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Der "große Bruder" verbirgt sich im Microchip

Das Etikett der Zukunft: So genannte intelligente Funketiketts mit hohem Überwachungspotenzial

Königswinter (DT) Fahrscheine am Automaten oder Schalter kaufen ? das ist in Hanau nicht mehr nötig. Keiner muss sich mehr durch den Tarifdschungel durchkämpfen. Eine kleine Chipkarte entscheidet alles. ?Sie kann auch antworten.? Till Ackermann spricht vom ?ausgeklügelten Sprachverhalten?. Der Volkswirtschaftler im Verband deutscher Verkehrsunternehmen ist Feuer und Flamme für die neue Technologie. Sie hat einen Namen. Doch den kennt kaum jemand. ?Die Kunden sind nicht so sehr an der Technik interessiert als an dem Nutzen?, unterstellt Ackermann. Deshalb ist die Radio-Frequenz-Identifikation, kurz RFID, vielen ein Fremdwort.

Funkchips erobern den Alltag: der Bürger wird gläsern

Mit dieser Technik können Chipkarten Daten empfangen, weitergeben und ? je nach Bauart ? sogar selbst verarbeiten. RFID ist so unauffällig wie ein leicht verdicktes Etikett. Eine winzige Antenne sorgt dafür, dass sich der Mikrochip per Funk mit einem Hintergrundsystem unterhalten kann. Alles spielt sich kabellos ab, im Verborgenen. Der Kunde merkt davon nichts.

In Hanau lernt er den RFID-Chip zum Beispiel als ?intelligente Fahrkarte? kennen. Im Bus hält er sie an den Terminal. Nach dem Tonsignal weiß der Fahrgast: Er ist angemeldet. Vor dem Ausstieg meldet er sich in gleicher Weise ab. Ab April funktioniert das sogar mit dem eigenen Handy. Ein RFID-Chip im Gehäuse sorgt dafür. Im Dresdner Versuch wird die Chipkarte aus seiner Tasche heraus automatisch ausgelesen. Betritt der Kunde Busse oder Bahnen, wird er vom RFID-System erfasst. Die RFID-Technik soll bald flächendeckend Fahrscheine aus Papier ablösen. Bus- und Bahnfahren ? bundesweit mit einem Funkchip. Das ist das Ziel. Kinderleicht, komfortabel, kundenfreundlich. Damit werben Verkehrsbetriebe. Der Kunde muss dafür lediglich einige persönliche Daten preisgeben: Geburtsdatum, Adresse, Kontonummer. Funkchips werden auch bei den Eintrittskarten für die Fußballweltmeisterschaft 2006 eingesetzt. Für die WM-Tickets verrät der Fußballfan zusätzlich noch seine Personalausweisnummer.

?Die Kunden sind nicht über die Konsequenzen informiert?, gibt Rena Tangens zu Bedenken. Die Künstlerin und Bürgerrechtlerin hat den Verein Foebud mitbegründet, eine Gruppe von Technikexperten. Sie klopfen Werbesprüche auf Substanz ab. RFID in der Logistik, zum Beispiel auf Produktpaletten, um Warenflüsse zu beschleunigen ? damit hat Foebud keine Probleme. Doch die Industrie strebt mehr an: RFID-Etiketten sollen den Strichcode auf Artikeln ablösen. Andreas Füssler sieht darin nichts Nachteiliges: ?Dabei wird letztlich nur eine dumme Nummer weitergeleitet.? Der Manager koordiniert Projekte mit RFID-Funkchips in der Kölner Centrale für Coorganisation. Diese GmbH sorgt dafür, dass das RFID-Etikett künftig weltweit standardisiert wird.

Das Besondere an der RFID-Nummer ist: Sie wird nur einziges Mal vergeben. Der Funkchip ermöglicht so, den Weg eines Artikels zurückzuverfolgen sowie dazu gesammelte Daten zuzuordnen. Mit der RFID-Nummer können auch zusätzliche Informationen über Kunden bekannt werden. Thilo Weichert vom Datenschutzzentrum in Schleswig-Holstein macht klar: ?In dem Augenblick, wo ein RFID-Chip mit einem Menschen genau in Verbindung gebracht wird, entstehen personenbezogene Schatten: Sozialprofile, Kommunikationsprofile, Konsumprofile.? Datenspuren, die entstehen, wenn Informationen von Alltagshandlungen der Kunden verknüpft werden. In Hanau haben die Verkehrbetriebe dafür gesorgt, dass die Daten der Kunden getrennt von ihren Fahrbewegungen gespeichert werden. Ebenso handelt die Siegburger Stadtbücherei. Sie setzt die RFID-Chips nur ein, um die Leih-Medien vor Diebstahl zu sichern und die Ausleihe modern zu verwalten.

Verknüpft, vernetzt, verkauft, ohne dass es der Bürger merkt

Im Konsumbereich geht es um mehr. Einige Artikel mit RFID-Etiketts werden bereits im Verkauf getestet. Das erleichtert Firmen, neue Daten über Kunden zu sammeln, schildert Rena Tangens: ?Wenn zum Beispiel ein Kleidungsstück eine eindeutige Nummer hat, lässt sich mit einer Kredit-Karte oder gar Kundenkarte eine Verbindung zum Kunden herstellen. Dann ist registriert: Das Kleid oder der Schuh mit der Nummer XY gehört zur Person Z.? Kleine Geräte lesen den RFID-Chip aus der Entfernung aus. Heimlich. Der Kunde könnte es nicht verhindern. Die Funkchips sind sozusagen immer eingeschaltet. ?Die RFID-Technik wird das Datensammeln unendlich ausweiten,? glaubt deshalb Rena Tangens vom Verein Foebud. ?Man kann niemals wissen, wo Lesegeräte stehen.? Sie sind kleiner als die Handfläche eines Erwachsenen und lassen sich überall einbauen.

Daten zu sammeln ist längst ein profitables Geschäft geworden. ?Adressen sind umso wertvoller, je mehr sie angereichert werden mit weiteren Daten.? Rena Tangens nennt das Beispiel eines großen Versandhauses. ?Es hat nicht nur Daten gesammelt darüber, welche Waren einzelne Personen bestellt haben. Es hat diese Daten weiterhin angereichert mit Wohnortgröße, Versandhandelsneigung und Kaufkraft. Diese Kundendaten wurden wiederum auf dem Adressmarkt gehandelt. Aufgrund solcher Daten werden Kunden mit einem Punktesystem bewertet. ?Es gibt in einer einzelnen Zahl an, wie erwünscht Sie sind.? So können sich Unternehmen Liste von mehr oder weniger erwünschten Kunden zusammenstellen. ?Dabei wissen Sie nicht, auf welchen Daten das beruht. Das ist Firmengeheimnis. Wenn über Sie nichts bekannt ist, dann gehen diese Unternehmen davon aus: Gleich und gleich gesellt sich gern. Zahlen also Ihre Nachbarn häufiger Rechnungen im Versandhandel nicht, dann wird das auch für Sie angenommen.?

Riesige Datensammlungen über das Privatverhalten von Bürgern ? Juristen wie Claus Mauricio Lahner ist dabei nicht wohl, ?weil Konzerne, Behörden oder andere Privatleute die Daten beliebig auslesen und verwenden können.? Die Industrie will die RFID-Technologie zügig im Alltag einführen, um den Umsatz zu steigern und die Logistik zu verbessern. Ab Herbst sollen per RFID-Chips auch biometrische Daten auf den neuen Reisepässen gespeichert werden. Doch Peter Scharr, Bundesbeauftragter für Datenschutz, warnt: ?Man hat festgestellt, dass die von gängigen RFID-Chips ausgelesene Information mitgelesen werden kann aus einer Entfernung von zwanzig bis dreißig Metern.? Es ist noch nicht bekannt geworden, wie sich das technisch verhindern lässt. Setzt sich der neue RFID-Reisepass ohne Rücksicht darauf durch, können unberechtigte Dritte heimlich sensibelste Personendaten mit biometrischen Informationen mitlesen.

Kristina Feld

Die Tagespost, Wuerzburg, 07. April 2005
Original: http://www.die-tagespost.de/Archiv/titel_anzeige.asp?ID=13346

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