Von Christiane Schulzki-Haddouti
Fünf Millionen Deutsche sammeln Rabattpunkte auf ihrem Payback-Konto. Die Firma Payback sammelt diese Daten auf ihren Rechnern. Wer eine Kundenkarte bei der Tankstellenkette Dea, beim Handelsriesen Metro oder der Lufthansa besitzt, dessen Kaufgewohnheiten werden gespeichert und zu wertvollen Konsumprofilen destilliert. Dass Payback als Rabattmarke daher kommt, aber eigentlich darauf abzielt, personalisierte Daten zum Kaufverhalten von Kunden zu gewinnen und kommerziell zu nutzen, brachte dem Unternehmen den Big-Brother-Award ein.
Was Payback off- und online treibt, haben auch Werbefirmen wie Doubleclick im Internet zum Geschäftsziel erklärt: Mit Hilfe von Cookies und unsichtbaren Webkäfern werden Adresskennungen und Surfverhalten, Transaktionen und Suchbegriffe aus Suchmaschinen gesammelt. Datenbanken verknüpfen diese Informationen, damit Surfer später mit individuellen Werbebannern und anderen Angeboten beglückt werden können. Da einzelne Surfer bereits bis zu ihrer Netzwerkkarte, also ihrem Rechner zurückverfolgt werden können, ist die Anonymität im Netz längst gegen Null geschrumpft. Gegen die Online-Marketing-Firmen Avenue A und MatchLogic hat deshalb eine große US-amerikanische Kanzlei vor wenigen Tagen Sammelklagen eingereicht
Was private Firmen können, können staatliche Einrichtungen theoretisch auch. Ob irgendeine Regierung ihre Surf-Untertanen auf diese Weise überwachen läßt, weiß niemand. Interessanter für staatliche Behörden wie Polizei und Geheimdienste ist aber nicht das individuelle Surfverhalten, sondern das Kommunikationsverhalten per Email und in Chaträumen. Das FBI hat deshalb mit 'Carnivore' bereits ein Programm entwickelt, mit dem sich diese Kommunikation auswerten läßt.
Einen radikalen Gegenentwurf zu diesem offenen, überwachbaren Netz entwickelte der schottische Student Ian Clarke: Mit Freenet konstruierte er ein paralleles Internet, das zensurresistent Informationen anonym und effizient publizieren und abrufen läßt. Rund 400 Entwickler arbeiten derzeit an dem Prototyp. Die kanadische Firma ZKS wiederum entwickelte den Dienst Free. Er ermöglicht Internetnutzern, über anonymisierende und verschlüsselnde Server verschiedene Internetdienste anonym zu benutzen.
Gibt es ein Recht auf Anonymität im Netz? Strafverfolger beantworten diese Frage weltweit mit einem klaren Nein. Sie haben sich auch schon vor Jahren gegen die Verbreitung von Verschlüsselungsprogrammen ausgesprochen. Mit einer derartigen Software lassen sich Daten geheim und geschützt übertragen. Als Schutz gegen Wirtschaftsspionage oder andere unerwünschte Mitleser sind derartige Kryptoprogramme ebenso erwünscht wie zum Schutz finanzieller Transaktionen. Dass sie auch zur Verschleierung von Straftaten genutzt werden können, nimmt man inzwischen billligend in Kauf. Sicherheit im Netz ist nämlich nicht möglich, wenn über staatliche Sollbruchstellen Unsicherheit geschaffen wird.
Dasselbe gilt auch für die Anonymität: Wie sich Nutzer im Netz bewegen, unter welchem Namen sie sich präsentieren, sollte ihnen selbst überlassen sein. Je besser Anbieter wie Payback, aber auch Websitebetreiber wie Amazon die Nutzer und Kunden über ihren Umgang mit den Daten informieren, desto größer wird die Akzeptanz unter den Nutzern sein. Denn vertrauen kann man einem Angebot nur dann, wenn man weiß, auf was man sich eingelassen hat.
Wer vollkommen anonym bleiben will, wird sich auf Dienste wie Free zurückziehen. Wer seine Anonymität zu Gunsten eines Online-Kaufs aufgeben möchte, will wissen, zu welchen Bedingungen er dies tun muss. So genannte Identitätsmanager könnten hierbei Regeln aufstellen und überwachen. Mit Hilfe des vom World-Wide-Web-Konsortiums entwickelten P3P-Standards lassen sich Websites schnell auf ihre Datenschutzgepflogenheiten hin durchleuchten. Letztlich gilt aber auch für Verstöße gegen den Datenschutz dasselbe wie für andere Vergehen im Netz: Geahndet werden müssen sie, doch erst Selbstschutz und Prävention verhindern sie.
Zeit, 30. November 2000