Lidl geht nicht zimperlich mit seinen Mitarbeitern um. Der jüngste Fall lässt in Abgründe blicken: Überwachungskameras und Protokolle über "naiv wirkende" Mitarbeiter.
Der Discounter Lidl ist schon lange dafür berüchtigt, mit seinen Mitarbeitern nicht gerade nett umzugehen. Bereits 2004 erhielt das Unternehmen den "Big Brother Award" für "den nahezu sklavenhalterischen Umgang mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern".
Die Vorwürfe: Mitarbeiter werden ohne ihr Wissen mit Kameras überwacht, die Bildung von Betriebsräten wird verhindert, indem mit Filialschließungen gedroht wird, Überstunden werden nicht bezahlt. Die Gewerkschaft Verdi hat bereits bereits 2004 ein "Schwarzbuch Lidl" vorgelegt, im Jahr 2006 folgte das "Schwarzbuch Lidl Europa."
Jetzt hat der Stern einen neuen Skandal aufgedeckt. Dem Magazin liegen hunderte Seiten von internen Protokollen vor, in denen die Bespitzelung der Mitarbeiter dokumentiert wird. Jeweils mit Tag und Uhrzeit wird darin dokumentiert, wer wann und wie lange auf die Toilette geht, was die Mitarbeiter in den Pausen besprechen, wer möglicherweise mit wem ein Liebesverhältnis hat oder einfach nur "introvertiert und naiv" wirkt.
Offenbar wussten selbst die Filialleiter nichts von der Überwachung. Sie gingen davon aus, dass die installierten Kameras dazu dienen sollten, Ladendiebstähle aufzuklären.
Die Zitate aus den Protokollen greifen tief in die Persönlichkeitsrechte ein. So wurden sogar Privatgespräche abgehört: "Mittwoch, 14.05 Uhr: Frau M. möchte in ihrer Pause ein Telefonat mit ihrem Handy führen, es erfolgt die automatische Ansage, dass das Guthaben auf ihrem Prepaid-Handy nur noch 85 Cent beträgt. Schließlich erreicht sie telefonisch eine Freundin, mit welcher sie heute Abend gerne gemeinsam kochen würde, dieses setzt aber voraus, so Frau M., dass ihr Gehalt bereits gutgeschrieben wurde, da sie ansonsten kein Geld mehr hätte, um einzukaufen."
Bei einer anderen Mitarbeiterin wird das Äußere kommentiert ("Frau N. ist an beiden Unterarmen tätowiert"), das Verhalten am Arbeitsplatz ("Frau E. und Frau F. unterhalten sich, auch vor Kunden, auf polnisch miteinander!") oder ob die Angestellten pünktlich Feierabend machen. Die meisten der Protokolle stammen aus Niedersachsen, dokumentiert sind aber auch Fälle aus Rheinland-Pfalz, Berlin und Schleswig-Holstein.
Datenschützer halten diese Methoden für skandalös. "Das stellt einen klaren Verstoß gegen Artikel zwei Grundgesetz dar, der die freie Entfaltung der Persönlichkeit schützt", sagt der Arbeitsrechtler Klaus Müller-Knapp gegenüber dem Stern. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar, sagte, dass das Protokollieren eines Toilettenbesuchs und Ähnliches einen schweren Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz darstelle: "Ich gehe davon aus, dass, wenn solche Vorgänge bekannt werden, die zuständige Datenschutzbehörde tätig wird und Ermittlungen einleitet", sagte er.
Lidl selbst bestreitet die Existenz der Protokolle noch nicht einmal. Sie dienten aber nicht der Mitarbeiterüberwachung, sondern der Feststellung eventuellen Fehlverhaltens, erklärte eine Lidl-Sprecherin. Die Datenschützer für den nicht-öffentlichen Bereich in Baden-Württemberg werden nach Angaben des Innenministeriums dem Fall jedoch nachgehen. "Der Sachverhalt muss aufgeklärt werden", betonte eine Ministeriumssprecherin.
Die Zeit, Hamburg, 26. März 2008
Original: http://www.zeit.de/online/2008/13/lidl-spionage