Das Unternehmen Tchibo hat gerade einen Preis erhalten - allerdings einen unrühmlichen. Für seinen Umgang mit Kundendaten wurde der Kaffeeröster und Versandhändler aus Hamburg mit dem Big Brother Award 2004 ausgezeichnet. Der Preis brandmarkt die Missachtung von Verbraucherinteressen und wird von der Bielefelder Organisation Foebud verliehen. Als Kontrollinstanz hat sich dieser Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs, der sich im Wesentlichen durch Spenden finanziert, einen Namen gemacht.
Foebud-Gründerin Rena Tangens wirft Tchibo vor, das Unternehmen führe »seine Kunden in die Irre«, weil es sie über den Umgang mit ihren Adressen im Unklaren lasse. Im Internet schreibt das Unternehmen: »Die Weitergabe Ihrer im Internet eingegebenen persönlichen Daten an unberechtigte Dritte außerhalb des Unternehmens Tchibo ist grundsätzlich ausgeschlossen.« Im Tchibo-Prospekt steht: »Alle persönlichen Daten werden vertraulich behandelt.« Trotzdem dürfen die Daten weitergegeben werden, weil gleichzeitig ein nur Millimeter kleiner Hinweis im Prospekt steht, dass Kunden einer Weitergabe ihrer Adressen durch Tchibo widersprechen müssen. Also ist nur geschützt, wer es aktiv tut. Das sind die wenigsten.
Auf diese Weise mit einer Einwilligung ausgestattet, lässt Tchibo die Kundendaten durch den Adressenhändler AZ-Bertelsmann vermarkten. In dessen Broschüre ist denn auch zu lesen: »Sie benötigen Anschriften von Familien, die beim Einkauf auf die Vielfalt und Qualität eines Angebots achten? Dann ist der Kundenstamm von Tchibo genau richtig für Sie.«
Tchibo wehrt sich gegen die Vorwürfe von Foebud. »Die Begründung der Auszeichnung ist inhaltlich nicht korrekt«, sagt Sprecherin Stefanie von Carlsburg. »Tchibo behandelt die Daten seiner Kunden selbstverständlich vertraulich.« Eine Weitergabe der Adressdaten von Kunden sei gemäß den Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes »zulässig und auch branchenüblich. Gleichzeitig geben wir unseren Kunden natürlich jederzeit die Möglichkeit, der Weitergabe zu widersprechen.« Daten von Internet-Kunden würden »für Zwecke der Werbung definitiv nicht« weitergegeben.
Juristisch ist das Thema hoch kompliziert. Denn hinter den Meinungsverschiedenheiten von Tchibo und Foebud verbirgt sich ein Streit um grundsätzliche Fragen. Sie betreffen praktisch alle Unternehmen, die Kundendaten erheben oder verwerten: In welchen Fällen haben Verbraucher der Weitergabe der Informationen überhaupt zugestimmt? Dürfen Unternehmen – wie es derzeit gängige und legale Praxis ist – bereits vom Einverständnis ihrer Kunden ausgehen, wenn diese nicht ausdrücklich widersprochen haben? Wie deutlich muss man sie auf das »Opt out« genannte Verfahren hinweisen?
Solange dieser Streit nicht gelöst ist, sollten Verbraucher das Kleingedruckte in Bestellformularen und Anträgen aller Art genau lesen – und sich daran erinnern, dass der bloße Verzicht auf ein ausdrückliches »Nein« juristisch durchaus ein »Ja« bedeuten kann. goh/roh
www.zeit.de/2004/48/freiheit
Die Philosophin Beate Rössler im Gespräch über den Verlust an Freiheit durch Datenbanken und deren Nutzung
www.bigbrotheraward.de
Der Bielefelder Datenschutzverein Foebud sammelt die krassesten Verstöße gegen die Interessen von Bürgern
(c) DIE ZEIT 18.11.2004 Nr.48
Götz Hamann und Marcus Rohwetter
Die Zeit, Hamburg
Original: http://www.zeit.de/2004/48/Kasten_Tchibo