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Reality-Check: RFID - was vom Hype übrigblieb

Neulich im Kaufhaus "El Corte Ingles" an der Placa de Catalunya in Barcelona: Unübersehbar prangt auf der Innensohle der Pura-Lopez-Pumps ein Etikett, das eine stilisierte Funkantenne darstellt. Darunter sinngemäß der Text: "Aus Gründen der Fälschungssicherung wurde dieses Produkt mit einem RFID- Chip gekennzeichnet". Ein Lesegerät ist weit und breit nicht zu sehen. Das dienstbeflissene Personal weiß auch nicht so recht, was es mit diesem Aufkleber auf sich hat. Aber den Kundinnen gibt es das Gefühl, ein Original am Fuß zu tragen.

Als die Metro Group vor etwa fünf Jahren zum ersten Mal Transponder-Chips auf Einzelartikeln anbrachte, tat sie das ungleich öffentlichkeitswirksamer - in ihrem "Future Shop", den sie im April 2003 mit großem Brimborium und dem Ex-Supermodel Claudia Schiffer in Rheinberg bei Düsseldorf eröffnete. Allerdings erntete der Handelskonzern damit auch heftige Proteste von Verbraucherschutzorganisationen wie Foebud oder Caspian. "Kein Big Brother im Frischkäse", so der Slogan, mit dem Foebud die Kennzeichnung von Philadelphia-Packungen anprangerte. In der Kombination mit der Metro-Kundenkarte ließe sich das Verbrauchsverhalten der Konsumenten nachverfolgen, so die Befürchtungen. Die Metro Group reagierte und entfernte den Funkchip - nicht von der Frischkäsepackung, aber von der Kundenkarte.

Item-Level-Tagging ist zu teuer

Dieses Thema hat sich mittlerweile beinahe von selbst erledigt. Die Kennzeichnung von Verbrauchsgütern ("Item Level Tagging") wird sich kurzfristig wohl kaum durchsetzen. Schuld daran sind zum einen die Preise für die Funketiketten. Sie liegen derzeit noch zwischen zehn und 20 Cent und würden damit den Gewinn, der sich mit einem Becher Joghurt erzielen lässt, zum großen Teil auffressen.

Zu teuer ist das Item-Level-Tagging aber vor allem deshalb, weil es derzeit wenig Nutzen bringt. Die Vision der Metro sah vor, dass die Kunden ihren Einkaufswagen durch ein RFID-Leseportal schieben, das ihre Einkäufe automatisch erfasst, so dass der Check-out ohne Personalaufwand möglich ist. Doch davon sind wir noch weit entfernt.

"Wir haben in der Vergangenheit Erwartungen geweckt, die sich so nicht realisieren lassen", räumte Michael Schenk, Professor am Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung (IFF) kürzlich auf den von J&M Management Consulting organisierten "Supply Chain Days" ein. Im "Massenmarkt", sprich: Einzelhandel, sei das Thema passé.

Warten auf den Netzeffekt

Der RFID-Kenner Elgar Fleisch, Professor an der ETH Zürich und der Universität St. Gallen, begründet das mit dem fehlenden "Netzeffekt": Ein automatischer Check-out beispielsweise sei nur dann möglich, wenn wirklich alle Produkte im Einkaufswagen erfasst würden. Solange nur Shampoo, Rasierklingen, CDs und Frischkäse gekennzeichnet sind, kann das also nicht funktionieren. Aber bis sich die neue Technik flächendeckend durchgesetzt hat, können laut Fleisch durchaus noch 15 Jahre ins Land gehen.

Für die Artikelkennzeichnung gibt es derzeit nur einige Pilotprojekte, die zunächst weniger dem Effizienzgewinn des Handelsunternehmens als dem Kundenkomfort dienen. Dazu zählen die Experimente der Metro-Tochter Kaufhof, die in Zusammenarbeit mit Bekleidungsherstellern wie Gerry Weber und Gardeur6 den Einsatz intelligenter Etiketten ("Smart Chips") auf Textilien erprobt.

Damit Viagra drin ist, wo es draufsteht

Ein anderes Beispiel für den sinnvollen Einsatz des Item-Level-Tagging ist die bereits erwähnte Fälschungssicherheit. Was bei sündteuren Designer-Pumps vielleicht nur ein Gimmick ist, kann bei Medikamenten eine lebenserhaltende Maßnahme sein.

Pfizer, der Hersteller des Potenzmittels Viagra, ist nicht der einzige Pharmaproduzent, der seine Produkte mittels RFID-Chip gegen billige - und möglicherweise wirkungslose oder sogar gesundheitsgefährdende - Nachahmungen schützen will. In der Pharmaindustrie hat sich die RFID- Technik mittlerweile auf breiter Linie durchgesetzt, bestätigt Professor Fleisch.

Lieferanten sträuben sich noch

Noch nicht erfüllen ließen sich hingegen die Erwartungen, die Handelskonzerne wie Metro und Walmart in die Automatisierung ihrer Lieferkette gesetzt hatten. Sie hofften, ihre Vormachtstellung nutzen zu können, um die Lieferanten wenn schon nicht zur Kennzeichnung von Einzelartikeln, so doch zur Chipidentifikation von Umkartons und Paletten zu verpflichten. Wie die Metro Group versichert, hätten in Deutschland mittlerweile mehr als 180 Lieferanten ihre Teilnahme am operativen RFID-Einsatz auf der Palettenebene "zugesagt". In ein internationales Projekt zwischen China, Vietnam und Deutschland seien rund 100 Lieferanten involviert, die Exportkartons mit RFID-Transpondern ausstatten würden.

Allerdings ernten die Handelkonzerne mit ihren Forderungen alles in allem wenig Begeisterung - und eine entsprechend schleppende Umsetzung ihrer Vorgaben. Viele Lieferanten sehen immer noch nicht ein, wieso sie die Kosten tragen sollen, wenn der Händler den Nutzen davon hat. Diese Sichtweise ist nach Fleischs Ansicht verständlich, aber falsch: Wie der RFID-Experte einräumt, "durchbricht die Kosten-Nutzen-Rechnung zunächst einmal die Bilanzhüllen". Oder anders ausgedrückt: "Kosten und Nutzen fallen an unterschiedlichen Orten an." Doch mittelfristig dürften die Zulieferer von den "Sekundäreffekten" der RFID-Technik profitieren. Jede neue Technik bringe auch neue Management- Konzepte mit sich. Aber die seien "nicht trivial". Folglich bräuchten die Unternehmen wohl noch etwas Zeit, um zu erkennen, welche Vorteile sie selbst aus der Funkidentifkation ziehen könnten.

Geschlossene Kreisläufe bevorzugt

Diese Vorteile lassen sich leichter innerhalb geschlossener Kreisläufe erkennen, beispielsweise in der Instandhaltung oder bei der Verwaltung wertvoller Arbeitsmittel. So nutzen die Volkswagen AG und der Flugzeugbauer Airbus RFID-Lösungen, um den Verbleib von Materialträgern und Spezialwerkzeugen zu überwachen. Der Aluminiumproduzent Alunorf identifiziert und überwacht auf diese Weise Bauteile und Baugruppen.

Gang und gäbe ist die RFID-Kennzeichnung auch in der Transportlogistik. Hier dienen die Funkchips häufig nicht nur dazu, den Weg der Ladung zu verfolgen. Mit Hilfe integrierter Sensoren können sie beispielsweise auch die korrekte Temperatur von Lebensmitteln überwachen und einen Alarm auslösen, sobald sie eine Abweichung vom Normwert feststellen.

Laut Professor Schenk vom IFF ist RFID überall dort sinnvoll,

Viele störende Faktoren

Allerdings gibt es auch einige noch nicht restlos gelöste Probleme. Schenk verweist auf eine große Anzahl unterschiedlicher Einflussfaktoren, die es nötig machen, jede Installation vor der Inbetriebnahme sorgfältig zu testen. Dazu zählen:

Vor allem metallene Container oder flüssige Ladungen stören die Funksignale empfindlich. Bislang behelfen sich die Anwender meist damit, dass sie die Transponder in einem gewissen Abstand vom Container anbringen, aber die Chiphersteller arbeiten bereits erfolgreich an der Lösung dieser Probleme, erläutert Dirk Masuhr, Senior-Projektmanager EPC/RFID Solutions bei der GS1 Germany GmbH, die für die Standardisierung des Elektronischen Produktcodes (EPCglobal) verantwortlich zeichnet.

Eine "Plug-and-play"-Umgebung, die sich für alle Einsatzzwecke eignet, gibt es allerdings nicht, darin stimmen Experten wie Schenk und Masuhr überein. Jede Anwendung müsse individuell betrachtet und maßgeschneidert umgesetzt werden.

Mangelnde Standardisierung ist eine Ausrede

Ein anderes Hindernis für den RFID-Einsatz entpuppt sich hingegen als Scheinproblem: Wie Fleisch und Masuhr erklären, ist die globale Standardisierung so gut wie abgeschlossen. Das gelte sowohl für den EPC als auch für die unterschiedlich genutzten Frequenzbereiche in Nordamerika, Europa und Asien. Ein Transponder, der dem EPC-Standard entspreche, lasse sich hierzulande im Frequenzband um 868 Megahertz beschreiben und in China im Band um 920 Megahertz auslesen, versichert Masuhr.

Karin Quack

Computerwelt.at, 02. Juli 2008
Original: http://www.computerwelt.at/detailArticle.asp?a=116217

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