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Schwarzbuch des Datenschutzes

Zum neunten Mal verleiht der Verein Foebud die "Oscars für Überwachung". In diesem Jahr gehen die Preise vor allem an die Politik. Wir stellen die Preisträger vor.

Überwachen, ausspähen, speichern - wer dafür sorgt, Freiheitsrechte abzubauen und die Privatsphäre zu schleifen, kann sich sicher sein, irgendwann vom Foebud e. V. dafür "geehrt" zu werden. Längst sind die Big-Brother-Awards so etwas wie ein Schwarzbuch des Datenschutzes. Bisher hatte noch keiner der so Ausgezeichneten die Größe, den Preis persönlich entgegen zu nehmen. Das ist in diesem Jahr anders. Wer die Datenkraken des Jahres sehen möchte, folgt den Bildern. Wer zur Seite des Vereins über die Verleihung will, muss hier lang.

Es scheint, als hätten die Verleiher des Big-Brother-Awards in diesem Jahr einfach genug gehabt. Bisher bekamen den Preis immer nur ausgewählte Politiker; nun aber verliehen sie den Überwachungs-Oscar dem gesamten Bundestag. In der Kategorie "Verbraucher" erhalten ihn die Mitglieder des 16. Deutschen Bundestages "für das Durchwinken mehrerer Gesetze, die eine Erhebung, langfristige Speicherung und Weitergabe von detaillierten Daten über Reisende erzwingen". Es gebe bald, sagte Alvar Freude in der Laudatio, kein Fortbewegungsmittel mehr, in dem nicht konstant beobachtet werde. "Man könnte denken, dass Reisen an sich schon als Terror- und Kriminalitätsverdacht ausreicht." Autokennzeichen-Scanner, Flugpassagierdaten, Zugreservierungen, Fährüberfahrten – jede Bewegung wird inzwischen dank neuer Gesetze registriert und gespeichert. "Die eigenen persönlichen Daten sind vielen Abgeordneten heilig, man denke nur an einige Reaktionen auf die Aufforderung zur Offenlegung der Nebeneinkünfte. Die Privatsphäre der Bürger dagegen scheint vielen nicht weiter schützenswert."

Auch der zweite Award geht 2008 an einen Gesetzgeber, an den Rat der Europäischen Union, auch EU-Ministerrat genannt, und seinen derzeitigen französischen Präsidenten Bernard Kouchner. Verdient hat der Rat sich den Preis mit der Einführung einer demokratisch nicht legitimierten Terrorliste. Denn wer in ihr lande, werde gravierenden Sanktionen unterworfen, die zu schweren Menschenrechtsverletzungen führten, sagte der Anwalt Rolf Gössner bei der Verleihung. Demokratische Kontrolle? Keine. Selbst Mitglieder der EU-Gremien wie Sonderermittler Dick Marty nennen die Liste "ungerecht" und "pervers", in ihr zu stehen komme einer "zivilen Todesstrafe" gleich. Abgeschafft wird sie deshalb aber nicht. Für den Foebud ein "Terrorinstrument", das den Big- Brother-Award verdient.

Schon zum zweiten Mal ist die Deutsche Telekom unter den Preisträgern. Dieses Mal für den Versuch, eigene Aufsichtsräte und Journalisten zu bespitzeln und dafür illegal Verbindungsdaten zu nutzen. Richterliche Beschlüsse? Braucht die Telekom nicht, wenn es um ihre Interessen geht. Gesetze? Unwichtig. Die Telekom habe dem Vertrauen in das Telekommunikationsgeheimnis, in die Pressefreiheit und in den Datenschutz möglicherweise bleibenden Schaden zugefügt, sagte Anwalt und Bürgerrechtler Fredrik Roggan in seiner Begründungsrede. Wenigstens hatte das Unternehmen die Größe, den Preis selbst entgegen zu nehmen. Natürlich nicht in Person von Konzernchef René Obermann. Doch wenigstens kam der Datenschutzbeauftragte der Telekom.

Immer mehr Geräte sammeln Daten über und unser Leben. Dank der Yello Strom GmbH tut dies nun auch der Stromzähler. Digitalstrom heißt die Technologie, die Yello eingeführt hat. Die neuen Zähler speichern nun sekundengenau den Stromverbrauch und senden diese Daten via Stromnetz alle fünfzehn Minuten über das Internet zur Zentrale. Das Problem? Viele Informationen über den Verbraucher, wie Vereinsgründerin Rena Tangens sagte: "Wann wird aufgestanden, wann aus dem Haus gegangen? Wann wird gekocht, wann Fernsehen geschaut? Sind die Bewohner verreist?" Yello will noch mehr. Jedes Gerät im Haushalt soll einen Chip erhalten und identifizierbar sein. Das Versprechen von mehr Effizienz wird erkauft durch ein Weniger an Privatheit. "Nein, Yello spioniert keine Stromkunden aus", sagte Tangens. Aber: Prävention sei heute alles. "Dies ist ein präventiver BigBrotherAward - er soll davor warnen, diese Technik vorschnell anzunehmen, bevor nicht sichere und dokumentierte Maßnahmen zum Schutz der Privatsphäre implementiert sind."

Der Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute (ADM) ist die Standesorganisation der größten Markt- und Sozialforschungsinstitute. Zu den Zielen des ADM gehört es, die Anonymität der Befragten zu schützen, Standards in der Zusammenarbeit mit den Auftraggebern von Marktforschung zu setzen und zur Entwicklung von Datenschutznormen in der Markt- und Sozialforschung beizutragen. Doch die Empfehlungen des ADM an seine Mitglieder für Telefon- Interviews sprechen diesen Zielen Hohn. Dort heißt es, dass dem Auftraggeber einer Befragung das Mithören ermöglicht werden soll – ohne Kenntnis der Interviewer und der Befragten. Würden diese doch sonst nicht mehr "normal" agieren. Dass diese Praxis gegen Gesetze verstößt, ist dem ADM bekannt, immerhin wurde er vom Berliner Beauftragten für Datenschutz darauf hingewiesen. Geändert wurde sie nicht. Dafür also einen Big-Brother-Award.

Bürokratieabbau ist in der computerisierten Welt oft ein Synonym für einen Abbau an Datenschutz. Ein Beispiel dafür lieferte das Bundeswirtschaftsministerium von Michael Glos mit der Einführung des ELENA-Verfahrens. Frank Rosengart vom Chaos Computer Club sagte dazu: "Eine Zentraldatei, in der die Einkommensdaten aller Arbeitnehmer in Deutschland gespeichert werden – undenkbar? So möchte man meinen, doch mit dem neuen Meldeverfahren für den elektronischen Entgeltnachweis, kurz ELENA, wird sie Realität." Sobald künftig jemand Sozialleistungen beantragt, kann die Behörde all seine Einkommensdaten aus dieser Riesendatei abfragen. Denn Arbeitgeber sind verpflichtet, sie einzuspeisen. Datenspeicherung auf Vorrat, nennt das der Foebud, beziehen doch viele Menschen nie Sozialleistungen. "Herr Glos", fragte Rosengart, "das ELENA-Verfahren ist bestimmt gut gemeint, aber wollen Sie wirklich eine derartige Datensammlung aufbauen, wo der Missbrauch – im wahrsten Sinne des Wortes – vorprogrammiert ist?"

Die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) hat die Patientendaten von 200.000 chronisch kranken Versicherten an eine Privatfirma übermittelt, ohne die Versicherten über die Weitergabe zu informieren oder ihre Zustimmung einzuholen: Name, Anschrift, Diagnose, Krankenhaus- und Arzneimitteldaten. Unvorstellbar? Nein. Marketing. Die Versicherten bekamen Anrufe von der Firma Healthways International GmbH, die ein Gesundheitsberatungsprogramm der DAK bewarb. Das soll durch Beratung per Telefon die Lebensqualität der Kranken verbessern und der Kasse Kosten sparen. Die DAK verstand die Aufregung nicht, habe die Firma doch im Auftrag und somit als verlängerter Arm der Kasse gehandelt. Einen Verstoß gegen den Datenschutz und das Sozialgeheimnis kann sie nicht erkennen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte und der Foebud schon: Herzlichen Glückwunsch zum Big-Brother-Award!

Kai Biermann

Die Zeit, Hamburg, 25. Oktober 2008
Original: http://www.zeit.de/online/2008/44/bg-big-brother

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