk Facebook. Seine Betreiber erhielten die Datenkraken-Auszeichnung "für die gezielte Ausforschung von Menschen und ihrer persönlichen Beziehungen hinter der netten Fassade eines vorgeblichen Gratisangebots", hieß es in der Laudatio auf das populäre Netzwerk mit dem unstillbaren Datenhunger.
Klartext auch in Sachen Apple. Das kalifornische Unternehmen verkaufe seinen Kunden teure Hardware und zwinge sie dazu, "zweifelhafte" Datenschutzbestimmungen abzunicken. Der Käufer müsse zustimmen, dass Apple seine Daten mit anderen Unternehmen "teilt". Wer das ablehne, könne sein teures iPhone nicht mehr nutzen, so die Laudatoren Frank Rosengart und Andreas Bogk vom Chaos Computer Club. Vitaminpillen statt Bücher
Würdige Preisträger hat der Bielefelder Verein nicht nur in Kalifornien, sondern auch in Bayern entdeckt. Für den Starnberger Verlag für Wissen und Innovation sei Datensammelwut im letzten Jahr kein Fremdwort gewesen, meinte Laudator Sönke Hilbrans, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Datenschutz. Der Verlag habe in Schulen Büchergutscheine verteilt, die nur eingelöst werden konnten, wenn die Schüler ihre Daten und die Anschriften ihrer Eltern preisgaben.
Bei Werbe- und Finanzdienstleistern seien die Namen und Adressen von Schülern und Eltern sehr begehrt, so Hilbrans. "Denn welches werbende Unternehmen möchte nicht die Verbraucher von morgen schon heute am Schultor abholen können?" Bücher habe der Verlag im Übrigen gar nicht im Angebot gehabt. Stattdessen habe er mit Anlageberatern und einem Hersteller von Vitaminpillen kooperiert. Der Verlag hat laut FoeBuD seine Geschäftstätigkeit vor kurzem eingestellt.
Schünemanns Castor-Drohnen
Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann bekam seinen Datenkraken-Preis für den Einsatz von Mini-Überwachungsdrohnen bei den Protesten gegen den Castor-Transport im Wendland. Der Minister erhielt den Preis zum zweiten Mal. "Bereits 2003 wurde er mit dem Big Brother Award 'abgestraft' - unter anderem für die präventive Telekommunikationsüberwachung im niedersächsischen Polizeigesetz", sagte Laudator Rolf Gössner von der Internationalen Liga für Menschenrechte.
Big Brother Awards 2011 - Ziele und Preisträger
Big Brother Awards gibt es in Deutschland seit dem Jahr 2000. Sie werden vom Bielefelder "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs" (FoeBuD) vergeben. Der Verein hofft, mit der Negativauszeichnung das abstrakte Thema Datenschutz durch konkrete Beispiele anschaulich zu machen.
Die Preisträger 2011:
* Kategorie Arbeitswelt: Daimler AG in Stuttgart Deutscher Zoll * Kategorie Behörden und Verwaltung: Gert G. Wagner, Vorsitzender der Zensuskommission * Kategorie Verbraucherschutz: Verlag für Wissen und Innovation in Starnberg * Kategorie Politik: Uwe Schünemann (CDU), Innenminister von Niedersachsen * Kategorie Technik: Modemarke Peuterey, vertreten durch die Düsseldorfer Modeagentur Torsten Müller * Kategorie Kommunikation: Facebook GmbH Deutschland Apple GmbH München * Kategorie Neusprech: Ausgezeichnet wurde die Wortschöpfung "Mindestspeicherdauer"
In der Kategorie "Behörden und Verwaltung" ging der Big Brother an Gert Wagner, den Chef der deutschen Zensuskommission. "Mit der aktuellen Volkszählung werden sensible Persönlichkeitsprofile von über 80 Millionen Menschen erstellt, die bis zu vier Jahre (...) personenbezogen verfügbar sind", sagte Laudator Werner Hülsmann vom Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung. Wagner erhalte den Negativpreis stellvertretend für alle Beteiligten. Schnüffelkleidung und Bluttests
Auch schicke Kleidung kann gefährlich sein - so etwa wenn sie von der italienischen Modemarke Peuterey stammt und versteckt eingenähte RFID-Funkchips enthält. Vertrieben wird die neugierige "Schnüffelkleidung" von einer Düsseldorfer Modeagentur, die dafür prompt den Big Brother in der Kategorie "Technik" gewann.
Ein weiterer Big Brother ging an die Stuttgarter Daimler AG - verdient, wie Laudator Peter Wedde, Professor für Arbeitsrecht an der Uni Frankfurt, meinte. Daimler habe bis Ende 2009 bei Einstellungsuntersuchungen obligatorische Bluttests verlangt. Arbeitsrechtlich abgesegnet war "diese Form des modernen Vampirismus" in den meisten Fällen nicht, so Wedde.
Alfred Krueger
ZDF heute, 01. April 2011
Original: http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/23/0,3672,8230167,00.html