Forscher und Unternehmen diskutieren mit der EU darüber, wie sie die Identifizierung per Funk voranbringen können
Die Europäische Union sieht für die umstrittenen RFID-Funkchips einen großen Markt nahen. Forscher und Unternehmen müssten sich ranhalten, hieß es während eines EU-Workshop zur Entwicklung der RFID-Forschungsförderung in Brüssel. Gebe es doch in den USA schon zahlreiche Patente rund um Chips im Joghurtbecher oder Sensorwinzlinge, die untereinander und mit umgebender Elektronik kommunizieren. Das Treffen verdeutlichte aber auch: Die Technik hat in Europa nur eine Chance, wenn die Bedenken von Datenschützern frühzeitig ernst genommen werden.
In Deutschland kritisieren Initiativen wie der Verein zur Förderung des bewegten und unbewegten Datenverkehrs (Foebud) die Identifizierung mit Radiowellen. Das veranlasste den Metro-Konzern, auf Funkchips in Kundenkarten seines Supermarkts der Zukunft in Rheinberg zu verzichten.
Auch Datenschutzbeauftragte großer Unternehmen heben mahnend den Finger. "Solange RFID in der Produktionskette eingesetzt werden oder zwischen Zulieferbetrieben, Produzenten und Händlern, haben wir kein Problem. Aber sobald Verkaufsdaten mit Informationen in einer Kundendatenbank verknüpft, gespeichert und für Profile genutzt werden, haben wir sehr wohl eines", sagt Jeroen Terstegge, Anwalt und Datenschützer bei Royal Philips Electronics in den Niederlanden.
Für die Firmen gelte es, die Datenschutzpragmatiker unter den Bürgern für die Technik zu gewinnen. Ein bisschen Big Brother müsse man damit den Kunden schmackhaft machen, dass sie einen Vorteil vom RFID-Einsatz hätten: schnellere Bedienung, Diebstahlschutz, bessere Produktsicherheit.
Genauso sehen das manche Entwickler: "Wir nehmen Kundenvorstellungen in dieser Hinsicht bereits jetzt nicht nur ernst. Wir profitieren von ihnen", sagt Andreas Schneider von Sony International in Stuttgart. Für das Projekt Elima, in dem es vor allem darum geht, ein Informationssystem für den gesamten Lebenszyklus elektronischer Produkte bis zum Recycling zu erfassen, nennt Schneider zwei Beispiele für den Kundennutzen. Der offene Eisschrank könne künftig eine SMS-Kurznachricht an das Mobiltelefon des nachlässigen Benutzers schicken. Und für eine mit Funkchips ausgestattete Spielekonsole Playstation könne Sony längere Garantiezeiten einräumen, weil sich betrügerische Garantiefälle ausschließen ließen. Das klingt ein bisschen nach Kuhhandel. Ob das reicht, die Angst vor mehr Überwachung mit aktiv sendenden Funkchips zu verringern, ist fraglich.
"Neutrale Technologie gibt es nicht", sagt Stephan Engberg von Open Business Innovation, einem auf Datenschutzfragen spezialisierten Beratungsunternehmen in Dänemark. "Entweder zerstört sie Privatheit oder sie schützt sie." Die Supermarktkasse und Chips mit geringer Reichweite und Lebensdauer seien noch das kleinste Problem. Schlimmer ist für ihn, was geschieht, wenn von den Funksensoren abrufbare oder ausgesandte Daten in falsche Hände geraten. Profieinbrecher könnten etwa Daten darüber abgreifen, ob ein Haus leer steht. Für bekannte Persönlichkeiten könnten zu auffällige Datenspuren gar zum Sicherheitsrisiko werden. "Wenn jemand es auf einen Menschen abgesehen hat, können Geräte die entsprechende Spur bringen", sagt Engberg. "Datenschutz und Sicherheit sind zwei Seiten einer Medaille."
Als oberste Regel fordert er, Datenschutz schon in der Entwicklung mit zu bedenken. Sofern die RFID-Chips nach dem Einkauf beispielsweise nicht automatisch ausgeschaltet werden, sollten Nutzer alleine darüber entscheiden können, wann etwa wegen eines Garantiefalls Daten zum Händler übertragen werden. Derlei Funktionen würden die Chips allerdings verteuern, warnt ein Vertreter des Transportriesen DHL. Da sei es den potenziellen RFID-Anwendern doch bestimmt lieber, wenn man Missbrauch nicht technologisch, sondern rechtlich regelt.
Genau damit aber haben Gesetzgeber und Industrie gerade in Hightech-Fragen regelmäßig Probleme. Das juristische Hinterherlaufen kann teuer werden. Wenn soziale Fragen nicht vorab geklärt werden, "wird das ohnehin die ganze Technologie umbringen", warnt Danielle Pradelles, Datenschützer von Hewlett Packard EMEA. Warum aber sollten die Forscher nicht dieses Mal die Gelegenheit nutzen, die Technologie schon datenschutzfreundlich zu gestalten? Denn noch stecke man, erinnert ein Vertreter der Europäischen Kommission, mitten in der Entwicklung.
Extra-Kasten: Billig-Chips
Die Abkürzung RFID steht für Radio Frequency Identification. Kleine, am Produkt angebrachte Sender geben über Funk Informationen an ein Lesegerät weiter. Die Technik soll einmal den heute üblichen Barcode an Verpackungen ablösen. Allerdings profitiert man derzeit nur beim hochwertigen Silizium von der kontinuierlichen Konzentration von Rechenkapazität auf kleinstem Raum. Doch das ist zu teuer, um es auf Joghurt-Becher zu kleben. Daher forschen die Labors am Ein-Cent-Modell. Nicht nur die Elektronik daran muss billig werden, auch die Antenne und der Träger des Chips. Organische Materialien, die das bislang in den Schaltkreisen verwendete Silizium ersetzen, könnten ein Lösungsansatz sein, sagen Fachleute des Halbleiter-Herstellers Infineon. Derzeit laufen Tests mit ungefähr 70 verschiedenen Materialien, vor allem Polymeren und halb leitenden organischen Molekülkristallen wie Pentacen, das auf Kohlenstoff basiert. Die organischen Materialien harmonieren auch mit flexiblen Plastiksubstraten. Das ist wichtig, weil die Forscher RFID-Antennen direkt auf die Verpackung aufdrucken möchten. Ein Quadratmillimeter winzige Chips sind denkbar, sagen die Experten. Doch selbst wenn die Anforderungen an die Billigvariante bescheiden sind - sie sollen nur passiv ausgelesen werden können, senden nicht aktiv und kommen mit einem bescheidenen Speicher aus -, ist eine massenhafte Produktion noch nicht zu erkennen. Innerhalb der nächsten fünf Jahre könnte man es mit Silizium schaffen, hoffen die Infineon-Leute. Mit organischem Material dauere es noch länger. mo
MONIKA ERMERT
Frankfurter Rundschau
, 26. Juni 2004
Original: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/wissen/netzwerk/?cnt=426766