In den „Baja Beach Clubs“ in Barcelona und Rotterdam zahlen einige Disco-Gäste ihre Drinks nicht mehr mit Kreditkarte oder in bar, sondern mit dem Oberarm. Unter der Haut steckt ein implantierter Mikrochip, mit dem sie ihre Zeche begleichen können. Im Jacobi Medical Center in New York City erhalten Patienten bei der Aufnahme ein elektronisches Chip-Armband. Es enthält ihre Krankendaten, die der Arzt sofort mit einem speziellen Gerät begutachten kann. Im japanischen Osaka sind in den Bücherranzen von Schülern Chips angebracht. An den Schuleingangstüren läßt sich so rasch feststellen, wer Morgen für Morgen ordentlich den Unterricht besucht und wer schwänzt.
Drei Beispiele, eine Technologie: Die Chips, die all das ermöglichen, werden als RFID bezeichnet - das Kürzel für „Radio Frequency Identifikation“. Damit lassen sich Objekte (und Menschen) identifizieren und exakt lokalisieren.
Technisch einfach, ökonomisch revolutionär
Technisch ist das eine einfache Sache. Ein RFID-System besteht aus drei Komponenten: einem Transponder - das ist ein klitzekleiner Chip mit Daten; einem Lesegerät, das in die Nähe des Chips gebracht wird und das per Funk dessen Daten lesen kann; einem Computersystem, das die Daten der Lesegeräte sammelt und verarbeitet.
So simpel die Technik, so revolutionär sei RFID aus ökonomischer Sicht, glauben die Befürworter. „RFID zählt zu den wichtigsten Entwicklungen der Informationstechnik“, schwärmt Andrea Huber, Geschäftsführerin des industrienahen „Informationsforums RFID“.
„Internet der Dinge“
Stefan Heng von Deutsche Bank Research weiß, warum: „Funkchips verbinden die physische Welt der Produkte mit der virtuellen Welt digitaler Daten.“ Professor Elgar Fleisch von der ETH Zürich spricht gar vom künftigen „Internet der Dinge“.
Vor allem im Handel wird Fleischs Zukunftsvision langsam Realität. Der Handelsriese Metro gehört zu den Vorreitern in Sachen Funk-Identifikation. Seit November 2004 führt der Konzern in seinen Kaufhof-, Real- und Cash & Carry-Märkten die neue Chip-Technik ein. „Die Zeit, die unsere Mitarbeiter bisher mit Routineaufgaben beschäftigt waren, können sie jetzt dafür verwenden, Regale regelmäßig zu prüfen und rechtzeitig Ware nachzufüllen“, sagt Vorstand Zygmunt Mierdorf. Alleine beim Wareneingang spart der Konzern mit RFID mehrere Millionen Euro jährlich.
Unsichtbar im Innern von Verpackungen
Die Warenidentifikationschips drängen sich nicht nur in Lägern mehr und mehr in den Alltag. Sie sind häufig schon in den Märkten selbst präsent - oft unsichtbar im Innern von Verpackungen. Der Kunde bemerkt sie spätestens, wenn er mit einer nicht bezahlten Ware den Markt verlassen will. So hat sich der Schwund in Metros „Future Store“, einem Test-Supermarkt, um 18 Prozent reduziert.
RFID soll mehr Effizienz bringen - und sich selbst zu einem Riesengeschäft entwickeln. „Insgesamt dürfte zwischen 2004 und 2010 der Markt für RFID-Systeme global von 1,5 Milliarden Euro auf 22 Milliarden Euro anwachsen“, glaubt Analyst Heng. Den Zuwachs verdeutlichen diese Zahlen: Zwischen 1944 und 2005 wurden 2,4 Milliarden RFID-Chips verkauft (schon im Zweiten Weltkrieg setzte man die Technik ein, um Freund und Feind zu unterscheiden). Alleine 2006 sollen es 1,3 Milliarden sein.
Lobbyisten schlagen Alarm
Trotz aller Euphorie schlagen Lobbyisten Alarm. Der Kontinent, ein maßgeblicher Treiber der Technologie, drohe zurückzufallen, fürchtet der EU-Parlamentarier Jorgo Chatzimarkakis. Seit Jahresbeginn läuft ein Konsultationsprozeß der EU-Kommission zum Thema RFID; dabei geht es unter anderem um Fragen wie Funkfrequenzen für die Chips und Datenstandards.
Im kommenden Jahr dürfte die Kommission dann wichtige Entscheidungen für die Branche treffen. FDP-Mann Chatzimarkakis blickt mit Sorge in den Fernen Osten: „Die anstehende europäische Regulierung hat die Innovationsfreude europäischer Unternehmen merklich abgeschwächt. In China hingegen läuft das RFID-Geschäft auf Hochtouren.“ Als schlimme Bremser macht er eine „Angstindustrie“ aus, zu der auch Datenschutzorganisationen gehörten.
Der gläserne Kunde
Dazu zählen darf sich der Verein Foebud. Die Bielefelder Chipgegner fürchten die Entwicklung zum „gläsernen Kunden“ und sehen die Privatsphäre der Bürger bedroht. RFID-Chips sind für sie „Schnüffelchips“, die unbemerkt das Einkaufsverhalten der Kunden ausspionieren. Weil jeder Gegenstand eine weltweit eindeutige Seriennummer erhalte, sei er eindeutig identifizierbar - und damit auch der Kunde, der mit Bankkarte zahle. Künftig würden RFISs „in jeden Jackenkragen und jede Schuhsohle eingepflanzt“, glaubt man bei Foebud. „Das bedeutet: Jede Lese-Antenne erfaßt Ihren Chip auf neue, vielleicht im Bus, an der Tankstelle, im Supermarkt.“
Die Lösung für Foebud? Auf dem Markt sind „Deaktivatoren“. Oder die Mikrowelle - dort sollen die Chips angeblich ihren elektronischen Geist aushauchen. Aber das scheint nur ein Tip für Hartgesottene zu sein: „Wir haben es ausprobiert: Der Chip ging dort in Flammen auf und brannte ein Loch in den Joghurtbecher. Eine ganz schöne Sauerei.“
Thiemo Heeg
faz.net, 17. Oktober 2006
Original: http://www.faz.net/s/RubEC1ACFE1EE274C81BCD3621EF555C83C/Doc~ED26926331C2642E6B8F01C3B3ED12EB8~ATpl~Ecommon~Scontent.html