31. Januar 2005 Noch hat sie niemand gesehen, die 2,93 Millionen Eintrittskarten zum Fußball-Glück bei der Weltmeisterschaft 2006. Sie sollen so groß sein wie ein Flugticket, so fälschungssicher wie ein Flugticket, aber auch so umständlich umzutauschen, weiterzugeben oder zu stornieren wie ein Flugticket.
Der Unterschied ist leider, daß man nicht einfach die nächste Maschine nehmen kann, wenn es keine Tickets mehr gibt. Die Stars der weiten Fußballwelt landen zumindest in den nächsten 50 Jahren nur einmal in Deutschland. Nach dem Willen des Internationalen Fußball-Verbandes (Fifa) wandert das Turnier in den kommenden Jahrzehnten von Kontinent zu Kontinent, und erst, wenn alle Erdteile zu ihrem Recht gekommen sind, ist Europa wieder am Zuge. Deutschland wird sehr lange warten müssen.
Und deshalb gibt es 17 Monate vor dem Eröffnungsspiel und drei Tage vor der ersten Phase des Kartenverkaufes für viele Fans nur eine Frage: Wie komme ich an eine der rund 1,1 Millionen freiverkäuflichen Karten? Eine überraschende Antwort gab dieser Tage ein Frankfurter Fan vor der Fernsehkamera. "Ich weiß, daß ich in der Kartenlotterie keine Chance habe, ich kaufe mir die Karte auf dem Schwarzmarkt, ich spare schon."
Auf dem Schwarzmarkt? Sollte der nicht mit der Personalisierung der Karten, dem aufwendigen Bestellprozeß und dem umstrittenen Chip auf dem Ticket unbedingt vermieden werden? "Hundertprozentig kann die Technik das nicht", sagt Johannes Stender, ein Sprecher des Bündnisses aktiver Fußballfans (BAFF). Auch wenn der Name auf der Karte stehe, müsse am Eingang zum Stadion jeder kontrolliert werden. "Das kann nicht realisiert werden. Es besteht also durchaus die Möglichkeit, eine Karte auf dem Schwarzmarkt zu kaufen, wenn auch mit einem gewissen Risiko", betont Stender.
Diese Lücke im System räumt auch der Vizepräsident des Organisationskomitees, Horst R. Schmidt, ein. "Wir werden nicht 50.000 Leute kontrollieren können, aber wir werden Stichproben machen, und deshalb bitten wir die Zuschauer auch, ihre Ausweispapiere mitzuführen", sagt Schmidt. Doch was macht der Ordner vor dem Berliner Olympiastadion, wenn am 9. Juli 2006 ein Brasilianer sein Team anfeuern will, dafür eine 600 Euro teure Finalkarte kauft, seinen Ausweis aber im Hoteltresor deponiert hat? Weil ja bekanntlich die "Welt zu Gast bei Freunden" ist, wird der Mann in Uniform den Fan hoffentlich mit einem völlerschen Augenzwinkern durchwinken.
Zudem sind lange nicht alle Karten personalisiert. So werden auf den 191000 Tickets der sogenannten Internationalen Fußball-Familie (Fifa, nichtteilnehmende Länder) keine Namen stehen. Auch die Partner und Förderer, die immerhin 550000 Karten erhalten, dürfen mit ihren Geschäftsfreunden wohl weniger streng verfahren. "Es wäre nicht die erste WM oder EM, bei der Karten aus diesem Bereich auf den Schwarzmarkt kommen", behauptet Stender.
Unsicher ist bisher auch, wie genau die Richtigkeit der Angaben auf den dreiseitigen Bestellformularen überprüft werden kann. "Wir müssen auf Ehrlichkeit setzen, wir können keine weiteren Nachforschungen anstellen", sagt Schmidt. Unter dem gleichen Namen mit mehreren E-Mail-Adressen zu bestellen reicht jedoch nicht aus, das System zu übertölpeln. Trotz kleiner Lücken scheint ein Schwarzmarkt im größeren Stil bei der WM 2006 aber nicht möglich zu sein.
Um den kleinen Schwarzmarkt von Fan zu Fan zu entkriminalisieren, fordert BAFF-Sprecher Stender vom WM-Organisationskomitee eine offizielle Karten-Tauschbörse. So weit sind die von der Fifa unterstützten Planer in der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise noch nicht. Die kurzfristige Rückgabe einer Karte sei "ohnehin nur bei schwerer mit ärztlichem Attest dokumentierter Erkrankung möglich", teilte Horst R. Schmidt mit. Die Karte auf einen neuen Besitzer zu übertragen ist nur mit Genehmigung des Organisationskomitees möglich. Vielleicht wird der Ton bis 2006 noch etwas kundenfreundlicher.
Auch ein ganz typischer Wunsch wird den Fans nicht gewährt. Wer etwa Karten für drei Spiele bestellt, zum ersten seinen Skatbruder, zum zweiten die Freundin und zum dritten den Vater mitnehmen will, wird enttäuscht. Auf dem Formular, das vom Geburtsdatum über den Wohnort, die Personalausweisnummer bis hin zur Lieblingsmannschaft so einiges abfragt, ist diese Variante nicht vorgesehen. An wechselnde Begleiter hat offenbar niemand gedacht.
Die Möglichkeit, Karten für gleich drei Spiele zu ergattern, ist zugegebenermaßen theoretisch. Die mit dem Kartenverkauf beauftragte Agentur CTS Eventim rechnet damit, daß auf eine Karte zehn Bestellungen kommen. Das Los entscheidet, wer im Sommer 2006 ins Stadion darf - der Rest hofft auf eine Lücke im System.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 30.01.2005, Nr. 4 / Seite 18
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