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RFID-Chips: Streit um den gläsernen Bürger

Ein kleiner Chip hält im Alltag der Verbraucher unaufhaltsam Einzug: Die mit einem entsprechenden Lesegerät erkennbaren RFID-Funkchips sorgten in den Tickets der Fußball-WM für die eindeutige Identifizierung der Karteninhaber, Unternehmen wie Tchibo, Gillette und Benetton betten sie als Logistikhilfe oder Diebstahlsicherung in Verpackungen und Kleidung ein.

Auch Medikamente wie Viagra sind bereits mit den Chips ausgestattet, um sie sicher von Fälschungen unterscheiden zu können. Das klingt praktisch. Doch Datenschützer beobachten die Entwicklung mit Sorge: Die Chipdaten ermöglichen auch die Erstellung von Verbraucherprofilen.

Die Skepsis in der Bevölkerung ist groß. Laut einer Studie der Humboldt-Universität Berlin wollten rund drei Viertel der Testpersonen, die einen neutralen Informationsfilm über RFID-Funkchips gesehen hatten, auf keinen Fall einen solchen Chip auf ihren Waren haben, die sie aus dem Supermarkt tragen. Interessant dabei: Die Studie wurde ausgerechnet im Auftrag des Handelskonzerns Metro AG erstellt, einem der Vorreiter in Sachen RFID. ZUM THEMA RFID: Forderungskatalog für die Selbstregulierung Computer: Neuer Funk-Chip als RFID-Ersatz High-Tech-Blog: Schmuckstück verrät RFID-Scanner RFID: Verbraucherschützer fordern Aufklärung Enttäuschende Selbstverpflichtung

Seit eineinhalb Jahren bemüht sich deshalb das Bundeswirtschaftsministerium, Handel und Industrie für eine freiwillige Selbstregulierung des Umgangs mit den umstrittenen Funkchips zu gewinnen. Doch was die Unternehmen und Wirtschaftsverbände kürzlich als Entwurf einer Selbstverpflichtungserklärung vorlegten, enttäuschte Verbraucher- und Datenschützer so, dass sie die Verhandlungen für gescheitert erklärten.

Nach Ansicht der Verbraucherzentrale Bundesverband hat die Selbstverpflichtungserklärung der Wirtschaft genau in den sensibelsten Punkten versagt: „Dies betrifft die Deaktivierung der RFID-Chips an der Kasse, die Möglichkeit, anonym einzukaufen, das Verbot einer Überwachung nach dem Verkauf und Sanktionsmöglichkeit bei Verstößen“, urteilen die Verbraucherschützer.

Gesetze für den Datenschutz

Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, der lange auf eine Selbstregulierung der Wirtschaft gesetzt hatte, hat jetzt genug. Bloße Absichtserklärungen, so Schaar, oder Versprechen, deren Einhaltung nicht kontrolliert würden, seien nicht ausreichend. Er droht jetzt: „Sollten die Unternehmen keine verbindliche Selbstverpflichtung abgeben, muss der Gesetzgeber tätig werden.“

Für Rena Tangens vom Datenschutzverein FoeBud betreibt die Wirtschaft eine klare Verzögerungstaktik. Offensichtlich, so Tangens, gehe es nur darum, Zeit zu gewinnen, in der Zwischenzeit Politiker mit bezahlten Lobbyisten zu beeinflussen und durch RFID-Einsatz Fakten zu schaffen. Sie ist überzeugt, dass bei RFID eine Selbstregulierung auf keinen Fall ausreiche, da die Möglichkeiten der Datenauswertung immens seien. Für die Verbraucher gäbe es eine einzige sinnvolle Reaktion: „Lehnen Sie den Kauf von Produkten mit RFID-Schnüffelchips ab – und sagen Sie dem Handel, warum.“

Schutz vor der Konkurrenz

Eine gesetzliche Regelung wäre nach Meinung von Tangens auch im Sinne von Firmen, die die Privatsphäre der Bürger tatsächlich achten. Zum eigenen Schutz vor der böswilligen Konkurrenz als auch im Zweifelsfall vor den eigenen Aktionären – die eine Firma dazu zwingen könnten, Daten gewinnbringend auszuwerten.

Interessanterweise forderte erst kürzlich auch der Softwarekonzern Microsoft in den USA strengere Privacy-Gesetze.

Christiane Schulzki-Haddouti

Focus, München, 27. Juli 2006
Original: http://www.focus.de/digital/multimedia/rfid-chips_nid_32650.html

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