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Ende der Dutzendware

Datenschutz am Niederrhein: Ein Einkaufsbummel der Zukunft

Frei nach Jean Paul ist der Supermarkt das letzte Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können - jedenfalls nicht vor 20 Uhr. Dennoch gilt die austauschbare Ware seit Marx als Inbegriff der Seelenlosigkeit. Da beweist es wohl nur der Fintenreichtum des Kapitalismus, daß er seinen Kritikern abermals ein Schnippchen schlägt und den Dingen die verlorene Seele selbst wieder einhaucht. Die neue Technologie des RFID-Chips ("Radio Frequenz Identifikation") weist jedem Einzelstück eine unverwechselbare Kennziffer zu und macht seine Biographie vom Hersteller bis an die Kasse nachvollziehbar. Daß die individuelle Brandmarkung der Güter gleichsam eine DNA für die Produktwelt, womöglich auch jenseits der Pforten des Supermarktes mittels geeigneter Sender zu entschlüsseln ist, ruft Datenschützer auf den Plan. Sie fürchten, daß über den Einkaufsparadiesen der Zukunft das Auge des großen Bruders wacht. In der Außensicht gleicht der "Extra Future Store" in Rehinberg bei Duisburg einem gewöhnlichen Provinzsupermarkt mit überfülltem Parkplatz, Gartencenter und Getränkehandel. Doch hinter der Glasfassade mit den üblichen Werbeplakaten ("Extra knusprige Grillhaxen - jetzt für nur 1,99") beginnt ein weltweit einmaliger Testmarkt für den High-Tech-Einkauf kommender Jahrzehnte. Am Samstag nachmittag kam die amerikanische Verbraucherschützerin Katherine Albrecht von der Organisation "CASPIAN", begleitet von Vertretern des Bielefelder Datenschutzvereins "FoeBuD e.V.", um sich über die RFID-Technologie zu informieren. In zehn bis fünfzehn Jahren soll das Verfahren zum Alltag gehören - dann schiebt der Kunde seinen gefüllten Wagen einfach durch eine Schleuse, und langsame Fließbänder und fingerfertige Kassiererinnen gehören der Vergangenheit an. Als Betreiberin des Pilotprojekts verhielt sich die Metro AG, die vom Bielefelder Verein den "BigBrotherAward 2003" erhielt, allerdings nicht nach dem Muster eines Orwellschen Imperiums. Anstatt der Aktivistin, die in Harvard über "Konsumentenaufklärung und Privatsphäre" promoviert, Hausverbot zu erteilen, lud sie die Datenschützer zu einer Besichtigung ein - wobei der Projektmanager und der Pressesprecher als Reiseführer auftraten. So schob Frau Albrecht, begleitet von den Bielefelder Medienspontis und den Anzugträgern von der Metro, ihren mit eigener Konsole ausgestatteten Einkaufswagen durchs Gedränge der Wochenendeinkäufer. Der "Future Extra Store" ist ein konstruktivistischer Supermarkt, der sich jedem Beobachter ganz nach seinen Winschbildern präsentiert. Hält man eine Packung "Maggifix Seelachs" an den eingebauten Scanner, erscheint ein Rezept für "Broccoli-Lachs-Auflauf" auf dem Display. Und füttert man die Suchmaschine mit dem Begriff "Kitkat", blinkt auf einer Karte das eingefärbte Zielgebiet auf. Die "Intelligente Waage" in der Obst- und Gemüseabteilung schließlich erkennt die Früchte per Digitalkamera - und bietet bei einem Stück Ingwer der Vorsicht halber auch die Alternativen Sellerie und Knoblauch an. Noch verbindet man solche Technologien eher mit den Datenbrillen von Kampfpiloten als mit dem Einkaufswagen der Normalverbraucher - und tatsächlich kommd die RFID-Technik, die bei Chips mit eigenem Sendevermögen sogar die Ortung per Satellit erlaubt, auch beim Militär zum Einsatz. Allerdings werden die Halbleiterplättchen ebenso in Büchereien und Autoschlüsseln verwendet. Im "Extra" tragen nur ausgewählte Produkte die RFID-Chips, vor allem zur Vereinfachung der Lagerhaltung. Im "Intelligenten Regal Philadelphia" zum Beispiel registriert eine versteckte Sendeantenne jede aus dem Kühlregal entnommene Packung. "Was ist die Frequenz?" fragt Albrecht kennerhaft, als sie ein Etikett abzieht und den goldenen Chip freilegt. "13,56 Megahertz", antwortet der Projektleiter. Neben dem Fluchtwegeplan steht ein Terminal zur Information über die "Radio Frequenz Identifikationstechnik", an den Regalen sind Hinweise angebracht: "Dieses Produkt ist mit einem RFID-Etikett versehen." Nachdem das Navigationssystem den Troß zu Kasse 1 gelenkt hat, nimmt Albrecht noch jeden Schalter in Augenschein, an dem zweifelnde Kunden die Chips eigenhändig deaktivieren können. Tatsächlich besteht die individuelle Prüfziffer der DVD "Manhattan Love Story", nachdem Albrecht den Bildschirm berührt hat, nur noch aus Nullen. Doch beruhigt ist die Datenschützerin nicht, denn die "eindeutige Seriennummer" des Chips, in seine Hardware eingeschrieben, bleibt auf dem Bildschirm stehen: "E00401000005FA2C0". Die Leute von der Metro versichern, daß sie mit dieser Kennziffer keinerlei Kundendaten verknüpfen können - und die Datenschützer, die sich recht gut mit den Firmenvertretern verstehen, glauben ihnen durchaus. Dennoch hat sich ihr Mißtrauen gegenüber den Möglichkeiten der neuen Technologie verstärkt. Vielleicht erscheint die Anonymität des Kapitalismus, die mit jeder Payback-Karte schwindet, bald als das verlorene Paradies.

ANDREAS ROSENFELDER

Frankfurter Rundschau , 02. Februar 2004
Original: Nicht bekannt

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