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Big Brother Awards

Überwachung auf Schritt und Tritt

Zum elften Mal wurden die BigBrotherAwards für die schlimmsten Datenkraken vergeben. Anders als sonst stellte sich einer der Preisträger der Debatte.

Jedes Jahr vergibt der Verein Foebud seine BigBrotherAwards. Persönlich entgegen genommen wird diese Negativauszeichnung selten. Ob ausgezeichnete Unternehmen, Politiker oder Organisationen, kaum einer wollte sich bislang gerne bescheinigen lassen, sich den Oscar der Überwachung verdient zu haben und "die Privatsphäre zu beeinträchtigen oder persönliche Daten Dritten zugänglich zu machen." Anzeige

In diesem Jahr aber hat sich einer der Ausgezeichneten nach Bielefeld auf den Weg gemacht. Gert Wagner ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Vorsitzender der Zensuskommission der Bundesregierung. In dieser Funktion erhält er einen Big-Brother-Award "stellvertretend für alle Beteiligten" am Projekt Zensus2011 – oder, wie der Foebud die Volkszählung nennt, an der "Vollerfassung der Bevölkerung Deutschlands".

In einem Interview mit dem Handelsblatt hatte Wagner gesagt: "Beim Zensus werden doch vergleichsweise langweilige Daten erhoben. Für Marketing-Zwecke etwa sind die total ungeeignet. Was Google über jemanden abspeichert, der eine Suchanfrage startet, sagt viel mehr über eine Person aus."

In den Ohren des Foebud, der sich für Datenschutz und die Einhaltung der Grundrechte einsetzt, klingt das naiv. Zitat aus der Laudatio: Wagner scheine sich "nicht so gut mit Adresshandel auszukennen", sonst wüsste er sicher, dass die beim Zensus erhobenen Daten "auch ohne zusätzliche Informationen für den Adresshandel sehr wertvoll wären. Im Übrigen sei niemand gezwungen, Google zu nutzen und Google kenne auch keine Namen, Adressen und Religionszugehörigkeiten.

Daher greife die Volkszählung "gravierend" in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein, sagte Laudator Werner Hülsmann vom Arbeitskreis Zensus. "Derartiges Unverständnis dieses Datenschutzgrundrechts ist bei einem Vorsitzenden der Zensuskommission unentschuldbar."

Wagner selbst sagte dazu: "Der Preis ist eine Negativ-Auszeichnung. Er verkehrt Lob in Tadel, das Übliche ins Gegenteil. Nur wenn ich dorthin fahre und ihn annehme, kann ich ihn zurückweisen." Entsprechend dieser Dialektik nehme er den Award "selbstverständlich an, um damit die Überwachungsunterstellung formvollendet zurückzuweisen". Würde er nicht erscheinen, glaubt Wagner, nähme er die Kritik unwidersprochen hin. Er aber wolle diskutieren, denn die Volkszählung sei kein Überwachungsmittel, sondern schaffe Gerechtigkeit. Die Daten seien notwendig, "um die Verteilung von Steuergeldern besser an die Realität des Landes anzupassen".

Die gesammelten Datenmengen seien außerdem überschaubar, sagte Wagner. "Der Zensus trägt nur eine kleine, gesetzlich genau festgelegte Auswahl von Informationen zusammen, die bei verschiedenen Behörden gespeichert sind. Hauptsächlich geht es um Geschlecht, Alter, Wohnort, Familienstand und Ausbildung." Nicht einmal das Einkommen werde erfasst. Die Kritik, es würden "sensible Persönlichkeitsprofile" aller Deutschen erstellt, gehe "an der Realität vorbei".

Es ehrt Wagner, dass er den Preis als Debatte versteht und sich mit den Argumenten auseinandersetzt. Andere sind weniger zugänglich für Kritik.

Die weiteren Preisträger: Im Bereich Arbeitswelt erhielt die Daimler AG einen Award für die Praxis, flächendeckende Bluttests von Produktionsmitarbeitern zu verlangen. Begründung: "Diese Form von modernem Vampirismus erfolgt ohne Rücksicht auf Persönlichkeitsrechte und meist ohne arbeitsrechtlich erforderlich zu sein."

In der gleichen Kategorie geht ein Award an den deutschen Zoll, denn er mache sich zum Handlanger fremder Staaten. Immerhin räume der Zoll deutschen Firmen Erleichterungen beim Export und Import ein, wenn sie ihre Mitarbeiter mit russischen Antiterrorlisten verglichen. Die Listen kämen vom russischen Geheimdienst FSB, für den Abgleich gebe es hierzulande keine rechtliche Grundlage.

Einen Award für Kommunikation erhielt stellvertretend die Apple GmbH München. Ausgezeichnet wird sie für "die Geiselnahme ihrer Kunden mittels teurer Hardware und drauf folgende Erpressung, den firmeneigenen zweifelhaften Datenschutzbestimmungen zuzustimmen". Immerhin erlaube sich der Konzern, nahezu alle Daten seiner Nutzer zu speichern und zu verwerten. Von Freiwilligkeit könne nicht die Rede sein, wenn so teure Geräte wie das iPhone ohne Zustimmung zu den Bedingungen praktisch nutzlos seien. Da sich offenbar nicht genug Kunden darüber beschwerten, tue das nun der Foebud mit dem Award.

In der gleichen Kategorie erhielt auch Facebook Deutschland eine Nennung. Hier für die "gezielte Ausforschung von Menschen und ihrer persönlichen Beziehungen hinter der netten Fassade eines vorgeblichen Gratisangebots". Seine Daten speichert Facebook in den USA, dort sei der Zugriff für Geheimdienste möglich, das Löschen hingegen nicht vorgesehen. Per "Freundefinder" und "Handy-App" eigne sich Facebook Telefonnummern und Mailadressen aus den Adressbüchern der Nutzer an und der Gefällt-mir-Button verpetze auch ohne Anklicken alle Besucher der Seite an Facebook. Auf Schritt und Tritt würden Menschen beobachtet und seien der Willkür eines Konzerns ausgesetzt, der mit systematischen Datenschutzverstößen Milliarden verdiene.

Einen BigBrotherAward für Politik erhielt der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann. Verdient habe er ihn sich mit dem "ersten nachgewiesenen polizeilichen Einsatz einer Miniüberwachungsdrohne bei politischen Versammlungen". Im November 2010 hatte die Polizei eine Demo gegen den Castor-Ttransport mit einer Drohne überwacht. Solche Aktionen verletzten nicht nur die Persönlichkeitsrechte, sie könne auch einschüchternde und abschreckende Wirkung haben, sagt der Foebud.

Tina Klopp

Zeit Online, 01. April 2011
Original: http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2011-04/big-brother-awards-2011

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